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Hier entstehen meine Briefspieltexte und werden sorgsam verwahrt, bis ich weiß, wohin sie sollen.
Es ist ausdrücklich erlaubt, Rechtschreibfehler sowie Fehler der Zeichensetzung zu korrigieren, genauso wie verloren gegangene Buchstaben richtig zu ergänzen und überzählige einzusammeln.

Was eine Ritterin werden will

Weitere Texte

[...]

Gründungsmythos Haus Rían

Rían und Támlinn

Tamlinn und Rian.jpg

Rían war ein junger Ritter aus dem Hause Bennain. Er liebte es auf die Jagd zu gehen und trieb sich nur allzu gerne allein in der Wildnis herum. Dort lauschte er dem Rauschen der Blätter im Wind, dem Gesang der Vögel, dem Plätschern der Bäche und all den anderen Geräuschen des Waldes, die sonst keinerlei Beachtung genossen.

Eines Tage, da lauschte er wieder. Die Sonne blinzelte immer wieder zwischen den dicht belaubten Bäumen hindurch, der Waldboden war mit allerlei blühenden Blumen bedeckt. Es roch nach Harz und Moos und Wald. Er stieg von seinem Pferd, um etwas aus dem nächsten Flusslauf zu trinken. Das Wasser war klar und rein. Und während er sich über den kleinen Strom gebeugt hatte, vernahm er ein geradezu liebliches Geräusch. Er lauschte. Es war ein durchdringendes Geräusch. Er lauschte. Ein bekanntes Geräusch, auch wenn er es noch nie gehört hatte. Er lauschte. Und es war ihm tatsächlich, als riefe ihm jemand beim Namen: „Rían. Mein Rían. Wo bist Du? Kannst Du mich hören? Schon so lange suche ich nach Dir! Rían, bist Du da? Rían. Mein Rían.“

Der Ritter stieg auf sein Pferd und ritt dem bezaubernden Klang nach. Er ritt bei Tag und er ritt bei Nacht. Immer weiter und weiter. Bis er schließlich vor einer jungen Frau stand, für deren Schönheit und Anmut er keinerlei Worte finden konnte. Er stand einfach nur vor ihr und schaute sie an und schaute und schaute und schaute.

„Mein Name ist Támlinn“, hob die Fremde mit einer lieblichen Stimme an. In ihrer Hand hielt sie ein silbernes Horn.

„Ich habe von dir gehört! Du bist eine Fee“, erwiderte Rían und Támlinn nickte, „Und das… ist das ein... ein Feenhorn?“

„Es ist ein Feenhorn“, antwortete die Fee, „Und es kommt aus dem Feenreich, sowie auch ich. In vielen Wäldern ließ ich es bereits erklingen, gen Praios und gen Firun, gen Rahja und gen Efferd, doch Du bist der Erste und Einzige, der seinen Klang hörte und ihm folgte.“

Nun schaute Rían ein wenig verdutzt drein. Eine Fee hatte er noch nie gesehen und dann war sie noch so schön, so wunderschön und wie durch einen Zauber, doch ganz ohne jeglichen Einsatz von Magie, verfiel er der Fremden augenblicklich, entbrannte sogleich in heißer und inniger Liebe zu ihr, zu einem Wesen, das so schön war, dass er keine Worte fand um es zu beschreiben und so anmutig, dass er seinen Blick einfach nicht von ihr wenden konnte.

„Ich hab es aus dem Feenreich mitgebracht, von dort komme ich. Dort wurde ich geboren und war Knappin bei der Königin, deren liebste Ritterin ich nun bin. Das Leben dort ist schön und leicht, es gibt keinen Mangel und keine Krankheiten, kein Verderben und keinen Tod. Doch ich sehne mich nach etwas Anderem...“, ihr Blick fiel auf Rían, „... nach etwas, dass ich nur hier in Deiner Welt finden kann. Etwas, dass so allumfassend und so stark ist, dass es mich wieder und wieder in Deine Welt zieht. Ich sehne mich nach der Liebe. Nach Deiner Liebe!“

Rían schluckte angesichts des Geständnisses der Fremden schwer: „Und die Feen, lassen sie Dich denn nicht ziehen?“

„Nicht aus freien Stücken. Wie alle Feen bin ich mit einem Zauber an das Feenreich gebunden, den es erst zu brechen gilt. Bei Tag kann ich zwar durch die Wälder streifen, doch bei Nacht muss ich zurück in meiner Welt sein.“

„Und es gibt keinen Weg, diesen Zauber zu brechen?“

„Doch! Aber nur ein aufrichtiger, tapferer und kluger Recke kann mich befreien. Nur einer, wie Du einer bist, Rían. Du, der Du nicht nur der Einzige bist, der meinen Ruf hörte sondern ihn auch erhörte. Nur Du und nur Du allein kannst mich befreien. Nur Deine Liebe zu mir ist stark genug, um das Band zum Feenreich zu durchtrennen und gleichzeitig ein neues, wesentlich stärkeres zu knüpfen.“

„Ich werde alles tun, alles um Dich aus den Händen der Feen zu befreien, denn Du bist mir das Liebste auf ganz Dere, meine einzig wahre Liebe und mein Leben ist nur vollkommen, wenn Du es mit mir teilst, wenn Du es mit mir auf ewig teilst“, versicherte Rían mit Sehnsucht im Herzen. Und so schworen die beiden sich nicht nur ewige Treue, sondern versprachen sich auch die Ehe.

„In der Nacht zwischen der - wie ihr es nennt - Nacht der Ahnen und dem Tag der Toten musst Du erneut hierher kommen, nur in dieser einen Nacht zur Praiosstunde reitet die Feenkönigin mit ihrem Hofstaat aus. Allen voran reitet die Königin selbst, ihr Pferd mit Glöckchen behängt, dahinter ihre Damen, ihre Knappen und Edelmänner, gefolgt von ihren Rittern und Ritterinnen, unter denen auch ich reite. Unter ihnen allen, wirst Du mich erkennen, an dem schneeweißen Pferd, das ich mein eigen nenne und an dem Handschuh, den ich an meiner Linken trage, nicht jedoch an meiner Rechten. Und dann ist es Zeit, Rían - zieh mich von meinem Pferd und halt mich fest. Ganz fest. So fest Du kannst. Lass mich nicht los. Ganz gleich was geschieht: Lass mich nicht los!“, geradezu flehend sah sie ihn an, „Ihr Schlachtruf wird über Dich hinwegfegen und sie werden mich in etwas abscheuliches verwandeln, wieder und wieder, doch Du musst mich halten, so fest Du kannst, wie auch immer ich aussehe und was auch immer ich sein werde. Sei versichert, was auch immer ich sein werde, niemals werde ich Dir ein Leid zufügen. Niemals. So wirst Du mich für immer aus ihren Händen befreien.“

Erneut versprach Rían all dies zu tun, obgleich er sich fürchtete, denn Feen waren zwar schöne, aber auch unheimliche und nicht zuletzt durchaus gefährliche Wesen und er hatte keinerlei Erfahrung mit ihnen. Er war nicht mehr und nicht weniger als ein einfacher Ritter, der sich nach seiner Liebsten sehnte. Doch sein Herz schlug nur für sie und das machte ihn mutig und stark, denn klug war er immer schon gewesen. So küssten sich die beiden und gingen auseinander.

Und so geschah es: In jener Nacht kam er erneut an diesen Ort, versteckte sich im Schatten des Dornenbaums und wartete. Der Flusslauf glitzerte im sanften Licht des Mondes beängstigend, die Büsche und Sträucher warfen verstörende Schatten auf die Erde und die Bäume raschelten unheimlich mit ihren Ästen. Und als die Praiosstunde kam, da hörte er zuerst die Glöckchen und sah dann ein gleißendes Licht. Zitternd zog er seinen Umhang enger um sich und schaute angestrengt in das Licht. Zuerst kam die Königin, sie war von bezaubernder, aber unnatürlicher Schönheit und ritt auf einem kohlrabenschwarzen Pferd. Ihr folgten ihre Damen, ihre Knappen und Edelmänner, schwatzend und lachend. Den Schluss bildeten ihre Ritter und Ritterinnen, alle gekleidet in das Grün des Waldes und alle mit einem silbernen Horn. Einige ritten auf schwarzen Pferden, einige auf braunen, aber es gab nur ein einziges schneeweißes Pferd, nur eines und die Reiterin trug an ihrer Linken einen genauso schneeweißen Handschuh, nicht jedoch an ihrer Rechten. Sie ritt elegant auf ihrem Ross und drehte dabei niemals ihren Kopf, ihr Blick ging immer gerade nach vorne und selbst aus der Entfernung erkannte er sie, erkannte sie an ihrer Schönheit und an ihrer Anmut. Da sprang Rían aus seinem Versteck heraus, riss die Ritterin an ihrem Umhang von ihrem Pferd und hielt sie fest, ganz fest.

„Támlinn ist fort!“, rief die Königin, deren kohlrabenschwarzes Pferd auf die Hinterhand sprang nur um dann von ihr zum Stehen gebracht zu werden, „Támlinn ist fort!“

Und der Blick der Königin fiel auf Rían, der Támlinn fest umschlungen hielt. Da verwandelte sich seine Liebste plötzlich in einen großen, grauen Wolf, der sich heftig zur Wehr setzte und immer wieder nach ihm zu schnappen versuchte. Doch er ließ sie nicht los. Er hielt sie fest. Ganz fest. Im nächsten Augenblick war sie ein brennendes Strohbündel, dessen Flammen in seinen Ohren knisterten und ihn zu versengen drohten. Doch er ließ sie nicht los. Er hielt sie fest. Ganz fest. Dann hielt er unvermittelt eine riesige Schlange, die sich aufgeregt züngelnd aus seinen Armen zu winden versuchte und die er nur mit größter Mühe darin hindern konnte. Doch er ließ sie nicht los. Er hielt sie fest. Ganz fest. Nun verwandelte die Königin seine Liebste in eine Krähe, die mit ihrem spitzen Schnabel nach ihm zu hacken und mit heftigen Flügelschlägen gegen sein Gesicht das Weite zu suchen versuchte. Doch er ließ sie nicht los, schloss seine Augen und ließ nicht los. Er hielt sie fest. Ganz fest. Da verebbten plötzlich die Flügelschläge. Er schlug seine Augen auf und erkannte in der Krähe seine einzig wahre Liebe, die er noch immer fest in seinen Armen hielt.

Da drehe sich die Königin um, sie hatte verstanden, dass sie verloren hatte. Sie verwandelte Támlinn in ihre eigentliche Gestalt zurück und rief: „Rían, Rían, wenn ich gestern gewusst hätte, was ich heute weiß, dann hätte ich meiner Tochter Támlinn ihre blauen Augen genommen und ihr welche aus Glas gegeben; wenn ich gestern gewusst hätte, was ich heute weiß, dann hätte ich meiner Tochter Támlinn ihr liebendes Herz genommen und ihr eines aus Stein gegeben; wenn ich gestern gewusst hätte, was ich heute weiß, dann hätte ich meine Tochter Támlinn niemals auf diesen Ausritt mitgenommen und sie wäre auf ewig bei mir geblieben, als mein treueste und beste Ritterin und meine Tochter.“

Da tauchte die aufgehende Praiosscheibe den Horizont allmählich in dunkelblaues, weiches Licht und der Hofstaat der Feenkönigin machte sich eilig daran, seinen Ausritt zu beenden und so verklang das Klingen der Glöckchen langsam in der Ferne, bis es schlussendlich erstarb. Da hielt Rían Támlinn noch immer in seinen Armen und er hörte niemals damit auf.

Quellen

Frei nach den Erzählungen

Im Zeichen der Krähe

Im Anflug

1028

Gegen Mittag waren sie von der Otterburg aus aufgebrochen, da war der Himmel schon Wolkenverhangen gewesen. Bald darauf hatte es heftig zu regnen begonnen und Vater und Tochter hatten eilig Schutz unter einem Felsvorsprung gesucht. So standen sie nun da, blickten in den Regen hinaus, lauschten und warteten.

„Mutter wird bestimmt schrecklich weinen... ?“, verunsichert blickte das braunhaarige Mädchen zu ihrem Vater auf. Dieser war etwas überrumpelt, hatte er doch immer geglaubt, Rianod hätte ihre Tränen erfolgreich vor ihren Mädchen versteckt. Dem war aber wohl nicht so...

„Sie hat damals doch bei Ailsa schon geweint! Und als Scanlail dann auf die Bardenschule ging, da hat sie noch viel mehr geweint. Sie hat selbst bei Tara geweint. Mutter wird auch jetzt weinen...“, fuhr sie fort und schaute geradezu nachdenklich in den Regen. Ein paar verirrte Tropfen liefen an ihrer schwarzen Cappa hinab. Die Pferde machten sich über das wenige, aber feuchte saftig grüne Gras her.

„Sie...“, sein Herz war schwer, „...sie liebt euch eben und daher fällt es ihr schwer, von euch Abschied zu nehmen.“

„Ich weiß“, erwiderte sie geradezu stolz, „Ich weiß. Aber Ihr habt mich doch auch sehr lieb und trotzdem weint Ihr nicht, Vater.“

Der Ritter blickte zu seiner Tochter herab und fühlte sich ertappt. Es war nicht das erste mal, dass es ihm so ging. Es schien manchmal gerade so, als könnte sie in einen hineinschauen. Ob seine Tochter ein Talent dafür hatte? Ein besonderes Talent? Ein unheimliches Talent?

„Ich...“, stammelte er nur, „Ich...“

Nun blickte auch er in den Regen und wusste so gar nicht, was er nun eigentlich sagen oder nicht sagen sollte oder vielleicht sogar musste. Wenn nicht jetzt der geeignete, der richtige Zeitpunkt war, wann würde er dann sein?

Der Regen lief ihm durch sein dunkles, kurzes Haar. Er schluckte schwer. Wie sollte er mit seiner Tochter über etwas sprechen, über das er nicht einmal mit seiner Frau hatte sprechen können? Dabei war es sich nicht einmal sicher, ob sie nicht vielleicht etwas ahnte. Ja, vielleicht. Vielleicht hatte es eine stillschweigende Übereinkunft zwischen ihnen beiden gegeben, nicht über etwas zu sprechen, was keiner von ihnen verstand. Schweigen gegen Schweigen.

„Als du geboren wurdest, war es tiefer Winter. Wir waren eingeschneit. Du weißt ja, wie die Winter hier oben auf dem Greifenpass sind. Es war so ein Winter, er war nicht anders als andere auch: Wir waren abgeschnitten und vollkommen auf uns alleine gestellt“, hob er an und dachte etwas wehmütig an jenen Winter zurück. Eine unangenehme Gänsehaut begann seine Arme hinaufzukriechen.

„Es war in solch einem Winter, da wolltest du unbedingt geboren werden, dabei hättest du noch Zeit gehabt. Du warst so klein, Nurinai, so winzig und so schwach, nicht einmal geschrien hast du. Deine Mutter lag drei Nächte und zwei Tage in den Wehen und nichts was die Heilkundige versuchte, konnte ihr Linderung verschaffen und auch ich konnte nur zusehen, hilflos zusehen. Dann in der dritten Nacht – es war ganz still, so still als würde ein jeder den Atem anhalten – da kamst du zur Welt. Niemand sagte etwas, aber wir alle wussten, wie es um dich stand. Alle weinten. Du warst so schwach, dass du nicht einmal trinken konntest. Wir alle waren so erschöpft, wir weinten uns in den Schlaf. Aber ich, Nurinai, ich konnte nicht schlafen. Ich konnte einfach nicht schlafen, obwohl ich so schrecklich müde war. Ich wollte dich nicht verlieren! Natürlich hab ich versucht durch den Schnee zu kommen, aber ich musste einsehen, dass es nur meinen eigenen Tod bedeutet hätte und da war ja noch deine Mutter und deine beiden Schwestern...“

Er schluckte schwer und Tränen glitzerten in seinen Augen. Der Regen war inzwischen schwächer geworden.

„Und dann...“, fuhr er fort und versuchte die Gänsehaut von sich abzuschütteln, wie man Staub aus seinen Kleidern schüttelte, „...es war mitten in der Nacht, da klopfte jemand an die Tür. Ich wachte auf, ich war wohl doch eingenickt. Es war ein lautes, durchdringendes Klopfen und dennoch rührte sich nichts und niemand im Haus. Deine Mutter schlief. Sie hatte sich in den Schlaf geweint. Du lagst noch immer in ihren Armen. Es klopfte wieder und wieder und mit jedem mal unnachgiebiger. Ich ging also und fragte durch die geschlossene Tür: ‚Wer ist da?‘

‚Eine reisende Geweihte, die Obdach für die Nacht sucht‘, wurde mir erwidert.

Ich öffnete und erkannte tatsächlich eine Geweihte und war im ersten Augenblick so entsetzt, dass ich ihr die Tür wieder vor der Nase zuschlug. Ich zitterte am ganzen Körper, mir war schrecklich übel, doch ich besann mich und ließ sie schlussendlich ein.

‚Golgari ist schon unterwegs, Euer Gnaden, da trifft es sich vielleicht ganz gut, wenn er hier auf eine Dienerin des Schweigsamen trifft‘, sagte ich.

Sie schenkte mir ein warmes, jedoch zurückhaltendes Lächeln: ‚Früher oder später ereilt uns alle dasselbe Schicksal.’

‚Einen Grabsegen werdet Ihr ja wohl sprechen können‘, entgegnete ich ihr verbittert.

Wieder lächelte sie: ‚Ihr habt viel geweint, Hoher Herr, und seht erschöpft aus, was immer euch und die Euren auch belastet, ich kann Euch zur Seite stehen, denn wir Diener des Herrn Boron sind für wesentlich mehr da, als dafür Tote zu verscharren, vor allem wenn man nicht irgendeine Geweihte ist, sondern eine Etilianerin.‘

Erst da erkannte ich die zwei silbernen einander zugewandten Raben. Ich war zugegebenermaßen ein wenig verdutzt, hatte zwar schon von den Etilianern gehört, aber noch nie einen gesehen und das obwohl es sehr viele Boron-Geweihte im Kosch gibt. Ich bat sie also nach dir und deiner Mutter zu sehen und was sie fand, war noch schrecklicher als ich erwartet hatte. Als sie die Decke deiner Mutter zurück schlug, lag sie in ihrem eigenen Blut...“, seine Stimme brach, er wischte sich die nahen Tränen aus den Augen, „Sie schenkte mir ein warmes Lächeln und schickte mich warmes Wasser holen. Das tat ich, brauchte aber eine Ewigkeit bis ich die Glut entfacht hatte und noch einmal genauso lange bis das Wasser endlich warm war. Dann badete sie dich und wusch deine Mutter.

Als sie damit fertig war, sagte sie: ‚Ihre Frau und ihre Tochter brauchen nun Ruhe. Lasst sie schlafen, Hoher Herr, und vertraut auf die Götter.‘ Es fiel mir schwer, aber was blieb mir anderes übrig?”

Er zuckte mit den Schultern.

„Sie bat um etwas zu essen, ich gab ihr Wurst, Brot und Käse und saß noch zusammen mit ihr in der Küche. Dort fiel ihr die Wunde an meinem Handrücken auf.“

Er hielt seiner Tochter seinen rechten Handrücken entgegen und mit ihren zarten Fingern fuhr sie über die feine Narbe und wie all die Götterläufe zuvor, durchfuhr sie ein merkwürdiges Kribbeln, wenn sie der feinen Linie in der Haut ihres Vaters folgte. Es war genau genommen mehr als ein Kribbeln, ein merkwürdiger Schauder. Diese Narbe hatte ihr Vater schon, seit sie sich erinnern konnte, schon immer.

„Dann... dann war es also gar kein Hund, der Euch gebissen hat, Vater?“, mit ihren unschuldigen blauen Augen schaute sie ihn an. Ihre Finger ruhten noch immer auf der Narbe.

„Ich muss es wohl selbst gewesen sein“, erwiderte er schulterzuckend und versuchte sich ein Lächeln abzuringen, „Obgleich ich mich nicht daran erinnern kann. Die Wunde war tief. Sie nähte sie. Ich spürte keinen Schmerz. Dann aß sie. Das ist das letzte, an das ich mich erinnere, bevor mich am nächsten Morgen das Geschrei eines Kindes weckte...“

„Das war ich, nicht wahr? Das war ich?“

Der Ritter nickte und Tränen liefen über seine Wangen: „Das warst du, Nurinai. Du schriest aus Leibeskräften und hattest erbärmlichen Hunger. Und auch deiner Mutter ging es besser, noch immer etwas schwach, aber...“

Er hielt einen Augenblick inne.

„Ich vergaß die Geweihte. Die Freude war zu groß. Am Abend jedoch, als ich zur Ruhe kam, da sah ich zum ersten Mal dieses Amulett – diesen schwarzer Karneol – um deinen Hals und ich erinnerte mich. Doch von der Geweihten gab es keine Spur. Es schien mir so, als wäre sie nie da gewesen. Doch jemand hatte etwas von Wurst, Käse und Brot gegessen. Jemand musste die Wunde an meiner Hand versorgt haben und jemand musste euch – deiner Mutter und dir – das Amulett umgelegt haben. Ich ging nach draußen, suchte Spuren. Doch der Schnee lag noch genauso da wie zuvor – strahlend weiß und makellos. Und weil ich keine Erklärung fand, habe ich nie jemand davon erzählt, denn ich war ja der Einzige, der sie gesehen und mit ihr gesprochen hatte.“

Mit großen Augen blickte Nurinai ihren Vater an.

„Manchmal, ja manchmal da bin ich mir einfach nicht sicher, ob... ob es nicht vielleicht doch nur ein Traum... nur Einbildung, nur... nur ein Wahn war. Aber dann, dann muss ich wieder an all die Ungereimtheiten, an all die... Fehler denken. Es kann nicht nur ein Traum gewesen sein, aber was war es dann?“

Er zuckte mit den Schultern.

„Ich habe an den Tempel in Punin geschrieben, der einzige Tempel der Etilianer. Ich wollte wissen, wer die Geweihte war und so schickte ich einen Brief mit ihrer Beschreibung und der Bitte, mir doch ihren Namen mitzuteilen, damit ich mich bei ihr persönlich Bedanken konnte. Ich wollte ihr doch nur meinen Dank aussprechen und davon erzählen, dass es deiner Mutter und dir gut ging. Ich schwöre dir, mehr wollte ich nicht. Doch sie konnten mir nicht sagen, wer es gewesen war. Die Etilianer sind viel unterwegs, fast ausschließlich reisende Geweihte. Aber sie versicherten mir, sich umzuhören. Ich hörte nie einen Namen, sie fanden nie heraus, wer es war. Mir scheint es gar manchmal so, als hätte es diese Geweihte gar nicht gegeben.“, er lachte und schüttelte angesichts seiner gerade getätigten Aussage seinen Kopf, „Seit dem spendete ich jeden Götterlauf eine größere Summe an die Etilianer – immer um deinen Tsatag.“

Da begann seine Tochter herzzerreißend zu weinen. Er schloss sie in die Arme. „Du brauchst nicht zu weinen! Nicht weinen, Nurinai!“, versuchte er sie zu beruhigen, „Nichts davon ist wichtig und für nichts davon kannst du etwas. Das einzig was zählt ist, dass du da bist, dass du lebst!“

Er hauchte ihr einen Kuss auf die Wange: „Vielleicht verstehst du jetzt, warum deine Mutter immer so weinen muss, wenn sie eine ihrer Töchter gehen lassen muss und warum sie es einfach nicht geschafft hat – bei keiner von euch – euch richtig zu verabschieden.“

„Ich hab euch so lieb!“, konnte das Mädchen nur wimmern, „So lieb! Einfach so lieb!“

Da hörte der Regen auf, die Wolken hatten die Praiosscheibe wieder frei gegeben, die nun ihre Tränen trocknete und ihre Herzen mit Zuversicht und Wärme erfüllte. Sie ritten weiter und sangen zusammen. Sie sangen ein altes koscher Wiegenlied.

Sie bogen von der Reichsstraße auf einen schmalen Pfad, dem sie ein ganzes Stück ins Gebirge hinein folgten. Doch irgendwann tauchte der in den bloßen Fels gehauene Tempel vor ihnen auf und Darian wurde mehr und mehr bewusst, dass der Augenblick der Trennung nahe war.

„Vielleicht darfst du das Amulett behalten, wenn du ihnen erzählst, dass du es von einer Geweihten erhalten hast, aber ich kann das natürlich nicht beweisen, ich kenne ja nicht einmal den Namen der Geweihten...“, schlug der Vater vor und hoffte seine Tochter würde ihn bei dieser Lüge nicht ertappen. Tat sie auch nicht. Sie umfasste das Amulett fest mit ihrer Rechten und erklärte mit einer Gewissheit, die ihn erschaudern ließ: „Sie hieß Nurinai, so wie ich.“

Ein Windhauch erfasste das braune Haar des Mädchens. Ein Windhauch, von dem der Vaters nichts spürte. Seltsam ergriffen blickte er zum Tempel.

Landung

[Ankunft im Tempel]

Federn lassen

Wie das Wasser nach einem kurzen Regenschauer in die Erde sickerte, so sickerte die Stille ganz langsam und allmählich in Darian von Trottweiher hinein. Ausgehend von den Zehen begann sie ihn zu durchdringen, füllte ihn immer mehr und mehr aus. Erst macht es ihn ruhig. Ganz ruhig. Sein Atem ging langsamer, seine Gedanken auch. Die Stille hatte etwas Beruhigendes. Er lauschte seinem Herzschlag, seinem eigenen Atem, nahm sich bewusster wahr als je zuvor.

Doch dann stieg die Stille immer weiter, stieg wie der Wasserpegel bei einer Flut, immer höher und höher und riss alles mit sich und die Strömung förderte selbst das zutage, was so lange am Grund getrieben hatte – Unterbewusstes und den unüberwindbaren Drang selbiges endlich auszusprechen.

Und da war er plötzlich, der Praetor. Ganz dicht neben ihm, als habe er gewusst, dass er reden wollte. Ob es so wie bei Nurinai war? Die gewisse Dinge einfach wusste?

„Ich muss mit Euch sprechen, Euer Hochwürden“, hob Darian da leise an, „Es geht um... um meine Tochter. Es gibt da etwas, was Ihr noch nicht wisst, aber... aber was Ihr wissen solltet, weil... weil ihr Leben daran hängt. Das Leben meiner Tochter. Denn sie ist nicht, wie andere. Sie ist... etwas Besonderes.“ In diesem Moment klang er selbst in seinen eigenen Ohren nur wie ein besorgter überfürsorglicher Vater, dem er kein einziges Wort glauben würde.

Er ließ sich jedoch davon nicht beirren und erzählte ihm leise die Geschichte rund um die Geburt Nurinais, so wie er sie zuvor auch seiner Tochter erzählt hatte, doch ihm verschwieg er die Wahrheit nicht: „Sie hat mir ihren Namen genannt, gesagt habe ich das nie jemanden und mit meiner Tochter erst auf dem Weg hierher über ihre Geburt gesprochen. Ich musste mit ihr sprechen, wenn nicht jetzt, wann denn dann? Doch die ganze Wahrheit konnte ich ihr nicht sagen, das brachte ich einfach nicht über mich, weil... weil ich die Ereignisse selbst nicht so recht verstehe, wie sollte ich sie da meiner Tochter erklären?“

Er hielt einen kurzen Moment inne, bis die Stille um ihn herum zu drückend wurde.

„Nurinai, so hieß sie. Zumindest stellte sie sich so vor. Nurinai, wie meine Tochter. Ein seltsamer Zufall, findet Ihr nicht? Oder war es gar kein Zufall? Vielleicht nur Einbildung? Im Nachhinein betrachtet, habe ich mich oft gefragt, was in dieser Nacht Traum und was Wirklichkeit gewesen ist, was Einbildung und was nicht? Aber das jemand in meinem Haus war, das stand außer Frage. Doch wer? Wer war es? Da waren schließlich keine Spuren im Schnee und ich war der Einzige, der sie gesehen oder gar mit ihr gesprochen hatte. Ich verschwieg die Ereignisse der Nacht, was hätte es auch geändert? Wichtig war doch, dass meine Frau und auch meine Tochter am Leben waren. Sie lebten! Gerettet von einer Dienerin des Herren von Tod und Schlaf.“

Darian macht eine Pause und holte Atem. Die ganze Geschichte zu erzählen, ermüdete ihn auf eine merkwürdige Art und Weise oder war es gar Erleichterung? Zum ersten mal seit jener Nacht vertraute er die damaligen Ereignisse jemanden an.

„Mir ließ es trotzdem keine Ruhe. Ich wollte mich bei dieser Geweihten bedanken, ihr davon berichten, wie meine Nurinai wuchs und gedieh. Und so schrieb ich an den Tempel der Etilianer in Punin. Ich schrieb an die Geweihte mit Namen Nurinai, doch...“, seine Stimme brach, „... eine Geweihte mit diesem Namen gab es unter den Etilianern nicht.“

Nun schaute er seinem Gegenüber direkt in die Augen, zog dabei mit zitternden Fingern einen schmalen, abgegriffenen Brief aus seiner Gürteltasche hervor und streckte ihn dem Praetor entgegen.

„Es ist der einzige Beweis, den ich habe“, erwiderte der Ritter, „Abgesehen von meinem Wort.“

Mit zitternden Fingern hielt er noch immer den Brief seinem Gegenüber entgegen.

„Es geht um ihr Amulett, den schwarzen Karneol“, eröffnete er schließlich, „Sie trägt ihn seit jener Nacht, hat ihn nie abgelegt. Sie hat mich nie gefragt, warum sie ihn trägt und seit wann. Ich weiß nicht so recht, warum sie mich nie gefragt hat, aber manchmal scheint sie unterbewusst Dinge zu wissen, die sie nicht wissen kann. Sie spricht ihr Wissen nicht aus, sie handelt einfach. Es ist beängstigend, unheimlich.“

Er schluckte schwer, die Situation war ihm sichtlich unangenehm, schließlich musste er den Praetor bitten für seine Tochter die Regeln zu brechen und konnte dabei nichts weiter ins Feld führen als seine eigene Erinnerung und seine Intuition.

„Ich weiß, dass jegliche Form von persönlichem Besitz verboten ist, Euer Hochwürden, und ich weiß, dass ich gewiss viel von Euch verlange, wenn ich Euch darum bitte, für meine Tochter eine Ausnahme zu machen, ich tu es trotzdem: Bitte lasst ihr das Amulett. Ich will nicht leugnen, dass sie an diesem Schmuckstück hängt, doch noch mehr hängt ihr Leben daran.“

[Antwort des Prätors]

Von Lebenden und Toten

Von Jäger...

... und Gejagten

Unter dem Schleier

Golgaris Ruf

Moorbrücker Sumpf, Phex 1043

„Was tust du hier draußen?“, leise trat Hal von Boltansroden neben sie.

„Ich warte auf den Nebel“, wisperte Marbolieb Tempeltreu und blickte in die Dämmerung.

Der Geweihte fröstelte: „Warum?“

„In meinem Traum...“, erwiderte sie leise, „... bin ich von Nebel umgeben.“ Sie schloss ihre Augen. „Er hüllt mich ein.“ Versetzte sich in ihren Traum zurück. „Vollkommen. Gänzlich.“ Hörbar holte sie Atem. „Er ist so dicht. Undurchdringbar.“ Gänsehaut legte sich über sie. „Es gibt sonst nichts, nur diesen Nebel. Diesen Nebel und mich.“ Sanft wiegte sie ihren Kopf von der einen zur anderen Seiten. „Und dann...“ Sie lauschte in die Stille der sich über sie senkenden Nacht hinein. „... dann sind da Schritte. Erst leise, dann lauter und lauter und lauter. Immer lauter.“ Marbolieb hielt inne. In ihrem Kopf da hörte sie die Schritte. „Doch ich kann niemanden sehen. Dabei höre ich sie neben mir. Ihren Atem.“ Sie stockte. „Ich höre ihren Atem. Kann ihn in meinem Nacken spüren.“ Ihre Nackenhaar stellten sich auf. „Ich weiß, sie ist da. Aber...“ Ihre Stimme brach. „... ich kann sie nicht sehen. Wenn ich nach ihr greife...“ Sie reckte ihre Rechte nach vorne, als packte sie etwas, zog sie zurück und öffnete sie wieder „... dann greife ich stets ins Nichts. Sie ist so nah und doch...“ Einen Moment hielt sie inne. „... so fern. Irgendwie unerreichbar.“ Wieder eine Pause. „Doch sie ist da. Ich weiß es. Irgendwo und...“ Sie zuckte mit den Schultern. „... und irgendwie.“

Nebel war aufgezogen. „Und dann…“ Sie wandte ihren Kopf zum Himmel hinauf. „... dann höre ich ihn. Ich höre ihn rufen.“ Zaghaft schüttelt sie ihren Kopf. „Laut und durchdringen sind seine Rufe.“ Sie keuchte. „Dazwischen... Flügelschläge. Mächtige... kraftvolle... Flügelschläge.“ Es fiel ihr zunehmend schwerer Atem zu holen. „Er ist direkt über mir. Er packt nach mir. Er...“ Marbolieb begann zu zittern. Ihre Stimme nur noch ein leises Hauchen: „Könnt Ihr es denn nicht hören?“

„Was?“, fragte der Geweihte mit gedämpfter Stimme.

„Seine Rufe!“, erwiderte die Novizin verängstigt, „Wie er immerzu ruft: Nirgendmeer. Nirgendmeer, Nirgendmeer.

Hal schüttelte langsam seinen Kopf.

„Er versucht mich zu holen, Bruder“, sie begann zu schluchzen, „Er versucht es. Seine Krallen sind in meinen Fleisch. Jeden Tag drückt er sie weiter hinein. Sein Ruf ist in meinem Kopf. Und jeden Tag ist er eindringlicher.“

„Wer?“, wollte Hal behutsam wissen und berührte Marbolieb an ihrer zitternden rechten Hand, „Wer?“

„Golgari! Es ist Golgari“, ihre Stimme brach, „Und er kommt mich holen, Bruder. Doch... doch ich... ich will nicht sterben! Ich bin doch noch... so jung. Viel zu jung. Ich will... will... leben. Leben!“

Dem Geweihten schnürte es die Kehle zu. Er schloss die Novizin in die Arme, doch ihm fehlten die Worte. Oftmals war der Tod ihm nahe gewesen, oftmals hatte er Trauernde und Sterbende begleitet, doch jetzt, jetzt wo es sein direktes Umfeld, seine Familie traf, da war er starr vor Angst. Was hätte er ihr auch sagen sollen? Sie wusste um die Unausweichlichkeit des Todes. Sie wusste, dass es keine Frage des Alters war. Sie wusste, dass Golgari einen holte, wenn es Zeit war geholt zu werden. Was, wenn nun Marboliebs Zeit gekommen war?

Nebel umfasste sie.

Zerbrich das Rad!

Moorbrücker Sumpf, Phex 1043

In dieser Nacht schlich sich der Nebel auch in seine Träume: Während er dicht von ihm eingehüllt wurde, kreiste ein dunkler Schatten über ihm. Kreis um Kreis zog er. Dunkel zeichnete er sich gegen den hellen Nebel ab. Der Schatten eines Raben. Und immerzu krächzte er: „Mar-bo. Mar-bo. Mar-bo.

Die leise Stimme einer Frau , die da wisperte: „Ich habe versucht es anzuhalten. Doch es riss mich immer wieder mit. Das Rad, es dreht sich weiter. Immer weiter. Ohne Unterlass. Unerbittlich. Ganz gleich was geschieht.“ Finger, die sich zwischen seine Augen legten. „Das Rad, es muss zerbrochen werden. Jemand muss es zerbrechen. Jemand muss...“ Sie hielt einen Moment inne. „Sonst wird es nicht enden. Sonst wird es auf ewig weiter rollen. Sonst wird...“ Ihre Stimme wurde noch leiser.

Über ihm wieder der Schatten des Raben. Er rief: „Mar-bo. Mar-bo. Mar-bo.

„Als ich Dich zum erste Mal sah, so verhüllt in tiefes Schweigen, so gespenstisch stumm und her. Dein Haupt war kahl geschworen.“ Eine Hand fuhr ihm über seinen kahlen Schädel. „Doch bist als Rabe nicht geboren. Ich sprach: Sag dunkler Vogel kommst du denn von Dere her? Und was ist Dein Namen dorten in der Geister Nirgendmeer?[1]

Der Schatten des Rabens über ihm begann zu taumeln. Er schrie aus Leibeskräften, als ging es um sein eigenes Leben: „Mar-bo. Mar-bo. Mar-bo.

Ihre Stimme war nur noch ein leises Säuseln: „Verzeih mir.“ Ein Schluchzen entrann ihrer Kehle. „Verzeih mir.“ Der Druck ihrer Finger wurde stärker.

Der Rabe stürzte einem Stein gleich zu Boden. Seine kleinen Knochen brachen. Zerschmettert lag er da. Doch zuvor hatte er noch ein letztes mal zu kreischen vermocht: „Mar-bo. Mar-bo. Mar-bo. Marbo-lieb.

Er schrie.

„Du musst das Rad zerbrechen“, dröhnte ihre Stimme in seinem Kopf. Ihr Finger bohrten sich in sein Fleisch. „Zerbrich es! Zerbrich ihr Rad! Zer...“

Trenner Greifenpass.svg

Nach Marbolieb schreiend erwachte Hal von Boltansroden schweißgebadet. Die Novizin saß da bereits auf seiner Bettkante, schaute ihn mit ihren funkelnden dunklen Augen unter ihrem Schleier heraus an. Eine einsame Kerze stand auf der Truhe hinter seinem Bett und versuchte vergeblich die Dunkelheit zu vertreiben.

„Räblein“, wisperte der Geweihte mit zugeschnürter Kehle, setzte sich eilig auf und schloss sie in seine Arme, „Ach Räblein. Mein Räblein.“

„Die Frau im Nebel“, raunte sie ihm leise zu, „Sie war auch in Euren Träumen, nicht wahr?“

„Ja“, erwiderte er tonlos, „Sie war da.“

„Und der Rabe?“, sie löste sich aus seiner Umarmung, „Er doch gewiss auch? Was...“ Marbolieb stockte einen Moment. „... was hat er... gerufen?“

In die Augen des Geweihten stiegen Tränen. Unkontrolliert begannen sie seine Wangen herunterzurinnen. Er brachte es nicht über sich ihr zu sagen, dass der Rabe ihren Namen gerufen hatte: Marbolieb.

Der Willen der Götter

Von Jägern

Greifenpass, 15. Rondra 1043

Zoran Schwarzland jagte ein kalter Schauer den Rücken hinab. Aufmerksam blickte er zum Rand der kleinen Lichtung, die sie gerade querten. Auch sein Pferd schien auf irgendetwas aufmerksam geworden zu sein. Sichtlich nervös drehte es die Ohren in Richtung Wald. Und noch in jenem Augenblick, in dem der Mendener eine Bewegung im dichten Unterholz auszumachen glaubte, breitete sich eine schmerzhaft Gänsehaut über seinen gesamten Körper aus. Er drückte seinem Pferd die Hacken in die Seite und preschte los, die Saufeder nach vorne gerichtet.

Im selben Augenblick brach etwas aus dem Wald heraus. Trockenes Unterholz zerbarst. Splitter, Laub und Zweige erfüllten die Luft. Ein mächtiges, donnerndes Brüllen fegte über sie hinweg. Zorans Pferd stieg panisch auf die Hinterhand, der Knabe verlor die Kontrolle, stürzte mit einem Schrei zu Boden und blieb einen Wimpernschlag lang reglos liegen. Es war sein Instinkt, der ihn zurück ins Diesseits brachte, und ihn vor der Gefahr über ihm warnte. Im letzten Augenblick gelange es ihm, sich einen Schritt auf den Boden Richtung Wald zu rollen. Und währenddessen sah er einen riesigen, dunklen Schatten über sich. Er hätte nur die Hand auszustrecken brauchen um ihn zu berühren. Wenige Finger neben ihm, kam der kräftige Leib der Bestie auf. Zoran wagte kaum zu atmen. Seine Saufeder lag unerreichbar für ihn einige Schritt weit entfernt. Über ihm zeichnete sich ein dunkler Schatten ab: Der kräftige, buschige Schwanz eines Wolfes. Eines riesigen Wolfes. Er schluckte. Noch nie hatte er so etwas gesehen.

Nale von Boltansroden und ihr Knappe Fernando von Graytenau hatten ihre Saufedern in Richtung Wald erhoben. Die kleine Pagin Alinja von Pul saß wie erstarrt auf ihrem Pony, ihre smaragdgrünen Augen auf den Tumult am nahen Wald gerichtet. Da löste sich ein dunkler Schatten aus dem Durcheinander. Er sprang direkt auf sie zu. Nale und Fernando preschten los. Doch die Kreatur sprang in einem großen Satz einfach über sie hinweg und direkt auf die Pagin zu. Für das Mädchen gab es kein Entkommen. Sie hatte nicht einmal Zeit zum Schreien gehabt. Erbarmungslos wurde sie mitsamt Pony von dem Untier gepackt und mitgerissen.

Nale und Fernando machten kehrt. Zoran rappelte sich auf, ergriff seine Saufeder und lief los. Alinja schrie. Ein entsetzlicher Schrei, der ihnen das Blut in den anderen gefrieren ließ. Knochen brachen. Dann senkte sich einen Moment eine beängstigende Stille über alles und bevor die Angst in ihr Innerstes zu kriechen vermochte, donnerte die Stimme der Baronin über sie alle hinweg: „Für RONDRA!“ Da wandte sich das Tier um. Aus seinen großen bernsteinfarbenen Augen blickte es sie bedrohlich an, bleckte seine Zähne. Blut tropfte aus seinem Maul. Viel Blut. Zu viel Blut. Mit einem Knurren setzte es sich in Bewegung, hielt direkt auf Nale und Fernando zu. Weder Schwertmutter noch Knappe wichen aus.

Zoran hörte, wie das Blut durch seine Adern rauschte. Sein Herz pochte heftig in seiner Brust. Er beschleunigte noch einmal seine Schritte. In einiger Entfernung die beiden Reiter. Dann ein furchterregendes Brüllen. Eine der Saufedern steckte im rechten Auge der Bestie. Noch im selben Moment warf das Untier sich im vollen Lauf gegen das Pferd der Baronin. Nale schrie auf. Pferd und Reiterin wurden durch die Luft geschleudert.

Nales Schrei hörte Zoran nicht. Er schrie selbst. Laut brüllte er seine Wut – oder vielleicht auch nur seine Angst? – hinaus. Er lief noch schneller. Herrin Nale, schoss es ihm dabei durch den Kopf, sie hatte ihn damals in Mendena vor dem Scheiterhaufen bewahrt. Sie war die Einzige, die an ihn geglaubt hatte. Sie war die Einzige, die sich für ihn eingesetzt hatte. Sein ganzes Leben lang war er den schrecklichen Launen seines Vaters ausgesetzt gewesen und dessen weitaus schrecklicherem Glauben, einem der Gewalt und Verstümmelung und Blut und noch mehr Blut forderte. Doch dann war sie gekommen. Und sie hatte ihn von Beginn an in ihr Herz geschlossen. Jemanden wie ihr, war er noch nie begegnet. Deswegen musste er sie beschützen, wie sie ihn beschützt hatte. Er musste!

und Gejagten

Greifenpass, 15. Rondra 1043

Reglos blieb die Baronin liegen. Fernando setzte dem Untier nach. Er musste seine Schwertmutter schützen. Mit gezogenem Kurzschwert. Seine Saufeder steckte noch immer in dessen Auge, inzwischen mit abgebrochenem Schaft. Er drückte Raa die Hacken in die Seite. Sein Pferd preschte nach vorne. Fest hatte er sein Kurzschwert umfasst. Da bemerkte das Untier ihn, wandte sich um und stürzte auf ihn zu.

Im Lauf sah Zoran, wie der Knappe auf seinem Pferd von dem Untier zu Boden gerissen wurde. Er lief weiter. Immer weiter. Spürte nicht einmal mehr, wie seine Füße die Erde unter ihm berührten. Noch immer brüllte er. Noch immer wütete es in ihm. Er konnte… nein, durfte nicht zulassen, dass seiner Herrin oder seinem Freund etwas widerfuhr. Inzwischen hatte das Untier ihn bemerkt. Doch Zoran lief weiter auf es zu. Die Saufeder direkt auf es gerichtet.

Wie viel Elend und wie viel Leid hatte der Knabe erleben müssen? Wie viel Schmerz und Pein? Und dann war eine Fremde gekommen und hatte ihm etwas geschenkt, was er bis dahin nicht gekannt hatte: Liebe. Einfach so. Ohne das er dafür etwas getan hatte. Einfach so. Ohne dass er ihr jemals etwas zurückgegeben hatte.

Mit einem gezielten Stoß stieß er seine Saufeder in das andere Auge der Bestie. Voller Schmerz schrie das Untier auf und begann den Mendener mit seinen riesigen Pranken in blinder Wut zu malträtieren. Er schrie. Dieses Mal vor Schmerz. Versuchte verzweifelt zumindest seinen Kopf zu schützen, während mächtige Kralle seine Haut aufrissen und ihm tiefe Wunden zufügten. Fernando eilte ihm zu Hilfe. Stach mit seinem Eberfänger auf das Untier ein und fing sich doch nur seinen Zorn ein.

Nur langsam gelang es den beiden Knaben sich von dem Untier zur noch immer am Boden kauernden Baronin zurückzuziehen. Immer wider sahen sich sich erneuten Angriffen ausgesetzt. Musste dem stinkenden, riesigen Maul mit den großen Zähnen ausweichen. War das Untier zuvor aggressiv gewesen, war es nun unberechenbar. Ziellos biss und kratze es. Erwischte immer wieder einen der beiden. Hinterließ wiederholt tiefe, stark blutende Wunden.

Doch sie schafften es. Zogen sich zur Baronin zurück. Aber das Untier konnte sie wittern. Sehen konnte es zwar nichts mehr. Aber riechen. Ob es der Geruch ihrer Körper war? Ihr Schweiß? Ihre Angst? Oder doch das Blut, das aus zahlreichen Wunden sickerte?

Schützend stellte sie sich vor die Baronin. Von den Krallen des Untiers gezeichnet. Keuchten. Wischten sich das Blut aus ihren Gesichtern. Die Welt war unnatürlich stumm um sie herum geworden. Sie hören nur noch ihr Blut, wie es durch die Adern rauschte. Nur noch ihr eigenes Blut. Sie wussten, sie würden die Baronin schützen müssen. Schützen um jeden Preis. Das war ihre Aufgabe.

Unter Aufbietung all ihrer Kräfte und all ihres Mutes stellten sie sich zum alles entscheidenden Kampf der Bestie gegenüber. Mit ihren Eberfängern in ihren Händen liefen sie brüllend auf das auf sie zuhaltendes Untier zu. Und plötzlich umfing sie gleißendes Licht...

Von Lebenden

Greifenpass, 15. Rondra 1043

„HERR PRAIOS“, ertönte die Stimme des Braniboriers, „EWIGE SONNE; TRENNER VON RECHT UND UNRECHT! GEPRIESEN SEI DEINE MACHT. DEIN STRAFENDER BLICK TREFFE AUF DIESES UNTIER! ES SEI!“

Da stieß ein gleißender Lichtstrahl vom Himmel herab. Instinktiv blieb Zoran stehen, bedeckte mit seiner Hand seine Augen und verstand nicht. Noch nie hatte er so ein helles, warmes Licht gesehen. Es umfasste ihn auf eine unbekannte Art und Weise. Staub begann auf ihn herabzurieseln. Der Knabe verstand nicht. Das Licht blieb. Blieb eine ganze Zeit. Und er schaute wie gebannt hinein. Dem rieselnden Staub entgegen. Eine kräftige Hand umfasste die Zorans. Instinktiv glitt sein Blick zur Seite. Ein hünenhafter Kämpfer in Rüstung stand neben ihm. Sein braunes Haar lugte unter seinem Helm hervor. Langsam wandte er seinen Blick auf den Mendener. Mit seinen blauen Augen blickte er ihn an und sagte mit kräftiger Stimme: „Diese Schlacht ist geschlagen. Es werden noch weitere folgen. Sei stets bereit. Setzte dich für jene ein, die sich nicht schützen können. Ehre den Namen unserer Herrin.“ Er hielt einen Moment inne. „Es waren nicht die Götter allein, die dir dieses Leben ein weiteres Mal geschenkt haben. Es war auch deine Herrin. Vergiss das nicht. Vergiss da niemals. Und vergiss auch nicht, sich ihrer würdig zu erweisen. Und nun geh! Geh zu deiner Herrin.“ Daraufhin wandte sich der Knabe um und trat immer mehr und mehr aus dem Licht heraus. Ein letzter Blick zurück offenbarte ihm allerdings lediglich einen dunklen Schatten. Er ließ das Licht weiter hinter sich zurück. Seine Schritte beschleunigten sich. Stetig schneller werdend ließ er das verblassende Licht hinter sich. „Herrin Nale“, rief er immer wieder, „Herrin Nale.“

Die Baronin kauerte am Boden. Hielt sich ihren leicht gewölbten Leib. Unter ihr schimmerte ein blutrote Pfütze. Einen Moment stockte dem Knaben der Atem. Wie hatte er es nur vergessen können? Wie hatte er vergessen können, dass die Baronin erneut ein Kind erwartete? Noch immer war die Welt um Zoran herum still. Er konnte ihre Schreie nicht hören, aber er konnte sie fühlen. Tief in seiner Seele spürte er, wie etwas zerbrach. Er stürmte an ihre Seite. Erst da bemerkte er den Braniborier. Und als ihre Blicke sich trafen, begriff der Knabe das es zu spät war. Zu spät um Alinja zu retten und zu spät um das ungeborene Kind seiner Herrin zu retten. Es war… zu spät. Da ergriff der Knabe die Hand der Frau, die ihm vor den Scheiterhaufen bewahrt hatte, mit der anderen Hand strich er ihr das feuchte Haar aus dem Gesicht. In ihren Augen stand die Angst. Angst, wie er sie noch nie gesehen hatte.

„Ich lasse Euch nicht allein“, erklärte er ihr mit fester Stimme, „Ihr habt an mich geglaubt, als mich alle aufgegeben hatten. Nun ist es Zeit, dass ich an Euch glaube!“

Fernando preschte mit dem Pferd des Braniboriers nach Trottweiher.

und Toten

Greifenpass, 15. Rondra 1043

Zoran hielt das winzige Bündel, das hätte leben und nicht sterben sollen. Er hielt es fest, ganz fest. Er ließ es nicht los. Selbst als sie endlich auf Schloss Libellensee angekommen waren, hielt er es noch immer. Er gab es auch nicht her. Ließ es sich nicht abnehmen. Nicht einmal von Hochwürden. Man ließ ihn gewähren. Es gab wichtigeres zu tun. Die Baronin rang um ihr Leben. Und die Geweihten taten alles um zumindest das ihre zu bewahren. Gewiss war jedoch auch das nicht.

Es waren die beiden Knaben, die die Totenwacht hielten. Doch sie waren nicht allein. Eine Geweihte der Sturmherrin schloss sich ihnen an. Olja von Pul war bereits auf Schloss Libellensee gewesen. Es war den Knaben als hätte sie auf sie und die beiden Toten gewartet. Sie grüßte sie mit dem Rondragruß und die beiden grüßten zurück. Keiner von ihnen hatte das Bedürfnis zu sprechen und so sprachen sie nicht. Dann wachten sie gemeinsam. Wachten über die Toten. Über das Ungeborene und die junge Pagin. Beiden hatte Golgari viel zu früh holen müssen.

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„Wer kämpft...“, hob die Geweihte so leise sie konnte an, um die beiden Knaben nicht zu wecken, „... der muss auch schlafen.“ Geradezu sanftmütig blickte sie zu den beiden Knaben zu ihren Füßen hinab. Dicht schliefen sie nebeneinander, hatten sich sogar an den Händen gefasst. Die Geweihte hatte ihren Umhang schützend über sie ausgebreitet.

Darian von Trottweiher nickte ernst und blickte auf die beiden Knaben.

„War Eure Suche erfolgreich, Hochgeboren?“, wollte die Geweihte wissen.

Noch ernster schüttelte der Vogt seinen Kopf: „Wir werden morgen weitersuchen. Heute ist es zu dunkel. Die Gefahr zu groß. Das dort draußen etwas lauert, das wussten wir schon länger. Es gab immer wieder Übergriffe auf das Vieh. Aber das...“ Seine Stimme brach. „Haben sie sich wenigstens ihre Wunden...“

„Ich habe es einfach getan“, erwiderte die Geweihte, „Und nicht lange um Erlaubnis gefragt. Manchmal hilft es sehr, so überzeugend aufzutreten, dass der Gegenüber nicht wagt Wiederworte zu geben.“ Ihr Gesicht wurde erschreckend ernst. „Sie haben bitterlich geweint, Hochgeboren. Ich habe versucht Ihnen Trost zu spenden, aber...“ Nun zuckte sie mit ihren Schultern. „Was kann man denn schon sagen, wenn... wenn Leben und Tod so nahe beieinander liegen? Es war...“ Einen Moment hielt sie inne. „... grässlich. Ich dachte immer, ich hätte alles gesehen, alles erlebt, nichts mehr dort draußen würde an den Grundfesten meines Sein rüttel, aber heute...“

„Ich weiß, Euer Gnaden“, er schenkte der Geweihten ein vielsagendes Lächeln, „Ich habe Alinjas Tod Eurem Bruder und seiner Gattin mitgeteilt. Neasa ist zusammengebrochen. Milja hält sich aufrecht, aber sein Herz ist gebrochen.“

Olja nickte: „Es ist nicht einmal drei Götterläufe her, da haben sie ihren jüngsten, Neerjan, an das Fieber verloren. Es muss schrecklich sein.“

„Kinder sollten nicht vor ihren Eltern sterben“, fügte der Ritter in Gedanken hinzu, „Das sollten sie einfach nicht...“

Eine Zeit lang war es still. Sie übernahmen die Totenwacht anstelle der beiden Knaben.

Als es dämmerte wagte der Vogt endlich das auszusprechen, was ihn die ganze Zeit über beschäftigt hatte. „Euer Gnaden“, hob er an, „Was hat Euch zu jener schweren Stunde hierher geführt? Ich meine... Euer Bruder und seine Gattin wären gewiss froh über eine Stütze wie Euch.“

„Meine Herrin hat mich hierher geschickt oder... geführt“, erwiderte die Geweihte wahrheitsgemäß, „Sie hat einen der Knaben auserwählt.“

Irritiert bedachte Darian die Geweihte: „Fernando?“

Olja von Pul schüttelte entschieden ihren Kopf.

„Zoran?“, hakte der Ritter da vollkommen verdutzt nach.

„Sie hat...“, Gänsehaut legte sich über ihren ganzen Körper, ihr Blick suchte den des Vogtes, „... ihn berührt.“

Vom Ruf der Götter

Greifenpass, 15. Rondra 1043

„Er wird nie... NIE... die Baronin verlassen“, erwiderte Darian von Trottweiher kopfschüttelnd, „Er hängt so sehr an ihr, wie sie an ihm.“

Olja von Pul schaute den Ritter fragend an.

Zoran hat ihr sein Leben zu verdanken. Im Anschluss an die Befreiung Mendenas wollte man ihn verbrennen. Sein Vater war... ein Paktierer. Und auch um Zorans Seele... nun ja... war es auch nicht gerade gut bestellt. Ein Praios-Geweihter aus dem Hinterkosch wollte ihn auf den Scheiterhaufen verbrennen. Er glaubt nur so seine beschmutzte Seele retten zu können. Hochgeboren hat es ganz ohne Feuer geschafft, sie hat dafür nur viel Geduld und den festen Glauben an die Götter gebraucht und damit alle eines besseren belehrt, die ihr Tun zum Scheitern verurteilt sahen.“ Einen Moment hielt er inne. „Ohne die Baronin wäre der Knabe nicht mehr am Leben. Zoran weiß das. Er weiß es ganz genau und deswegen steht er ihr so treu zur Seite und ist bereits sein Leben für das ihre zu geben.“

„Treue gilt auch meiner Herrin als hohes Gut“, erwiderte die Geweihte schlicht, „Treue und der Schutz jener, die sich nicht zur Wehr setzen können. Abgesehen davon bin ich überzeugt, dass sie im Augenblick von dem Knaben nichts erwartet, was er nicht zu leisten bereit wäre. Sehr gut möglich ist jedoch, dass er sich darüber noch nicht im Klaren ist und Zeit braucht.“

Zweifelnd schaute Darian seinen Gegenüber an: „Euer Gnaden, ich will wirklich nicht an Euren Worten zweifeln... ich meine, Ihr habt gewiss einen ganz anderen Einblick in den Willen Eurer Herrin aber... aber... seid Ihr Euch... hm... sicher?“

„Wenn die Sturmherrin jemanden auserwählt und ihn ruft, dann irrt sie nicht, Hochgeboren, sie weiß“, sie schenkte ihm ein vielsagendes Lächeln.

„Euer Gnaden“, er trat näher an sie heran, „Ich möchte Euch in keinster Weise von diesem Vorhaben abbringen, aber… aber er war das, was auch sein Vater war. Versteht Ihr?“ Er blickte sie an und sie hielt seinem Blick stand. „Er war... ein... ein Paktierer, versteht Ihr denn nicht? Die Sturmherrin kann doch nicht wollen...“

„Die Sturmherrin verlangt, was sie verlangt, Hochgeboren. Und wenn sie diesen Knaben in ihre Dienste beruft, dann hat sie gewichtige Gründe. Sie wird sie uns nicht mitteilen, unsere Fragen werde auf immer bleiben, doch ich vertraue ihr. Mein Leben gehört ihr. Sie ist es, die mich erst vollkommen gemacht hat, der Dienst für sie und an ihr. Und warum hätten die Götter so um die Seele dieses Knaben kämpfen sollen, wenn nicht, weil er für sie von besonderer Bedeutung ist? Warum hätte Hochgeboren so für ihn kämpfen sollen?“ Sie hielt einen Moment inne. „Alles fügt sich. Alles hat einen Grund. Habt Vertrauen, Hochgeboren. Der Knabe wird noch einen langen und schweren Weg vor sich haben, aber das alles wird ihn nur noch stärker machen. An Körper und Seele. Wer, wenn nicht er soll für das Gute kämpfen? Er, der doch das Böse selbst erfahren hat? Wer, wen nicht er?“ Stille legte sich über die beiden. „Für meine Herrin ist nicht wichtig, wer man war, sondern wer man ist.“

und dem des Adels

Greifenpass, 15. Rondra 1043

„Auf die Knie“, befahl Nale von Boltansroden. Blass und verheult saß sie nur mit Nachthemd und Haube bekleidet auf der Kante ihres Bettes von ihrem Hofstaat umringt. Ihre Rechte ruhte auf ihrer Schwertscheide, die mit ihrem Schwert neben ihr lag.

Zoran fiel vor seiner Herrin auf die Knie. Seinen Blick hatte er auf den Boden gerichtet. Heftig pochte sein Herz in seiner Brust.

„Lange habe ich darüber nachgedacht“, hob die Baronin mit spröden Lippen und brüchiger Stimme an, „Sehr lange. Ich habe mir meine Entscheidung nicht leicht gemacht. Ich habe mit mir gerungen. Ich... nun kann ich noch nicht einmal aufstehen...“ Sie hielt einen Moment inne. „Mir fehlt einfach die Kraft.“ Tränen glitzerten in ihren Augen. „Ich habe mich immer gefragt, warum... warum die Götter sich dir erbarmt haben, warum sie nicht nur deine Seele errettet haben, sondern auch... dein Leben. Nun weiß ich.“ Ihre Stimme brach. „In der schlimmsten Stunde meines Leben standest du mir zur Seite.“ Die Baronin schluckte. „Hast mich beschützt.“

„So, wie Ihr mir, Herrin Nale“, zaghaft hob er seinen Blick. In seinen Augen Tränen. „Damals in Mendena.“

„Ja“, sie lachte und dennoch bahnte sich eine einzelne Träne den Weg ihre Wange hinab, „So wie in Mendena. Ich habe an dich geglaubt. An dich und an die Götter. Und sie haben mir nicht nur gezeigt, dass mein Tun richtig war, sondern haben auch allen, die mir geraten haben dich aufzugeben, eines besseren belehrt. Und so wie ich damals nicht aufgegeben habe, hast du nicht aufgegeben.“

„Aber der Bran...“, dem Knaben schnürte es die Kehle zu. Seine Hände begannen heftig zu zittern.

„Du warst es, der uns Zeit verschafft hat. Hast dabei dein Leben über das meine gestellt. Es gibt keine Worte, mit denen ich dir meinen Dank und meinen Respekt ausdrücken konnte und deswegen, bleibt mir nur noch eines, das ich für dich tun kann...“ Nale zog ihr Schwert aus der Scheide. Die Klinge blitzte im einfallenden Sonnenlicht. Branibor legte seinen Arm um ihre Hüfte und zog sie auf die Beine. Ihr Gesicht dennoch von Schmerz verzerrt. „Fürst Blasius hat in mich sein Vertrauen gesetzt“, erhob sie ihre Stimme so laut und kräftig sie konnte, „Nun bin ich es, die Vertrauen in dich setzt, denn heute weiß ich, dass dies der Sinn, dass es dein Schicksal und auch das meine war.“

Mit ihrem Schwert schlug sie ihm mit der breiten Seite auf die linke Schulter. „Den erste Schlag widme ich den Göttern. Rondra voran.“ Dann auf die Rechte. „Mit dem Zweiten erhebe ich dich in den Adelsstand. Fortan bist du Zoran von Schwarzland. Als Wappen führst du eine silberne Pranke auf blauem Grund. Die Farben wählte ich in Anlehnung an deine Herkunft.“ Ein weiterer Schlag auf die Linke. „Der Dritte verleiht dir den Titel Edler vom Greifenpass.“ Wieder einen auf die Rechte. „Mit dem Vierten mach ich dich zu meinem Knappen.“ Sie schlug erneut auf seine linke Schulter. „Den fünften und letzten Schlag erteile ich dir im Namen des Herrn Boron und im Andenken an dein Patenkind, Baduar, meinen Sohn...“

Tränen glitzerten in den Augen des Knaben und auch in denen der Baronin. Sie blickten einander an.

„Nun, erhebe dich“, forderte Nale ihn mit heißerer Stimme auf, „Zoran von Schwarzland, Edler vom Greifenpass.“

Zitternd erhob sich der Knabe, umfasste seine Schwertmutter und zog sie fest an sich, dabei begann er heftig zu weinen. Da konnte auch die Baronin ihre Tränen nicht mehr zurückhalten.

Es war Branibor der schweigend alle des Zimmers verwies, bevor er selbst die Tür von außen schloss.

Vom Gerufen werden

Greifenpass, 15. Rondra 1043

„Ich werde nun wieder aufbrechen“, verabschiedete sich die Rondra-Geweihte Olja von Pul von den beiden Knaben, „Meine Herrin schickt mich wieder hinaus.“

„Es war gut, dass Ihr da wart. Bei der Totenwacht“, erwiderte der Almadaner nickend, „Es war gut, dass wir nicht alleine waren...“

Sie schenkte ihm ein sanftes Lächeln: „Ich kenne ihn leider zu gut, den Bruder meiner Herrin. Er ist in Schlachten ein ständiger Begleiter.“ Einen Moment hielt sie inne. „Rondra möge Euch stets auf Euren Wegen begleiten, Junge Herren. Ich bin mir sicher, dass aus Euch eines Tages anständige und tapfere Ritter werden.“ Damit stieg sie auf ihr Pferd und ritt aus dem Hof des Schloss hinaus.

„Wartet!“, rief Zoran da plötzlich, „Wartet, Euer Gnaden. Bitte!“

Sie brachte ihr Pferd zum Stehen. Der Knabe schloss eilig zu ihr auf.

„Was kann ich für Dich tun, Junger Herr?“, fragte die Geweihte geduldig.

„Ich... ich...“, stammelte er, „Kann ich Euch... etwas fragen?“

Sie nickte. Ihr Pferd schnaubte.

„Als der Braniborier dieses Untier mit der Kraft seines Herren getötet hat, da… das war alles so hell um mich herum. Es war so hell, ich konnte gar nichts mehr sehen. Und dann... dann war da plötzlich jemand. Jemand neben mir. Aber… aber Fernando sagt, da war niemand. Und ich bin mir auch sicher, dass… dass da niemand gewesen sein kann, weil... weil...“

Sanftmütig blickte sie ihn an.

„Weil... weil... nachher war er verschwunden. Und… und er war riesig. Ein Hüne! Und in voller Rüstung. Jemand müsste ihn doch gesehen haben. Versteht Ihr? Aber nur ich habe ihn gesehen, nur ich allein und wie… wie kann es denn sein, dass… dass nur ich ihn sehe?“ Er hielt einen Moment inne. „Und trotzdem... trotzdem habe ich ganz deutlich gespürt, wie er meine Hand genommen hat. Es hat sich ganz seltsam angefühlt. Er hat auch gesprochen. Er hat gesagt, dass meine Herrin mich bräuchte und es vor allem ihr zu verdanken sei, dass ich damals vor dem Scheiterhaufen bewahrt wurde. Ihr und den Göttern.“ Er blickte hilfesuchend zur Geweihte auf.

„Welche Waffe hat er geführt?“, fragte Olja jedoch nur und ging nicht auf die zwischen ihnen hängende Frage ein.

„Einen Speer“, erwiderte der Knabe, „Aber so einen... so einen hab ich noch nie gesehen.“

Die Geweihte schüttelte sich, als müsste sie eine ausbreitende Gänsehaut abschütteln: „Dann scheint es mir, als hätten Dir die Götter eine Aufgabe gestellt: Finde diesen Fremden.“

Sprachlos blickte Zoran zur Dienerin der Sturmherrin auf.

„Ich erwarte, dass du diese Queste löst, bis meine Herrin mich wieder hierher schickt.“

„Und... und... und wann wird das sein?“

„Das weiß nur die Sturmherrin allein“, entgegnete sie ihm schlicht, „Doch bis dahin möchte ich Dir etwas... hm... ausleihen.“ Sie zog aus ihrer Gürteltasche ein in rotes Leder gebundenes Büchlein hervor, streckte es dem Knaben entgegen, der es instinktiv ergriff. Ein seltsames Kribbeln ergriff seine Finger.

„Was... ?“, wollte er wissen und betrachtete das Buch in seinen Händen. Auf dem Einband prangt das Symbol der Herrin Rondra. „Was... ist das?“

„Mein Vademecum“, erwiderte die Geweihte da nur lächelnd.

und dem Erhören des Rufes

Greifenpass, 15. Rondra 1043