Alte Schulden, neue Schuld
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Alte Schulden, neue Schuld
Der Drei-Grafen-Tag zu Liepenstein
LIEPENSTEIN / NORDMARKEN. Im Peraine 1032 BF riefen Graf Growin von Ferdok, Graf Ghambir vom Isenhag - mitsamt Tochter Gandrixa - und Gräfin Calderine von Albenhus ihre Getreuen zum Rat auf Liepenstein im Eisenwald zusammen. Beraten werden sollte vor allem über die Zustände an den Grenzen des Kosch und der Nordmarken zu Almada. Es ging um Zölle, um Versuche, solche zu vermeiden (also Schmuggel), und darum, wie sich solche Zollvermeidung wiederum vermeiden lässt. Indessen wurde gemunkelt, eigentlich gehe es um „die almadanische Gefahr“. Die saß allerdings als Gesandtschaft mit im Rat, und niemand wagte ein böses Wort, wohl aus Achtung vor Travias Geboten und aus Respekt vor Väterchen Ingerimm. Unter dessen Schutz hatte nämlich Seine Gnaden Seegosch, Sohn des Seegoschax, die Versammlung gestellt.
Almadanische Umtriebe
Mitten ins Disputieren und Lamentieren, ins Hin und Her und Für und Wider platzte ein zutiefst besorgter Angroscho hinein. Grund seiner Sorge war Großväterchen Beronosch, Haupt einer Sippe bei Makamesch. Nie habe er mit „Großlingen“ zu tun haben wollen. In letzter Zeit sei aber gleich mehrmals ein goldohriger Mensch aus Almada aufgetaucht, und mit dem hätte er wohl sogar einen Handel abgeschlossen. Das klang nun wirklich, wie man zu Recht sagt, „gar nicht koscher“! Unverzüglich brachen wir alle zu der besagten Binge auf.
Menschen allein hätten beim alten Beronosch nichts ausgerichtet. „Dumm, feige, ehrlos, geizig und abarosch“ seien wir allesamt!, schimpfte der Zwerg. Das ließen einige der edlen Damen und Herren nicht auf sich sitzen! Um ein Haar hätten sie Großväterchen Beronosch gleich an Ort und Stelle zum Gegenbeweis herausgefordert.
Ein ungastlicher Empfang
Freilich schien der Bingenherr nicht alle Menschen für unwürdig zu halten. Die Almadaner hatte er nämlich nicht nur empfangen, sondern auch Geschäfte mit ihnen gemacht, gerade noch einen Tag zuvor. Zu dieser Zeit in dieser Gegend verdächtig genug. Zu allem Überfluss stellte sich auch noch heraus, dass Beronosch ihnen etwas gegeben hatte, dessen Beschreibung sehr nach einem Siegel des Reiches klang! Auch Graf Growin ließ sich da nicht lange bitten, auf Almadaner- und Siegelsuche auszuziehen! Versteht sich, dass auch unser Heermeister, Herr Thorben von Hammerschlag, seinen Teil beitrug, nicht zu vergessen Vögtin Efferdane von Neuensteinigen und Baron Erlan von Sindelsaum.
Auf Siegeljagd
Mir graust es noch immer, wenn ich an die Berichte denke, wie der Graf einen schmalen Gebirgspass hinunterjagte, immer hinter fliehen- den Almadanern her! Ingerimm sei Dank, ihm geschah dabei nichts. Er kehrte sogar mit dem Kopf eines besiegten Riesenschrats zurück. Der gute Baron Erlan allerdings wurde auf dieser Queste schwer verletzt. Erst hatten ihn Wühlschrate verwundet, dann stürzte er gar noch in einen tosenden Gebirgsfluss hinab! Tsa und Peraine sei Dank, er konnte gerettet werden. Am Ende hatte man etliche Almadaner gefangen genommen oder getötet (auch den mit dem goldenen Ohr), den alten Zwergenkelch Baroschox sowie ein verschollenes Kleines Reichssiegel geborgen und sogar Väterchen Beronosch wieder mit den Menschen versöhnt.
Baroschem!
Der Baroschox ist einer dieser Kelche, aus denen die Angroschim seit alters her Freundschaft trinken, vor allem beim Abschluss von Verträgen. Ein solcher sollte auch unter Yarum-Horas (430 v. B. F.) mit einem Trunk besiegelt werden. Leider besteht so ein Kelch aus einer Legierung, die den Trunk für Zwerge besonders gut, für Menschen aber tödlich macht. So brach der Legat des Kaisers nach dem Trunk tot zusammen, und es kam zum Kampf zwischen der Sippe des Barigax und den Menschen. Seitdem befand sich der Baroschox in den Schatzkammern des Kaiserreiches, Barigax aber musste als Geist umgehen, bis Menschen und Zwerge erneut Freundschaft aus dem Baroschox tränken. Dies konnte nun, 1462 Jahre später, getan werden, und es war ein „Hinterkoscher“, Sohn des Herzogs vom Großen Fluss, der dies vollbrachte! Vor dem Tod bewahrten ihn dabei einige wundertätige Kristalle, „Algran“ genannt.
Dumm, feige, ehrlos...
Auch Großväterchen Beronosch war hernach versöhnt. Vor - nach zwergischen Maßstäben - gar nicht langer Zeit hatte seine Sippe beim Bau der Veste Weidleth geholfen. Vor ihrer Fertigstellung wurde diese von Kaiser Perval eingenommen, und die Menschen blieben die achte, also letzte, Rate dafür schuldig. Jetzt konnten aber einige Adlige beweisen, dass nicht alle Menschen „dumm, feige, ehrlos, geizig und abarosch“ sind. (Zumindest nicht dumm, feige, ehrlos und geizig. „Abarosch“ wird unsereins im Vergleich mit den Angroschim wohl immer bleiben.)
Eine ruhelose Seele
Auch das Kleine Reichssiegel war mit einer ruhelosen Seele verbunden. Eine Knappin des rondrianischen Theaterordens hatte es vor 697 Jahren vor den Priesterkaisern in Sicherheit bringen sollen. Auf dem Weg rettete sie einer Bergkönigstochter, die von einem Bären angegriffen worden war, das Leben, starb aber selbst an ihren Wunden. Seitdem versucht ihr Geist das Siegel nach Arivor zu bringen, während die Zwerge - Beronoschs Sippe! - ihren „Schatz“ treulich (bis vor kurzem jedenfalls) bewahrten. Ausgerechnet der Praiosgeweihte Godefroy von Ibenburg-Luring hat nun aber das Siegel an sich genommen. Höchstpersönlich will er es nach Elenvina oder zur Kaiserin bringen. Weder Graf Growin, noch Seine Gnaden Seegosch, noch Komture vom Orden des Hl. Golgari oder andere Geweihte konnten ihn umstimmen.
Nun versuchen die übrigen Priester der Zwölfe sowie die beiden - auch hier im Kosch wohlbekannten - Heiler Circe ter Greven und Erkomir fa Shantalla alles zu tun, um wenigstens einen Teil der Aufgabe dieser Knappin zu erfüllen, damit ihre Seele erlöst werden kann.
Filomena Siebenmaer