Bewährungsprobe am Trolleck - Parallelen
Die Baronien Zwischenwasser und Rohalssteg im Frühling 1033 BF
"Was sollen wir tun?" Die bange Frage Niams vom Kargen Land stand im Raum, während sie sorgenvoll ihren Gatten ansah. Auf dessen Stirn zeichneten sich Sorgenfalten ab. Er atmete schwer aus, schüttelte kurz den Kopf, als ob er einen Vorschlag verwerfen würde, den niemand geäußert hatte, und stieß die Luft schnaubend durch die Nase aus, während er mit den Schultern zuckte. "Diese Strolche haben sich eine ihnen günstige Zeit ausgesucht, um Ärger zu machen! Gerade jetzt, wo der beste Kämpfer der Familie in Wengenholm verweilt, fordern sie Graf Wilburs Autorität heraus!" "Wenn Holdwin nicht da ist, warum nicht Boromil fragen?", schlug Niam vor. Gero vom Kargen Land winkte ab. "Boromil, ach! Er ist kein Vasall Wilburs, sondern Growins. Und selbst wenn ich ihn fragen würde, was sollte er denn denken? Dass er nicht gegen Sumpf und Getier in Moorbrück kämpfen soll, sondern zur Abwechslung gegen Räuber im Trolleck? Na, da wird er sich doch bedanken bei seinem klugen Vater!" Etwas ruhiger fügte er hinzu: "Ich kann ihn nicht schon wieder um einen Gefallen bitten. Er muss auch Zeit haben, sich um sein eigenes Lehen zu kümmern, mit dem er mehr als genug Arbeit hat. Schließlich hat er unser Haus bei den vergangenen beiden Adelskonventen vertreten, das rechne ich ihm hoch an!"
"Das sollten wir tun." Bei dieser entschlossenen Feststellung nickte Boronwyn vom Kargen Land seiner Gattin zu. An ihrem Gesicht war abzulesen, dass sie überlegte. Sie ging langsam auf und ab, während sie sich die Idee ihres Mannes durch den Kopf gehen ließ, bis sie schließlich nickte. "Dieses Räubergesindel ist entweder gerissen oder von Phex begünstigt. Doch wann immer der Anlass dafür kommen mag, Graf Wilbur wird sich Zeit seines Lebens durchsetzen müssen." "Und wenn ein Vasall nicht selbst verfügbar ist, kann dieser immerhin jemand anderen schicken.", bekräftigte Boronwyn seine Einschätzung. Avesinda vom Kargen Land nickte. "In der Not darf man sich nicht darauf versteifen, dass nur die Barone und Ritter mit eigenem Land folgen. Jeder muss gefragt werden, da darf es kein langes Zaudern geben! Man ist nicht ungeeignet für einen Feldzug im Trolleck, nur weil man das schöne Rohalssteg gewohnt ist. Würden unsere Verwandten etwas anderes von uns erwarten?" Ein wenig gefühlvoller gab sie zu bedenken: "Können wir ihn darum bitten? Wird er nicht einwenden, dass er seinen eigenen Weg gehen muss, der nicht immer leicht war? Können wir schlecht von ihm denken, wenn er erwidert, dies sei unsere Sache, nicht die seine?"
"Nein, das muss ich selbst übernehmen!" Gero war nun mehr und mehr entschlossen, nahm sich aber die Zeit, seine Beweggründe zu verraten. "Was der Graf jetzt braucht, ist kein weiterer Schwertschwinger, sondern ein kluger Ratgeber! Ich bin das auch Ermst schuldig. Er vertraut darauf, dass wir aus Zwischenwasser ein besonderes Auge auf seinen Enkel haben." Niam war dennoch von Sorge erfüllt. "Pass auf Dich auf!" "Das werde ich. Sobald ich meine Sachen beisammen habe, breche ich auf."
"Ja, warum sollten wir uns nicht von ihm repräsentieren lassen?" Boronwyn wirkte weniger zuversichtlich als zuvor, erklärte sich dann jedoch. "Was der Graf im Moment nötig hat, ist nicht noch ein listiger Einflüsterer, sondern ein starker Kämpfer! Wir sind seiner Hochwohlgeboren nicht stärker, aber auch nicht weniger als andere verpflichtet. Niemand soll von uns denken, dass wir Rohalssteger die Unterstützung ausbleiben lassen." Das weckte in Avesinda neues Vertrauen. "Er wird sich schon tapfer schlagen." "Warum sollte er auch nicht? Wenn er angekommen ist, erklären wir ihm alles."
"Ich begreife nicht ganz. Ihr wollt selbst Euer Leben riskieren?" Der treue Parinor sah Gero, neben dem Niam ruhig, aber mit ernstem Gesicht stand, mit Unverständnis an. Beide reagierten erstaunt über den offen geäußerten Zweifel. "Ich muss doch wohl nicht daran erinnern", brummte Gero, "dass ich trotz der Jahre immer noch ein Ritter bin." "Verzeiht, Herr, aber Satinav hat auch Euch nicht geschont.", versuchte Parinor vorsichtig anzudeuten, dass das Kettenhemd schon einmal weniger spannend auf dem Bauch des Ritters gesessen hatte. Dies bildete jedoch keinen Anlass, um ihn aus der Fassung zu bringen. Niam sah ihm in die Augen und er legte ihr zärtlich einen Arm auf die Schulter. "Hab keine Angst, ich gebe auf mich acht. Du kannst Dir sicher sein, dass ich weiß, was ich tue. Es scheint mir die beste Wahl zu sein." Nun antwortete ihm Niam. "Ich bete zu Hesinde, dass Dir nichts zustößt! Mit dem Herzen bin ich immer bei Dir." "Ich weiß", lächelte Gero gefühlvoll. "Herr, Euer Pferd ist schon gesattelt", unterbrach sie der Angestellte. "Umso besser, Parinor.", schmunzelte der Ritter in einem Anflug von Humor. "Zu Fuß wäre der Weg doch etwas lang geworden."
"Ich verstehe. Ich soll also für Euch den Kopf hinhalten." Ein gerüsteter Mann von etwa dreißig Götterläufen mit dunklen Haaren blickte Boronwyn und Avesinda geradeheraus an. Die beiden begannen sich bei diesen direkten Worten etwas unangenehm berührt zu fühlen. "Nun", erwiderte Boronwyn, "ich würde ja selbst gehen, aber ich bin schon lange Diplomat, kein Kämpfer mehr...." "Die Freundschaft zu den Hügelzwergen hat unzweifelhaft ihre Spuren hinterlassen.", meinte der jüngere Mann mit einem Blick auf Boronwyns Bauchansatz. Es war eine der wenigen Gelegenheiten, bei dem es dem eleganten älteren Mann die Sprache verschlug. Avesinda hob zu sprechen an, doch der Besucher hob beschwichtigend eine Hand. "Keine Sorge, ich übernehme das schon. Ich wollte nur sichergehen, dass keine falschen Vorstellungen aufkommen, warum ich gehe. Es scheint nicht so, als ob Ihr eine große Wahl hättet." Jetzt sprach Avesinda doch. "Unsere Gebete sind mit Dir. Wir denken immer an Dich!" "Natürlich.", nickte der Mann kurz angebunden. "Ich habe das Wappen unseres Hauses bereits herausgesucht.", beeilte sich Boronwyn zu sagen. "Keine Angst, Foldan.", lächelte der Ritter mit einer grimmigen Entschlossenheit. "Ich hatte auch nicht vor, ohne es zu reisen."
Da Gero vom Kargen Land zügig geritten war, schaffte er die Strecke von Valpurg bis Rhôndur bis zum Nachmittag. "Bei Hesinde, es war richtig, dass ich mich hierzu entschlossen habe!", bekräftigte er sich selbst in seinem Vorhaben. Sobald er bis an die Zinnen von Kystral gelangt war, begrüßten ihn einige der Wachposten. "Seid gegrüßt, edler Herr! Was führt Euch zum Sitz des Barons von Metenar?" "Der Gruß sei auch Euch entrichtet.", antwortete Gero mit klarer und freundlicher Stimme. "Ich bin treuer Vasall seiner Hochwohlgeboren und folge seinem Ruf zu den Waffen. Mein Name ist Gero vom Kargen Land."
Es war bereits Nacht, als sich die Reise eines einsamen Reiters von Kargen bis zur Burg Kystral dem Ende entgegen neigte. "Heiliger Argelion, lass diese Entscheidung keine Dummheit von mir gewesen zu sein!", murmelte er zu seinem Schutzheiligen. Als der Ritter die Burg erreicht hatte, reckten die Wachen misstrauisch einige Fackeln in die Höhe. Einer der Wächter legte vorsichtshalber einen Bolzen auf seine Armbrust. "Den Zwölfen zum Gruße! Was ist Euer Begehr, dass Ihr zu dieser Stunde zu reisen pflegt?" "Die Zwölfe seien auch mit Euch!", erwiderte der Angesprochene mit einer etwas heiseren, dunklen Stimme. "Der Grund meiner Reise duldete keinen Aufschub, denn ich bin gekommen, um Graf Wilbur zu unterstützen. Ich bin Boronar vom Kargen Land."