Unternehmen Witwenklau - Die verschwundene Dame
Teil der Briefspielgeschichte "Unternehmen Witwenklau"
Eine böse Überraschung | Wer suchet, der findet! |
Grimwulf mochte die Burg auf Anhieb.<br.> Sie war in ordentlichem Zustand, aus dunklem Basalt errichtet, trutzig und wehrhaft, aber innen von uriger Gemütlichkeit, zumindest in den Wohnräumen. Eine Führung durch den Treublatt hatte er abgelehnt, höflich, aber entschieden. Er würde ohnehin froh sein, den Kerl von hinten zu sehen. Angenehm wie eine Blase unter der Ferse, fand er.<br.>Im Rittersaal von Adlerstein betrachtete er nachdenklich den Platz des Barons an der Tafel. Bald würde dies sein Platz sein, aber vorher gab es noch einen Haufen Arbeit, den er würde leisten müssen.<br.>Sein Blick fiel auf einen zweiten, ebenfalls reich beschnitzten Stuhl rechts vom Platz des Barons.<br.>„Vogt von Treublatt“, wandte er sich jetzt widerwillig um. „Wäret Ihr so gut, mich der Witwe des verblichenen Barons vorzustellen. Ich möchte der Dame gern kondolieren!“<br.>Gisbrun senkte kurz den Blick, als müsse er eine schlechte Neuigkeit verkünden.<br.>„Ich bedaure zutiefst, Hochgeboren, aber die Dame von Roterz weilt im Moment nicht in der Baronie. Nach dem Tod ihres Gatten wollte sie ihre Verwandtschaft in Albernia besuchen.“<br.>„Albernia“, wiederholte Grimwulf nachdenklich. „Das ist in der Tat ein weiter Weg.“<br.>Er blickte seinen Sohn an.<br.>„Rondrolf, könntest du bitte herauszufinden versuchen, wohin genau sie ging. Ich möchte ihr zumindest ein kurzes Schreiben zukommen lassen!“<br.>„Selbstredend, Vater!“<br.>Rondrolf wandte sich zum Gehen, als ein Diener den Saal betrat.<br.>„Hochgeboren, Vogt von Treublatt, der Kommandant der fürstlichen Kompanie „Marschall Geldor“, seine Wohlgeboren Reto Hlûthar von...“<br.>Ein junger Mann drängte den Lakaien zur Seite.<br.>„Den Zwölfen zum Gruße, Hochgeboren“, rief er beinahe übermütig.<br.>„Reto Hlûthar von Bodrin-Hardenfels mein Name. Ich bitte meine Verspätung zu entschuldigen, aber ich wurde über Euer Eintreffen bedauerlicherweise nicht informiert!“<br.>Der Enkel des einstigen Schetzenecker Grafen schickte einen finsteren Blick zu Gisbrun, den er für dieses Versäumnis offenbar verantwortlich machte. Dann aber suchte er erneut die Aufmerksamkeit Grimwulfs.<br.>„Es ist eine große Freude und ein Glück für Roterz, dass eine der treuesten Familien der Provinz dieses Lehen erhält“, fuhr er mit ehrlicher Freude fort.<br.>„Und es ist meine Freude, Euch in diesem, meinem zukünftigen Heim begrüßen zu dürfen“, erwiderte Grimwulf, der sich ebenfalls sichtlich über diesen unerwarteten Besuch freute.<br.>„Bitte, tretet näher. Wie steht es an der Grenze nach Almada und um die Moral Eurer Truppen?“<br.>Die zwei Männer begannen ein Gespräch, dass vom politischen rasch ins Private abdrifteten.<br.>Rondrolf verabschiedete sich mit Verweis auf die ihm übertragene Aufgabe, und auch Gisbrun nutzte die gute Gelegenheit, sich zu empfehlen.<br.><br.>Eine Stunde später hegte Rondrolf ernsthafte Zweifel an der Geschichte mit der Reise nach Albernia.<br.>Keiner der Bediensteten wusste von so einer Reise, und in den Gemächern der Baronswitwe deutete auf nichts darauf hin, dass man ausreichendes Gepäck für eine längere Abwesenheit entfernt hatte.<br.>Das die Dame mit kaum mehr als dem, was sie am Leibe trug, abgereist war, schloß Rondrolf aus. Keine Dame von Stand würde ohne Not solcherart die Lande durchqueren.<br.>Allerdings wusste auch niemand vom Gesinde genaueres über den Tag, an dem Selissa von Roterz Burg Adlerstein zum letzten Male verlassen hatte.<br.>Dennoch klapperte Rondrolf sie alle ab: Leibdiener, Zofen, Mägde und Knechte, und landete schließlich bei den Stallungen. Womöglich hatte ein Stallbursche etwas aufgeschnappt, was ihm weiterhalf.<br.>Der Schmied der Burg, ein wuchtiger Angroscho, schmiedete gerade an einem Türbeschlag, als er eintrat. Er nickte kurz in seine Richtung und ging weiter zu den Ställen.<br.>Eine halbe Stunde später wollte er wieder ins Freie treten, denn auch hier war er nicht fündig geworden.<br.>„Ihr sucht Selissa von Roterz?“<br.>Rondrolf blickte in Richtung des Schmiedes, der das Werkstück mittlerweile geformt hatte und mit kleineren Werkzeugen weiter bearbeitete.<br.>„In der Tat, werter Herr“, bestätigte Rondrolf und trat neben den Amboss.<br.>Der Zwerg blickte ihn interessiert an.<br.>„Ihr seid der Sohn des neuen Barons“, fragte der Schmied.<br.>„Euer Scharfsinn ist bemerkenswert“, entgegnete der Adlige abwartend. „Gibt es sonst noch Fragen, die Euch interessieren? Falls nicht, so würde ich mich gern verabschieden und meine Suche fortsetzen!“<br.>„Die Menschen haben es immer so eilig“, brummelte der Zwerg und betrachtete sein Werk eingehend. „Möglicherweise bringt es Euch weiter, wenn Ihr bei meinem Vetter sucht, Murgrim, dem Sohn des Morgrosch. Er betreibt eine Schmiede nahe der Eisenhütte unten in der Stadt.“<br.>Rondrolf legte die Stirn in Falten. War dieser Vorschlag ernst gemeint, oder trieb der Angroscho seinen Spott mit ihm?<br.>Der Zwerg lächelte aber freundlich, scheinbar ohne Hintergedanken.<br.>„Murgrim hört und sieht eine ganze Menge, wenn er seiner Arbeit nachgeht“, erklärte der Burgschmied.<br.>„Womöglich lohnt sich der Besuch!“<br.>„Dann habt besten Dank, werter Schmied. Länger will ich Euch von Eurer Arbeit nicht abhalten!“<br.>Rondrolf zog kurz den Hut und eilte über den Burghof zum Tor.