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Rondra 1044
 
Rondra 1044

Version vom 8. Februar 2021, 19:22 Uhr

Hier entstehen meine Briefspieltexte und werden sorgsam verwahrt, bis ich weiß, wohin sie sollen.
Es ist ausdrücklich erlaubt, Rechtschreibfehler sowie Fehler der Zeichensetzung zu korrigieren, genauso wie verloren gegangene Buchstaben richtig zu ergänzen und überzählige einzusammeln.

Aus dem Tagebuch einer Boron-Novizin

=== Die Verfluchten von Thargen (Teil 1) (...)

Isenta (Teil 1)

Rondra 1044

Ob ich das Werk meines Herren je verstehen werde? Wieder einmal hat er eine treue Seele zu sich berufen. Wieder einmal hat er seinen Diener Golgari ausgesandt. Wieder einmal ist jemand gestorben. Dieses Mal war es Lisara Solhauer. Seid ihrer Seele gnädig, Schweigsamer, sie war eine gute Frau. Arme Lisara.

Es muss wohl kurz nach unserem Besuch passiert sein. Schon seltsam: Entweder eilt mir der Tod voraus oder aber er folgt mir auf dem Fuße und obwohl ich schon mein ganzes Leben dem Herrn Boron diene, kann ich mich einfach nicht so recht daran gewöhnen.

Es war Bram, der uns die Nachricht von Lisaras Tod überbrachte. Und so bedauerlich diese Nachricht allein schon war, noch bedauerlicher ist der Umstand, dass ihre Ziehtochter Isenta dadurch in arge Bedrängnis geraten ist und – davon berichtete auch Eberhalm – sie gegen ihren Willen an den Enkel eines Großbauern verheiratet werden solle. Dazu gäbe es einen Vertrag. Das machte uns alle – Bram, Grimrosch, Eberhalm, Xuronim und Nortalosch – hellhörig, obgleich letzterer weder Isenta noch ihrer verstorbene Muhme Lisara kannte. Wir brachen noch am selben Tag auf.

Unsere Reise war wie immer kulinarischer Natur. Zuerst führte unser Weg nach Salzmarken, dort aßen wir Angbarsch auf Empfehlung unseres Herrn Ritters – alle bis auf Nortalosch. In Rohalssteg kosteten wir die Fischsuppe von Grimroschs Schwester – alle bis auf Nortalosch. Von Fisch hält er wohl nichts. Von Wasser noch weniger. Und beides zusammen: Einfach entsetzlich! Mich wundert das nicht, nachdem er uns damals im Keller mit seinem Feuer beinahe umgebracht hatte. Die Belmartkränze in Rhôndur bildeten den Abschluss unserer – man kann es wohl einfach nicht anders nennen – Völlerei. Manchmal träume ich schon von der ganzen Esserei: Ich muss essen und essen und die Schale vor mir wieder einfach nicht leer.

In Koschtal folgten wir weiter dem Grevensteig und schlugen über Neuensteinigen in Richtung Sonnenstubben ein. Eine Nacht mussten wir draußen in der Wildnis verbringen. Weil ich jedoch mein ganzes Leben hinter den schüzenden Mauern eines Tempels verbracht hatte, war ich beim Aufschlagen des Lagers keine große Hilfe. Und obwohl ich eine passable Köchin war, überließ ich das gerne unserem vorzüglichen Koch Grimrosch. So saßen wir gemeinsam am Feuer und aßen. Da stieß plötzlich ein rothaariger Knabe zu uns, der sich als Gröja vorstellte. Er hatte wohl Grimroschs Essen gerochen. Traviagefällig luden wir ihn zu uns ans Feuer ein. Wir unterhielte uns ein bisschen mit ihm, wobei er recht wenig sprach, dafür erzählte Bram recht viel und ausführlich. Irgendwann packte der Knabe eine Flöte aus und begann zu spielen. Grimrosch holte seine Sackpfeife heraus und entlockte ihr nicht nur schiefe Töne. Ich sang dazu.

Mitten in der Nacht erwacht ich dann plötzlich. Ich fröstelte. Es war kalt. Unser Lagerplatz war wohl nicht ganz ideal. Ich zog meine Decke enger um mich und schaute in das Licht des Madamals. Plötzlich erblickte ich das Gesicht Gröjas über mir. Freundlich schaute er mich an. Weich blickten seine Augen auf mich herab. Mir sei kalt, meinte er. Das stimmte freilich auch. Ob er nicht mein wunderschönes Gesicht unter meinem Schleier betrachten könne? Ewigkeiten blickte ich ihn an, konnte nicht fassen, das er das gerade wirklich gefragt hatte, schließlich verneinte ich mit brüchiger Stimme. Die Narben würden ihn nicht stören, versuchte er es weiter. Auf die Frage woher er davon wisse, erwiderte er mir lediglich, dass er eben tiefer hinabblicken könne und wiederholte seine Bitte, mein Gesicht betrachten zu dürfen, wenn auch nur kurz. Was er mit tiefer meine? Die Seele hinter der Fassade, erklärte er. Warum ich dies tun sollte, wollte ich wissen, immerhin sei er ein Fremder. Wieder versuchte er meine Bedenken wegzuwischen, ob er mir denn wirklich so fremd sei? Ich überlegte einen Moment, doch ich konnte mich nicht erinnern, ihn jemals gesehen zu haben. Ob ich mich fürchte? Vielleicht, meinte ich da nur, denn ich wollte nicht, dass jemand sich fürchtete, weil er mein entstelltes Gesicht sah. Ich mochte diese Blicke nicht. Ich konnte sie einfach nicht ertragen. Er sei anders, behauptete er, ihm würde das gewiss nicht passieren. Was er denn dort zu sehen glaubte? Er wolle mich sehen. MICH! Ich war mir nicht sicher, ob ich ihm glauben konnte, schließlich hatte das schon einmal jemand zu mir gesagt und das war nicht gut ausgegangen. Ein leichter Windhauch blies meinen Schleier nach oben. Ich spürte ihn auf meiner Haut. Gröja lächelte. Er hatte wohl gesehen, was er hatte sehen wollen, doch recht Ruhe wollte er noch immer nicht geben. Ob ich auch nicht wolle, dass er sich zu mir lege und mich wärme bis ich eingeschlafen sei? Natürlich wollte ich das nicht. Das erst recht nicht! Ich sagte ihm ziemlich eindeutig, dass er mich endlich in Ruhe lassen solle oder ich würde meine Freunde wecken. Er ließ mich in Ruhe, wünschte mir eine gute Nacht und ging. Kurz darauf muss ich wohl wieder in die Arme meines Herren geglitten sein. Am nächsten Morgen fand ich ein rotes Tüchlein an meinem Lager. Ich entschloss mich dazu, erste einmal niemandem etwas von dieser Begegnung zu erzählen. Es war ja nichts geschehen.

Wie nicht anders nach der Begegnung in dieser Nacht zu erwarten gewesen war, war Gröja am nächsten Morgen verschwunden. Ob er schon in der Nacht gegangen war? Der Hirte hinterließ viele Fragen, Antworten gab es jedoch keine. Er hatte wohl auch eine von Grimroschs Würsten mitgenommen. Es sei seine Lieblingssalamie gewesen, behauptete der Zwerg steif und fest, und trauerte ihr den ganzen Tag hinterher und das obwohl der rothaarige Knabe sie gegen seine Flöte getauscht hatte. Auch die Zubereitung des durch Nortalosch erlegten Rebhuhns munterte ihn irgendwie nicht aus. DAS bereitet mir dann doch wirklich sorgen.

Noch am selben Tag erreichten wir die kleine Hütte Lisaras. Türen und Fester waren mit Brettern vernagelt, als sei sie schon geraume Zeit nicht mehr hier gewesen. Wir schauten uns zuerst draußen um, ernteten die Rüben auf dem kleinen Acker neben dem Haus – die passten vorzüglich zu den kläglichen Resten des Rebhuhns. Anschließend öffnete Nortalosch die Tür. Wir schauten in die kleine Hütte hinein, aber drinnen gab es nichts weiter zu sehen, als eine kleine Haselmaus, die auf etwas Essbares spekulierte. Die Einrichtung war noch karger als bei unserem letzten Besuch, genaugenommen gab es nichts mehr, was man so bezeichnen hätte können. Nortalosch verschloss die Hütte und wir reisten weiter nach Sonnenstubben.

Im Dorf angekommen suchten wir zuerst das Gasthaus „Zur Stube“ auf, denn es war bereits spät. Wir aßen Albuminer Allerlei und tranken Bier. Das lokale Bier war unserem guten Nortalosch aber nicht gut genug. Es sei mehr Wasser als alles andere, weswegen er es mir überließ. Ich war froh über das dünne Bier, dann wurde ich nicht so schnell schläfrig. Wir befragten die Wirtin Algunde Höhenwursch nach unserer Freundin Isenta, da wir nicht so genau wussten, wo wir nach ihr suchen sollten. Sie erzählte uns, dass sie sich auf dem Grobendornhof aufhalte, beschrieb uns auch wo dieser lag. Weiter wusste sie zu berichten, dass sie an den Enkel des Großbauern verheiratet werden sollte. Jargost jedoch war ein grobschlächtiger Kerl, von dem sie nicht unbedingt viel hielt. Isenta habe sich jedoch dem Ehebund verweigert. Der Travia-Geweihte sei bereits bestellt und alles vorbereitet gewesen, aber die junge Schäferin habe „NEIN“ gesagt. Das Problem an der Sache sei allerdings, so erklärte sie weiter, dass Lisara wohl Schulden hatte, auch bei ihr. Die habe Wildebur Grobendorn, der Herr über den Grobendornhof, aufgekauft. Allesamt. Nicht nur jene, die Lisara bei ihr hatte, sondern auch alle anderen. Weil jedoch Isenta die Schulden nicht bezahlen konnte, schließlich war sie nur eine Schäferin, wolle der alte Grobendorn sie an seine Enkel verheiraten. Freilich, wie sie uns bereits erzählt hatte, habe sie den ersten Anlauf an einen Ehebund platzen lassen. Wildebur habe sie daher ins das Gibelzimmer des Hofes gesperrt, auf das sie willig werde. Bisher sei sie es nicht geworden. Arme Isenta.

Ob wir auch im Gasthaus übernachten wollten? Wollten wir natürlich. Nach der einen Nacht draußen in der Wildnis waren wir alle über ein richtiges Dach über den Kopf und eine einigermaßen bequemes Lager froh. Sie konnte uns allerdings nur noch den Schlafsaal anbieten, da das eine Zimmer durch die gelehrte Dame belegt sei. Natürlich, neugierig wie unser Schreiberling des Kosch-Kuriers nun einmal war, kam er mit der Gelehrten ins Gespräch. Ismene Jallenthal kam aus Albenhus und sei aufgrund eines Kosch-Kuriers Artikels über die Marbonie hierhergekommen. Sie interessiere sich sehr für diese Pflanze, die ja noch recht unbekannt sei, wolle sie suchen und konservieren. Bram war darüber nicht gerade begeistert, das war ihm anzusehen. Irgendwann gingen wir dann zu Bett.

Am nächsten Morgen, nach einem ausgiebigen Frühstück, machten wir uns auf den Weg zu Isenta. Im Nachhinein bin ich mir gar nicht mehr sicher, ob Grimrosch nun Proviant mitgenommen hat – so wie es seine Art war – oder nicht – vielleicht war der Kummer über den Verlust seiner Lieblingssalami doch größer und ernster zu nehmen, als ich dachte? Auf dem Grobendornhof sprachen wir erst einmal beim Hausherrn, Wildebur Grobendorn vor. Er erlaubte uns unsere Freundin Isenta, von der es wohl im ganzen Dorf hieß, dass sie weder Familie noch Freunde hatte, zu sehen. Wir wurden also in das kleine Giebelzimmer gebracht. Die junge Schäferin freute sich überschwänglich uns zu sehen. Sie fiel uns in die Arme. Weil das Zimmer so klein war, mussten wir uns regelrecht hineinquetschen, aber es ging irgendwie. Natürlich sprachen wir dem Mädchen, die in meinem Alter war, zuerst unser Beileid zum Tod Lisaras aus, bevor wir uns nach dem Vertrag erkundigten. Von dem habe Isenta nichts gewusst, erklärte das Mädchen, aber er besagt, dass all das Hab und Gut Lisaras an Wildebur von Grobendorn ging. Dafür habe ihre Ziehmutter zehn Golddukaten bekommen. Es gäbe aber noch weitere Schulden, fuhr Isenta fort, und der Grobendorner hätte ihr gedroht, wenn sie nicht seinen Enkel heirate, dann würde er sie in den Schuldturm werden lassen, schließlich konnte sie die Schulden nicht begleichen. Sogar der ansässige Junker sei da gewesen und habe den Vertrag vorgelesen und die Richtigkeit bezeugt. Wie hoch Lisaras und damit ihre Schulden seien, wusste das Mädchen indes nicht. Wir versprachen ihr zu helfen, doch das würde dauern, bis dahin sollte sie standhaft bleiben. Hier oben, erwähnte sie abschließend, fühle sie sich immerhin sicher vor ihrem zukünftigen Gatten. Ach Isenta, arme Isenta, der Tod bringt in manchen von uns nicht das Abscheulichste zum Vorschein sondern auch die Abgründe des Seins. Wir gingen. Als wir aus dem Zimmer traten, hörten wir sich von uns eilends entfernende Schritte: Man hatte uns also belauscht.

Bei Wildebur Grobendorn baten wir um Einsicht des Vertrages. Er gewährte sie uns, wenn auch nur widerwillig. Lisara hatte sich tatsächlich 10 Golddukaten von Wildebur geliehen und da sie diese nicht zurückbezahlt hatte, ging all ihr Hab und Gut – die Hütte, die Weiden, das verfluchte Thargen – nach ihrem Tod an ihn. Bezeugt hatte diesen Handel wohl der ansässige Junker Gerdebrecht von Lychtenhüg. Eberhalm kannte ihn, wenn auch nur flüchtig. Das war jedoch nicht der Grund, warum man Isenta in das Gibelzimmer gesperrt hatte. Der Alte war im Besitz weitere Schuldscheine Lisaras. Auf ungefähr 30 Dukaten belief sich die Summe. Und deswegen habe er – so Eberhalm – Isenta in Schuldknechtschaft genommen. Ob es richtig war, dass Isenta für die Schulden ihrer Ziehmutter herangezogen wurde? Ich wusste es nicht. Weiter kam jedoch heraus, dass es Wildebur gar nicht um das Geld an sich ging, sondern um Isenta. Das warf Fragen auf, die der Alte uns nicht beantworten wollte, weil es uns nichts anginge. Er würde sich nicht vor uns erklären. Daraufhin erwiderte ich ihm, dass er spätestens vor den Göttern Rechenschaft ablegen müsse. Und Nortalosch fügte hinzu, dass das in Anbetracht seines Alters ja nicht mehr lange dauern konnte. Wir gingen.

Warum Wildebur Grobendorn an einer mittellosen Schäferin so großes Interesse zeigte? Das Hab und Gut Lisaras war ja bereits an ihn übergegangen. Isenta besaß also gar nicht mehr als die Kleider, die sie am Leib trug. Was konnte aber dann für den Alten von Interesse sein? Isenta, so viel wussten wir ja bereits, war nicht die Tochter Lisaras. Die Vermutung lag nahe, dass sie Tochter einer Hexe aus dem Sarindelwald war. Magisch begabt schien sie jedoch nicht zu sein. Ob es etwas mit ihrer Mutter zu tun hatte? Oder aber mit ihrem Vater?

In diesem Augenblick fielen mir zum ersten Mal eine Reihe von parallelen zwischen Isenta und mir auf. Beide kannten wir unsere Eltern nicht. Inzwischen wusste ich wohl, wer meine Mutter war und dass sie wohl eine Hexe gewesen sein soll, aber ob Isenta von ihrer Mutter wusste? Ich war genauso wenig magisch begabt wie sie. Noch deutlicher war jedoch, dass keine von uns ihren Vater kannte. Ich kannte noch nicht einmal seinen Namen. Vermutlich ging das auch Isenta so. Der Schlüssel, so vermutete ich, lag also in der Herkunft Isentas. Doch wer sollte uns darüber Auskunft geben?

Isenta (Teil 2)

(...)

Was eine Ritterin werden will

Weitere Texte

[...]

Gründungsmythos Haus Rían

Rían und Támlinn

Tamlinn und Rian.jpg

Rían war ein junger Ritter aus dem Hause Bennain. Er liebte es auf die Jagd zu gehen und trieb sich nur allzu gerne allein in der Wildnis herum. Dort lauschte er dem Rauschen der Blätter im Wind, dem Gesang der Vögel, dem Plätschern der Bäche und all den anderen Geräuschen des Waldes, die sonst keinerlei Beachtung genossen.

Eines Tage, da lauschte er wieder. Die Sonne blinzelte immer wieder zwischen den dicht belaubten Bäumen hindurch, der Waldboden war mit allerlei blühenden Blumen bedeckt. Es roch nach Harz und Moos und Wald. Er stieg von seinem Pferd, um etwas aus dem nächsten Flusslauf zu trinken. Das Wasser war klar und rein. Und während er sich über den kleinen Strom gebeugt hatte, vernahm er ein geradezu liebliches Geräusch. Er lauschte. Es war ein durchdringendes Geräusch. Er lauschte. Ein bekanntes Geräusch, auch wenn er es noch nie gehört hatte. Er lauschte. Und es war ihm tatsächlich, als riefe ihm jemand beim Namen: „Rían. Mein Rían. Wo bist Du? Kannst Du mich hören? Schon so lange suche ich nach Dir! Rían, bist Du da? Rían. Mein Rían.“

Der Ritter stieg auf sein Pferd und ritt dem bezaubernden Klang nach. Er ritt bei Tag und er ritt bei Nacht. Immer weiter und weiter. Bis er schließlich vor einer jungen Frau stand, für deren Schönheit und Anmut er keinerlei Worte finden konnte. Er stand einfach nur vor ihr und schaute sie an und schaute und schaute und schaute.

„Mein Name ist Támlinn“, hob die Fremde mit einer lieblichen Stimme an. In ihrer Hand hielt sie ein silbernes Horn.

„Ich habe von dir gehört! Du bist eine Fee“, erwiderte Rían und Támlinn nickte, „Und das… ist das ein... ein Feenhorn?“

„Es ist ein Feenhorn“, antwortete die Fee, „Und es kommt aus dem Feenreich, sowie auch ich. In vielen Wäldern ließ ich es bereits erklingen, gen Praios und gen Firun, gen Rahja und gen Efferd, doch Du bist der Erste und Einzige, der seinen Klang hörte und ihm folgte.“

Nun schaute Rían ein wenig verdutzt drein. Eine Fee hatte er noch nie gesehen und dann war sie noch so schön, so wunderschön und wie durch einen Zauber, doch ganz ohne jeglichen Einsatz von Magie, verfiel er der Fremden augenblicklich, entbrannte sogleich in heißer und inniger Liebe zu ihr, zu einem Wesen, das so schön war, dass er keine Worte fand um es zu beschreiben und so anmutig, dass er seinen Blick einfach nicht von ihr wenden konnte.

„Ich hab es aus dem Feenreich mitgebracht, von dort komme ich. Dort wurde ich geboren und war Knappin bei der Königin, deren liebste Ritterin ich nun bin. Das Leben dort ist schön und leicht, es gibt keinen Mangel und keine Krankheiten, kein Verderben und keinen Tod. Doch ich sehne mich nach etwas Anderem...“, ihr Blick fiel auf Rían, „... nach etwas, dass ich nur hier in Deiner Welt finden kann. Etwas, dass so allumfassend und so stark ist, dass es mich wieder und wieder in Deine Welt zieht. Ich sehne mich nach der Liebe. Nach Deiner Liebe!“

Rían schluckte angesichts des Geständnisses der Fremden schwer: „Und die Feen, lassen sie Dich denn nicht ziehen?“

„Nicht aus freien Stücken. Wie alle Feen bin ich mit einem Zauber an das Feenreich gebunden, den es erst zu brechen gilt. Bei Tag kann ich zwar durch die Wälder streifen, doch bei Nacht muss ich zurück in meiner Welt sein.“

„Und es gibt keinen Weg, diesen Zauber zu brechen?“

„Doch! Aber nur ein aufrichtiger, tapferer und kluger Recke kann mich befreien. Nur einer, wie Du einer bist, Rían. Du, der Du nicht nur der Einzige bist, der meinen Ruf hörte sondern ihn auch erhörte. Nur Du und nur Du allein kannst mich befreien. Nur Deine Liebe zu mir ist stark genug, um das Band zum Feenreich zu durchtrennen und gleichzeitig ein neues, wesentlich stärkeres zu knüpfen.“

„Ich werde alles tun, alles um Dich aus den Händen der Feen zu befreien, denn Du bist mir das Liebste auf ganz Dere, meine einzig wahre Liebe und mein Leben ist nur vollkommen, wenn Du es mit mir teilst, wenn Du es mit mir auf ewig teilst“, versicherte Rían mit Sehnsucht im Herzen. Und so schworen die beiden sich nicht nur ewige Treue, sondern versprachen sich auch die Ehe.

„In der Nacht zwischen der - wie ihr es nennt - Nacht der Ahnen und dem Tag der Toten musst Du erneut hierher kommen, nur in dieser einen Nacht zur Praiosstunde reitet die Feenkönigin mit ihrem Hofstaat aus. Allen voran reitet die Königin selbst, ihr Pferd mit Glöckchen behängt, dahinter ihre Damen, ihre Knappen und Edelmänner, gefolgt von ihren Rittern und Ritterinnen, unter denen auch ich reite. Unter ihnen allen, wirst Du mich erkennen, an dem schneeweißen Pferd, das ich mein eigen nenne und an dem Handschuh, den ich an meiner Linken trage, nicht jedoch an meiner Rechten. Und dann ist es Zeit, Rían - zieh mich von meinem Pferd und halt mich fest. Ganz fest. So fest Du kannst. Lass mich nicht los. Ganz gleich was geschieht: Lass mich nicht los!“, geradezu flehend sah sie ihn an, „Ihr Schlachtruf wird über Dich hinwegfegen und sie werden mich in etwas abscheuliches verwandeln, wieder und wieder, doch Du musst mich halten, so fest Du kannst, wie auch immer ich aussehe und was auch immer ich sein werde. Sei versichert, was auch immer ich sein werde, niemals werde ich Dir ein Leid zufügen. Niemals. So wirst Du mich für immer aus ihren Händen befreien.“

Erneut versprach Rían all dies zu tun, obgleich er sich fürchtete, denn Feen waren zwar schöne, aber auch unheimliche und nicht zuletzt durchaus gefährliche Wesen und er hatte keinerlei Erfahrung mit ihnen. Er war nicht mehr und nicht weniger als ein einfacher Ritter, der sich nach seiner Liebsten sehnte. Doch sein Herz schlug nur für sie und das machte ihn mutig und stark, denn klug war er immer schon gewesen. So küssten sich die beiden und gingen auseinander.

Und so geschah es: In jener Nacht kam er erneut an diesen Ort, versteckte sich im Schatten des Dornenbaums und wartete. Der Flusslauf glitzerte im sanften Licht des Mondes beängstigend, die Büsche und Sträucher warfen verstörende Schatten auf die Erde und die Bäume raschelten unheimlich mit ihren Ästen. Und als die Praiosstunde kam, da hörte er zuerst die Glöckchen und sah dann ein gleißendes Licht. Zitternd zog er seinen Umhang enger um sich und schaute angestrengt in das Licht. Zuerst kam die Königin, sie war von bezaubernder, aber unnatürlicher Schönheit und ritt auf einem kohlrabenschwarzen Pferd. Ihr folgten ihre Damen, ihre Knappen und Edelmänner, schwatzend und lachend. Den Schluss bildeten ihre Ritter und Ritterinnen, alle gekleidet in das Grün des Waldes und alle mit einem silbernen Horn. Einige ritten auf schwarzen Pferden, einige auf braunen, aber es gab nur ein einziges schneeweißes Pferd, nur eines und die Reiterin trug an ihrer Linken einen genauso schneeweißen Handschuh, nicht jedoch an ihrer Rechten. Sie ritt elegant auf ihrem Ross und drehte dabei niemals ihren Kopf, ihr Blick ging immer gerade nach vorne und selbst aus der Entfernung erkannte er sie, erkannte sie an ihrer Schönheit und an ihrer Anmut. Da sprang Rían aus seinem Versteck heraus, riss die Ritterin an ihrem Umhang von ihrem Pferd und hielt sie fest, ganz fest.

„Támlinn ist fort!“, rief die Königin, deren kohlrabenschwarzes Pferd auf die Hinterhand sprang nur um dann von ihr zum Stehen gebracht zu werden, „Támlinn ist fort!“

Und der Blick der Königin fiel auf Rían, der Támlinn fest umschlungen hielt. Da verwandelte sich seine Liebste plötzlich in einen großen, grauen Wolf, der sich heftig zur Wehr setzte und immer wieder nach ihm zu schnappen versuchte. Doch er ließ sie nicht los. Er hielt sie fest. Ganz fest. Im nächsten Augenblick war sie ein brennendes Strohbündel, dessen Flammen in seinen Ohren knisterten und ihn zu versengen drohten. Doch er ließ sie nicht los. Er hielt sie fest. Ganz fest. Dann hielt er unvermittelt eine riesige Schlange, die sich aufgeregt züngelnd aus seinen Armen zu winden versuchte und die er nur mit größter Mühe darin hindern konnte. Doch er ließ sie nicht los. Er hielt sie fest. Ganz fest. Nun verwandelte die Königin seine Liebste in eine Krähe, die mit ihrem spitzen Schnabel nach ihm zu hacken und mit heftigen Flügelschlägen gegen sein Gesicht das Weite zu suchen versuchte. Doch er ließ sie nicht los, schloss seine Augen und ließ nicht los. Er hielt sie fest. Ganz fest. Da verebbten plötzlich die Flügelschläge. Er schlug seine Augen auf und erkannte in der Krähe seine einzig wahre Liebe, die er noch immer fest in seinen Armen hielt.

Da drehe sich die Königin um, sie hatte verstanden, dass sie verloren hatte. Sie verwandelte Támlinn in ihre eigentliche Gestalt zurück und rief: „Rían, Rían, wenn ich gestern gewusst hätte, was ich heute weiß, dann hätte ich meiner Tochter Támlinn ihre blauen Augen genommen und ihr welche aus Glas gegeben; wenn ich gestern gewusst hätte, was ich heute weiß, dann hätte ich meiner Tochter Támlinn ihr liebendes Herz genommen und ihr eines aus Stein gegeben; wenn ich gestern gewusst hätte, was ich heute weiß, dann hätte ich meine Tochter Támlinn niemals auf diesen Ausritt mitgenommen und sie wäre auf ewig bei mir geblieben, als mein treueste und beste Ritterin und meine Tochter.“

Da tauchte die aufgehende Praiosscheibe den Horizont allmählich in dunkelblaues, weiches Licht und der Hofstaat der Feenkönigin machte sich eilig daran, seinen Ausritt zu beenden und so verklang das Klingen der Glöckchen langsam in der Ferne, bis es schlussendlich erstarb. Da hielt Rían Támlinn noch immer in seinen Armen und er hörte niemals damit auf.

Quellen

Frei nach den Erzählungen

Im Zeichen der Krähe

Im Anflug

1028

Gegen Mittag waren sie von der Otterburg aus aufgebrochen, da war der Himmel schon Wolkenverhangen gewesen. Bald darauf hatte es heftig zu regnen begonnen und Vater und Tochter hatten eilig Schutz unter einem Felsvorsprung gesucht. So standen sie nun da, blickten in den Regen hinaus, lauschten und warteten.

„Mutter wird bestimmt schrecklich weinen... ?“, verunsichert blickte das braunhaarige Mädchen zu ihrem Vater auf. Dieser war etwas überrumpelt, hatte er doch immer geglaubt, Rianod hätte ihre Tränen erfolgreich vor ihren Mädchen versteckt. Dem war aber wohl nicht so...

„Sie hat damals doch bei Ailsa schon geweint! Und als Scanlail dann auf die Bardenschule ging, da hat sie noch viel mehr geweint. Sie hat selbst bei Tara geweint. Mutter wird auch jetzt weinen...“, fuhr sie fort und schaute geradezu nachdenklich in den Regen. Ein paar verirrte Tropfen liefen an ihrer schwarzen Cappa hinab. Die Pferde machten sich über das wenige, aber feuchte saftig grüne Gras her.

„Sie...“, sein Herz war schwer, „...sie liebt euch eben und daher fällt es ihr schwer, von euch Abschied zu nehmen.“

„Ich weiß“, erwiderte sie geradezu stolz, „Ich weiß. Aber Ihr habt mich doch auch sehr lieb und trotzdem weint Ihr nicht, Vater.“

Der Ritter blickte zu seiner Tochter herab und fühlte sich ertappt. Es war nicht das erste mal, dass es ihm so ging. Es schien manchmal gerade so, als könnte sie in einen hineinschauen. Ob seine Tochter ein Talent dafür hatte? Ein besonderes Talent? Ein unheimliches Talent?

„Ich...“, stammelte er nur, „Ich...“

Nun blickte auch er in den Regen und wusste so gar nicht, was er nun eigentlich sagen oder nicht sagen sollte oder vielleicht sogar musste. Wenn nicht jetzt der geeignete, der richtige Zeitpunkt war, wann würde er dann sein?

Der Regen lief ihm durch sein dunkles, kurzes Haar. Er schluckte schwer. Wie sollte er mit seiner Tochter über etwas sprechen, über das er nicht einmal mit seiner Frau hatte sprechen können? Dabei war es sich nicht einmal sicher, ob sie nicht vielleicht etwas ahnte. Ja, vielleicht. Vielleicht hatte es eine stillschweigende Übereinkunft zwischen ihnen beiden gegeben, nicht über etwas zu sprechen, was keiner von ihnen verstand. Schweigen gegen Schweigen.

„Als du geboren wurdest, war es tiefer Winter. Wir waren eingeschneit. Du weißt ja, wie die Winter hier oben auf dem Greifenpass sind. Es war so ein Winter, er war nicht anders als andere auch: Wir waren abgeschnitten und vollkommen auf uns alleine gestellt“, hob er an und dachte etwas wehmütig an jenen Winter zurück. Eine unangenehme Gänsehaut begann seine Arme hinaufzukriechen.

„Es war in solch einem Winter, da wolltest du unbedingt geboren werden, dabei hättest du noch Zeit gehabt. Du warst so klein, Nurinai, so winzig und so schwach, nicht einmal geschrien hast du. Deine Mutter lag drei Nächte und zwei Tage in den Wehen und nichts was die Heilkundige versuchte, konnte ihr Linderung verschaffen und auch ich konnte nur zusehen, hilflos zusehen. Dann in der dritten Nacht – es war ganz still, so still als würde ein jeder den Atem anhalten – da kamst du zur Welt. Niemand sagte etwas, aber wir alle wussten, wie es um dich stand. Alle weinten. Du warst so schwach, dass du nicht einmal trinken konntest. Wir alle waren so erschöpft, wir weinten uns in den Schlaf. Aber ich, Nurinai, ich konnte nicht schlafen. Ich konnte einfach nicht schlafen, obwohl ich so schrecklich müde war. Ich wollte dich nicht verlieren! Natürlich hab ich versucht durch den Schnee zu kommen, aber ich musste einsehen, dass es nur meinen eigenen Tod bedeutet hätte und da war ja noch deine Mutter und deine beiden Schwestern...“

Er schluckte schwer und Tränen glitzerten in seinen Augen. Der Regen war inzwischen schwächer geworden.

„Und dann...“, fuhr er fort und versuchte die Gänsehaut von sich abzuschütteln, wie man Staub aus seinen Kleidern schüttelte, „...es war mitten in der Nacht, da klopfte jemand an die Tür. Ich wachte auf, ich war wohl doch eingenickt. Es war ein lautes, durchdringendes Klopfen und dennoch rührte sich nichts und niemand im Haus. Deine Mutter schlief. Sie hatte sich in den Schlaf geweint. Du lagst noch immer in ihren Armen. Es klopfte wieder und wieder und mit jedem mal unnachgiebiger. Ich ging also und fragte durch die geschlossene Tür: ‚Wer ist da?‘

‚Eine reisende Geweihte, die Obdach für die Nacht sucht‘, wurde mir erwidert.

Ich öffnete und erkannte tatsächlich eine Geweihte und war im ersten Augenblick so entsetzt, dass ich ihr die Tür wieder vor der Nase zuschlug. Ich zitterte am ganzen Körper, mir war schrecklich übel, doch ich besann mich und ließ sie schlussendlich ein.

‚Golgari ist schon unterwegs, Euer Gnaden, da trifft es sich vielleicht ganz gut, wenn er hier auf eine Dienerin des Schweigsamen trifft‘, sagte ich.

Sie schenkte mir ein warmes, jedoch zurückhaltendes Lächeln: ‚Früher oder später ereilt uns alle dasselbe Schicksal.’

‚Einen Grabsegen werdet Ihr ja wohl sprechen können‘, entgegnete ich ihr verbittert.

Wieder lächelte sie: ‚Ihr habt viel geweint, Hoher Herr, und seht erschöpft aus, was immer euch und die Euren auch belastet, ich kann Euch zur Seite stehen, denn wir Diener des Herrn Boron sind für wesentlich mehr da, als dafür Tote zu verscharren, vor allem wenn man nicht irgendeine Geweihte ist, sondern eine Etilianerin.‘

Erst da erkannte ich die zwei silbernen einander zugewandten Raben. Ich war zugegebenermaßen ein wenig verdutzt, hatte zwar schon von den Etilianern gehört, aber noch nie einen gesehen und das obwohl es sehr viele Boron-Geweihte im Kosch gibt. Ich bat sie also nach dir und deiner Mutter zu sehen und was sie fand, war noch schrecklicher als ich erwartet hatte. Als sie die Decke deiner Mutter zurück schlug, lag sie in ihrem eigenen Blut...“, seine Stimme brach, er wischte sich die nahen Tränen aus den Augen, „Sie schenkte mir ein warmes Lächeln und schickte mich warmes Wasser holen. Das tat ich, brauchte aber eine Ewigkeit bis ich die Glut entfacht hatte und noch einmal genauso lange bis das Wasser endlich warm war. Dann badete sie dich und wusch deine Mutter.

Als sie damit fertig war, sagte sie: ‚Ihre Frau und ihre Tochter brauchen nun Ruhe. Lasst sie schlafen, Hoher Herr, und vertraut auf die Götter.‘ Es fiel mir schwer, aber was blieb mir anderes übrig?”

Er zuckte mit den Schultern.

„Sie bat um etwas zu essen, ich gab ihr Wurst, Brot und Käse und saß noch zusammen mit ihr in der Küche. Dort fiel ihr die Wunde an meinem Handrücken auf.“

Er hielt seiner Tochter seinen rechten Handrücken entgegen und mit ihren zarten Fingern fuhr sie über die feine Narbe und wie all die Götterläufe zuvor, durchfuhr sie ein merkwürdiges Kribbeln, wenn sie der feinen Linie in der Haut ihres Vaters folgte. Es war genau genommen mehr als ein Kribbeln, ein merkwürdiger Schauder. Diese Narbe hatte ihr Vater schon, seit sie sich erinnern konnte, schon immer.

„Dann... dann war es also gar kein Hund, der Euch gebissen hat, Vater?“, mit ihren unschuldigen blauen Augen schaute sie ihn an. Ihre Finger ruhten noch immer auf der Narbe.

„Ich muss es wohl selbst gewesen sein“, erwiderte er schulterzuckend und versuchte sich ein Lächeln abzuringen, „Obgleich ich mich nicht daran erinnern kann. Die Wunde war tief. Sie nähte sie. Ich spürte keinen Schmerz. Dann aß sie. Das ist das letzte, an das ich mich erinnere, bevor mich am nächsten Morgen das Geschrei eines Kindes weckte...“

„Das war ich, nicht wahr? Das war ich?“

Der Ritter nickte und Tränen liefen über seine Wangen: „Das warst du, Nurinai. Du schriest aus Leibeskräften und hattest erbärmlichen Hunger. Und auch deiner Mutter ging es besser, noch immer etwas schwach, aber...“

Er hielt einen Augenblick inne.

„Ich vergaß die Geweihte. Die Freude war zu groß. Am Abend jedoch, als ich zur Ruhe kam, da sah ich zum ersten Mal dieses Amulett – diesen schwarzer Karneol – um deinen Hals und ich erinnerte mich. Doch von der Geweihten gab es keine Spur. Es schien mir so, als wäre sie nie da gewesen. Doch jemand hatte etwas von Wurst, Käse und Brot gegessen. Jemand musste die Wunde an meiner Hand versorgt haben und jemand musste euch – deiner Mutter und dir – das Amulett umgelegt haben. Ich ging nach draußen, suchte Spuren. Doch der Schnee lag noch genauso da wie zuvor – strahlend weiß und makellos. Und weil ich keine Erklärung fand, habe ich nie jemand davon erzählt, denn ich war ja der Einzige, der sie gesehen und mit ihr gesprochen hatte.“

Mit großen Augen blickte Nurinai ihren Vater an.

„Manchmal, ja manchmal da bin ich mir einfach nicht sicher, ob... ob es nicht vielleicht doch nur ein Traum... nur Einbildung, nur... nur ein Wahn war. Aber dann, dann muss ich wieder an all die Ungereimtheiten, an all die... Fehler denken. Es kann nicht nur ein Traum gewesen sein, aber was war es dann?“

Er zuckte mit den Schultern.

„Ich habe an den Tempel in Punin geschrieben, der einzige Tempel der Etilianer. Ich wollte wissen, wer die Geweihte war und so schickte ich einen Brief mit ihrer Beschreibung und der Bitte, mir doch ihren Namen mitzuteilen, damit ich mich bei ihr persönlich Bedanken konnte. Ich wollte ihr doch nur meinen Dank aussprechen und davon erzählen, dass es deiner Mutter und dir gut ging. Ich schwöre dir, mehr wollte ich nicht. Doch sie konnten mir nicht sagen, wer es gewesen war. Die Etilianer sind viel unterwegs, fast ausschließlich reisende Geweihte. Aber sie versicherten mir, sich umzuhören. Ich hörte nie einen Namen, sie fanden nie heraus, wer es war. Mir scheint es gar manchmal so, als hätte es diese Geweihte gar nicht gegeben.“, er lachte und schüttelte angesichts seiner gerade getätigten Aussage seinen Kopf, „Seit dem spendete ich jeden Götterlauf eine größere Summe an die Etilianer – immer um deinen Tsatag.“

Da begann seine Tochter herzzerreißend zu weinen. Er schloss sie in die Arme. „Du brauchst nicht zu weinen! Nicht weinen, Nurinai!“, versuchte er sie zu beruhigen, „Nichts davon ist wichtig und für nichts davon kannst du etwas. Das einzig was zählt ist, dass du da bist, dass du lebst!“

Er hauchte ihr einen Kuss auf die Wange: „Vielleicht verstehst du jetzt, warum deine Mutter immer so weinen muss, wenn sie eine ihrer Töchter gehen lassen muss und warum sie es einfach nicht geschafft hat – bei keiner von euch – euch richtig zu verabschieden.“

„Ich hab euch so lieb!“, konnte das Mädchen nur wimmern, „So lieb! Einfach so lieb!“

Da hörte der Regen auf, die Wolken hatten die Praiosscheibe wieder frei gegeben, die nun ihre Tränen trocknete und ihre Herzen mit Zuversicht und Wärme erfüllte. Sie ritten weiter und sangen zusammen. Sie sangen ein altes koscher Wiegenlied.

Sie bogen von der Reichsstraße auf einen schmalen Pfad, dem sie ein ganzes Stück ins Gebirge hinein folgten. Doch irgendwann tauchte der in den bloßen Fels gehauene Tempel vor ihnen auf und Darian wurde mehr und mehr bewusst, dass der Augenblick der Trennung nahe war.

„Vielleicht darfst du das Amulett behalten, wenn du ihnen erzählst, dass du es von einer Geweihten erhalten hast, aber ich kann das natürlich nicht beweisen, ich kenne ja nicht einmal den Namen der Geweihten...“, schlug der Vater vor und hoffte seine Tochter würde ihn bei dieser Lüge nicht ertappen. Tat sie auch nicht. Sie umfasste das Amulett fest mit ihrer Rechten und erklärte mit einer Gewissheit, die ihn erschaudern ließ: „Sie hieß Nurinai, so wie ich.“

Ein Windhauch erfasste das braune Haar des Mädchens. Ein Windhauch, von dem der Vaters nichts spürte. Seltsam ergriffen blickte er zum Tempel.

Landung

[Ankunft im Tempel]

Federn lassen

Wie das Wasser nach einem kurzen Regenschauer in die Erde sickerte, so sickerte die Stille ganz langsam und allmählich in Darian von Trottweiher hinein. Ausgehend von den Zehen begann sie ihn zu durchdringen, füllte ihn immer mehr und mehr aus. Erst macht es ihn ruhig. Ganz ruhig. Sein Atem ging langsamer, seine Gedanken auch. Die Stille hatte etwas Beruhigendes. Er lauschte seinem Herzschlag, seinem eigenen Atem, nahm sich bewusster wahr als je zuvor.

Doch dann stieg die Stille immer weiter, stieg wie der Wasserpegel bei einer Flut, immer höher und höher und riss alles mit sich und die Strömung förderte selbst das zutage, was so lange am Grund getrieben hatte – Unterbewusstes und den unüberwindbaren Drang selbiges endlich auszusprechen.

Und da war er plötzlich, der Praetor. Ganz dicht neben ihm, als habe er gewusst, dass er reden wollte. Ob es so wie bei Nurinai war? Die gewisse Dinge einfach wusste?

„Ich muss mit Euch sprechen, Euer Hochwürden“, hob Darian da leise an, „Es geht um... um meine Tochter. Es gibt da etwas, was Ihr noch nicht wisst, aber... aber was Ihr wissen solltet, weil... weil ihr Leben daran hängt. Das Leben meiner Tochter. Denn sie ist nicht, wie andere. Sie ist... etwas Besonderes.“ In diesem Moment klang er selbst in seinen eigenen Ohren nur wie ein besorgter überfürsorglicher Vater, dem er kein einziges Wort glauben würde.

Er ließ sich jedoch davon nicht beirren und erzählte ihm leise die Geschichte rund um die Geburt Nurinais, so wie er sie zuvor auch seiner Tochter erzählt hatte, doch ihm verschwieg er die Wahrheit nicht: „Sie hat mir ihren Namen genannt, gesagt habe ich das nie jemanden und mit meiner Tochter erst auf dem Weg hierher über ihre Geburt gesprochen. Ich musste mit ihr sprechen, wenn nicht jetzt, wann denn dann? Doch die ganze Wahrheit konnte ich ihr nicht sagen, das brachte ich einfach nicht über mich, weil... weil ich die Ereignisse selbst nicht so recht verstehe, wie sollte ich sie da meiner Tochter erklären?“

Er hielt einen kurzen Moment inne, bis die Stille um ihn herum zu drückend wurde.

„Nurinai, so hieß sie. Zumindest stellte sie sich so vor. Nurinai, wie meine Tochter. Ein seltsamer Zufall, findet Ihr nicht? Oder war es gar kein Zufall? Vielleicht nur Einbildung? Im Nachhinein betrachtet, habe ich mich oft gefragt, was in dieser Nacht Traum und was Wirklichkeit gewesen ist, was Einbildung und was nicht? Aber das jemand in meinem Haus war, das stand außer Frage. Doch wer? Wer war es? Da waren schließlich keine Spuren im Schnee und ich war der Einzige, der sie gesehen oder gar mit ihr gesprochen hatte. Ich verschwieg die Ereignisse der Nacht, was hätte es auch geändert? Wichtig war doch, dass meine Frau und auch meine Tochter am Leben waren. Sie lebten! Gerettet von einer Dienerin des Herren von Tod und Schlaf.“

Darian macht eine Pause und holte Atem. Die ganze Geschichte zu erzählen, ermüdete ihn auf eine merkwürdige Art und Weise oder war es gar Erleichterung? Zum ersten mal seit jener Nacht vertraute er die damaligen Ereignisse jemanden an.

„Mir ließ es trotzdem keine Ruhe. Ich wollte mich bei dieser Geweihten bedanken, ihr davon berichten, wie meine Nurinai wuchs und gedieh. Und so schrieb ich an den Tempel der Etilianer in Punin. Ich schrieb an die Geweihte mit Namen Nurinai, doch...“, seine Stimme brach, „... eine Geweihte mit diesem Namen gab es unter den Etilianern nicht.“

Nun schaute er seinem Gegenüber direkt in die Augen, zog dabei mit zitternden Fingern einen schmalen, abgegriffenen Brief aus seiner Gürteltasche hervor und streckte ihn dem Praetor entgegen.

„Es ist der einzige Beweis, den ich habe“, erwiderte der Ritter, „Abgesehen von meinem Wort.“

Mit zitternden Fingern hielt er noch immer den Brief seinem Gegenüber entgegen.

„Es geht um ihr Amulett, den schwarzen Karneol“, eröffnete er schließlich, „Sie trägt ihn seit jener Nacht, hat ihn nie abgelegt. Sie hat mich nie gefragt, warum sie ihn trägt und seit wann. Ich weiß nicht so recht, warum sie mich nie gefragt hat, aber manchmal scheint sie unterbewusst Dinge zu wissen, die sie nicht wissen kann. Sie spricht ihr Wissen nicht aus, sie handelt einfach. Es ist beängstigend, unheimlich.“

Er schluckte schwer, die Situation war ihm sichtlich unangenehm, schließlich musste er den Praetor bitten für seine Tochter die Regeln zu brechen und konnte dabei nichts weiter ins Feld führen als seine eigene Erinnerung und seine Intuition.

„Ich weiß, dass jegliche Form von persönlichem Besitz verboten ist, Euer Hochwürden, und ich weiß, dass ich gewiss viel von Euch verlange, wenn ich Euch darum bitte, für meine Tochter eine Ausnahme zu machen, ich tu es trotzdem: Bitte lasst ihr das Amulett. Ich will nicht leugnen, dass sie an diesem Schmuckstück hängt, doch noch mehr hängt ihr Leben daran.“

[Antwort des Prätors]