Begegnungen im Nebel

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Ausgabe Nummer 26 - Efferd 1023 BF

Begegnungen im Nebel

Leodan von Tandosch. © M. Lorber

Es war eine kühle Nacht gewesen in Koschtal, fast zu kühl für einen Tag so früh im Rondramond, als Alrich Zwiebenhang sich beim allerersten Morgengrauen aufmachte gen Kröttgras, einem vergessenen kleinen Weiler tief im Schetzeneckschen. Er passierte so manchen einem Hof und manches Einsiedlergehöft entlang des Weges. Es würde kein gutes Jahr werden für einen alten Krambold wie Alrich: So kurz nach dem Kriege im Osten waren die Waren teuerer und die Bauern auch im Koschlande ärmer. Da hieß es mehr Meilen gehen und mehr Tauschwaren tragen. Der Weg quer durch die Schwertschlucht sollte den Weg abkürzen, obzwar an dessen Ende eine beschwerliche und gefährliche Kletterpartie wartete.

Während noch der Morgennebel dick wie Stannizer Eintopf über den Wiesen lag, vernahm der Krambold aus der unsichtbaren Ferne das Hufgeklapper eines galoppierenden Pferdes. Er war kein tapferer Mann, und duckte sich vorsichtig hinter einem Ebereschenstrauch. Da war das Roß heran, ein Ritter mit einem roten Löwen auf dem weißen Gewande eilte über den schmalen Pfad.

Wohl kaum würde ein Streiter der Herrin Rondra fliehen. Was also trieb ihn so zur Hast? Alricht Zwiebenhang schritt um so vorsichtiger hinein in die Schwertschlucht. Recht hatte er getan! Bald schon drang das Geräusch von aufeinandertreffenden Schwertern zu ihn durch. Stetig blieb das Klirren des Stahls, immer lauter von den Wänden den Felswänden widerhallend, während sich der Krambold tiefer in die graue Schlucht hineinwagt. Gleichwohl nicht anderes als Schwerterlaut durchbrach die Stille, kein Schrei oder Wort, kein Ruf des Schmerzes oder Triumphes. Nur ein einziges Mal blökte gelangweilt ein Schaf.

Jetzt durchbrachen zwei glimmernde Punkte die Nebelschleier, die sich bald zu einem großen Kreis aus Dutzenden von Fackeln erweiterten. In seiner Mitte fochten großgewachsene Recken, am Rand des Fackelkreises zeichneten sich etliche weitere Gestalten, allesamt gewandet in weiß und rot im Zeichen der Leuin. Rondrianer!

Gebannt blickte der Krambold auf den Zweikampf. Obzwar die Kampfstile unterschiedlich, wild und stürmisch der eine, kühl und berechnend der andere, schien doch keiner auch nur den geringsten Vorteil zu erringen. Gerade so, als wisse der jeweilige Gegner noch vor dem Schlag, wohin dieser zielte, wurde er bereits pariert.

Ein “Pssscht!“ von rechts, keine zwei Schritt entfernt, ließ Alrich zusammenfahren. Dort zeigte sich ein junger Schäfer hinter einem Hagebuttengehölz und winkte den Krambold zu sich. Erleichtert setzte Alrich die Kiepe ab. „Dö Schaf sin ausgebuchst dö Nocht“, erzählte flüsternd der Hirt Dappert, und als er sie gesucht habe, sei er in gleicher Weise wie Alrik auf diesen Konvent von Rondrianern gestolpert. Ob er seine Schafe inzwischen eingefangen habe, fragte Alrich. „Ooch, lött dat Viech monn groosen. Dat hie is fül dollsda“, entgegnete Dappert und begann eifrig von seinen Beobachtungen erzählten.

Am Fackelkreis hatte schließlich einer der Umstehenden ein Einsehen und gebot dem Kampf Einhalt. Alsdann was ein zweistimmiges Keuchen zu hören. Die Kontrahenten fielen wie gefällte Bäume aufeinander zu und sanken sich gegenseitig stützend in die Knie. „Die Herrin hat entschieden. Nicht einem von ihnen sollte der Sieg beschienen sein. Doch wir alle sahen sie kämpfen und ich sage, so kämpfen wahrlich keine Verlierer! Und wenn es keine Verlierer gibt, muß es Sieger geben und ich sah fürwahr zwei Sieger! So ist es entschieden in Rondras heiligen Namen.“ Von ihren Helmen befreit blickten zwei erstaunte Gesichter — zwei bis zur Form von Braue, Lippe und Ohrläppchen vollkommen gleiche Gesichter! — den älteren Geweihten an, als zustimmende Rufe von allen Seiten auf sie einbrandeten.

Die folgenden Reden nahm der Wanderer jedoch kaum noch wahr — denn er erkannte diese Gesichter! Eines zumindest, doch war das eine ja gleichsam das andere. Den jungen Burschen, Angrimm mit Namen, hatte er zuletzt auf einem abgelegenen Gutshof in Roterz getroffen .

Da zählte Angrimm kaum 14 Götterläufe, war aber bereits groß und kräftig wie sonst keiner. „Thorwalerblut“, sagten die Alten, denn das ist nicht selten im Ferdokschen. Ein Jahr darauf war Angrimm über den Roterzpaß in wärmere Gefilde verschwunden und hatte den Hof seines Onkels hinter sich gelassen, womit Alrich sein (sic!) aus den Augen verlor.

Den anderen Zwilling kannte der Krambold nur aus Erzählungen. Nicht einmal ein Jahr nach ihrer Geburt fiel ihre Mutter, eine Ferdoker Lanzerin in der Schlacht der 1000 Oger, womit die beiden Knaben zu Waisen wurden. Den älteren, Rudward, nahm die Familie seiner Großmutter — Niederadel im Andergastschen — auf, während Angrimm bei seinem Onkel in Roterz ein Heim fand. Doch was war hier in der Schwertschlucht in der Nacht vom 1. auf den 2. Rondra geschehen?

Die wichtigen Koscher Rondratempel zu Angbar, Ferdok und Rhôndur waren durch die Kriege oder unglückselige Ereignisse all ihrer Vorsteher und der meisten ihrer Geweihten beraubt, der Ferdoker gar aller Geweihten. So hatte der Meister des Bundes Brin vom Rhodensteine verfügt, daß ein Turnier in der Schwertschlucht die neuen Tempelersten ermitteln solle. Richter sein solle Bolzer von Stanniz und von Zweizwiebeln, Zeugmeister der Halle der Kämpfer zu Angbar, ein ergrauter Kämpe und Mann von hohem Scharfsinn, der gleichsam darum verzichtete, hier selbst mitzutun. Im göttergefälligen Zweikampf mit den geheiligten Rondrakamm sollten die Sieger ermittelt werden. Trotz des Aufruf des Meisters des Bundes in allen Sennen des Reiches waren jedoch kaum 20 Knappen und Ritter der Leuin jene Nacht in der Schwertschlucht zusammengekommen, so groß war das Blutopfer der Kirche gewesen.

Zuerst war der Tempel zu Rhôndur ausgelost worden. Nur wenige Kämpen stritten um die Ehre, den kleinsten der Tempel zu leiten. Answein Grobhand hieß jener, der sie für sich errang, ein spätberufener Hühne von gut 60 Sommern, behäbig und zottelig wie ein alter Bär, doch ebenso hünenhaft und zäh, daß keiner der Jüngeren gegen ihn bestehen konnte.

Angbar, das bedeutendste Haus der Göttin zwischen Wehrheim und Havena und Stift des Heiligen Baduar, wurde als zweites Los aus dem Helm gezogen. Nahezu alle Streiter traten an. Verbissene und heftige Kämpfe wurden in der Stille und nebeligen Abgeschiedenheit der Schwertschlucht geführt, doch nur äußerst selten mußte Herr Bolzer die Kämpfenden zur Ordnung rufen. Sieger wurde Herr Leodan von Tandosch, ein hochgewachsener, schweigsamer Streiter aus den Nordmarken. Der Ritter der Göttin setzte sich nacheinander gegen die Vettern Perval von Vardok und Raban Axtkind von Vardok durch und besiegte schließlich im letzten Kampf Irion von Zweizwiebeln-Gareth.

Zuletzt also focht man um die Grafenstadt. Während Rudward von Thalblatt und Angrimm aus Roterz nur für Ferdok streiten wollten, hatten viele ihrer Kontrahenten bereits um Angbar gerungen. Dennoch schien es wahrhaftig Rondras Wille zu, daß sie fürderhin gemeinschaftlich dem Haus der Leuin am Großen Fluß vorstanden. Daran zweifelte niemand, der Zeuge war, als die Brüder dort ihren langen Kampf fochten, wie es Alrich Zwiebenhang und Dappert Pansenblüth waren.