Ritterin Rondralieb und die Liebe - Auf zum Märker Treffen!
Auf zum Märker Treffen!
Rakulbruck in der Mark Ferdok, Travia 1038 BF
Es war ein herrlicher Herbsttag. Efferd hatte beschlossen, seiner Schwester Travia nicht ihren Monat zu verregnen. Entsprechend gut gelaunt gingen die Rakulbrucker ihren Geschäften nach. In der Grenzstadt zu Garetien war viel los in diesen Tagen. Bald würde wieder das Märker Treffen stattfinden! Das recht neue Turnier ging auf einen Vorschlag Angunde von Sindelsaums zurück. Es hieß, die vor einigen Jahren neu eingesetzte Junkerin sei recht ehrgeizig und versuche, die ihr unterstellte Stadt auch außerhalb der Provinz bekannt zu machen. Den Rakulbrucker Kaufleuten und Gastwirten konnte dies nur recht sein, da es ihnen bessere Geschäfte einbrachte. Selbst das unter Koschern eher berüchtigte Gasthaus "Zum geizigen Grimmbart" war ausgebucht.
Mitten durch dieses Treiben bahnte sich eine junge Ritterin auf ihrem Pferd einen Weg, gefolgt von ihrer Dienerin Wina, und steuerte das Junkerhaus an. Kaum dass sie abgestiegen war, kam ihr auch schon aus dem Haus ein älterer Herr entgegen, der sich als Ungolf, Schreiber und Haushofmeister vorstellte und sie sogleich hineinbat. Drinnen fand sie jedoch nicht etwa die Junkerin vor, sondern zwei Herren in Wappenröcken mit dem Kopf eines Einhorns. Sie hatten offensichtlich gerade allerlei Dokumente besprochen, die auf einem langen Tisch ausgebreitet waren. Nun schauten sie jedoch auf den Neuankömmling. Der linke Mann war ein hochgewachsener, kräftiger Kerl mit einer schulterlangen blonden Mähne und einem Bart – sprich, ein Kämpe ganz nach Koscher Art. Der rechts war ebenfalls blond, aber etwas kleiner und schmaler. Jetzt zwinkerte er leicht, so als würde er auf etwas warten.
Da fiel der Ritterin ein, dass sie etwas zu lange gewartet hatte mit der Begrüßung, und holte diese nun umso kräftiger nach. "Den Zwölfen zum Gruße! Ich bin gekommen, um am Turnier teilzunehmen!" "Den Zwölfen zum Gruße!", erwiderte der Mann links, "das Haus vom Kargen Land heißt Euch willkommen. Mein Name ist Holdwin." "Seid gegrüßt. Ich bin Boromil." Er lächelte freundlich. "Und mit wem haben wir die Ehre?"
Dies war der Moment, den sie stets hasste. "Ritterin Rondralieb von Uztrutz." Sie mochte ihren Familiennamen nicht, weil er in ihren Augen für Streit und Zwietracht stand. Auch jetzt blieb eine Reaktion nicht aus. Die beiden vom Kargen Land machten sichtlich überraschte Gesichter und zogen die Augenbrauen hoch. Doch es sollte ganz anders kommen als sie erwartet hatte.
"Da seid Ihr ja noch von weiter hinunter den Großen Fluss angereist als ich. Schön, jemanden aus dem Süden des Kosch hier zu haben!", zeigte sich Boromil sichtlich angetan. "Aus dem fernen Uztrutz bis an die garetische Grenze, um unser Turnier mit Eurer Anwesenheit zu ehren. Unser Vater, der Vogt, wird äußerst erfreut sein, davon zu erfahren!", bekräftigte Holdwin. Auch aus seinem Gesicht sprach eine aufrichtige Freundlichkeit Rondralieb gegenüber. Er nickte ihr anerkennend zu. "Es wäre mir eine Ehre, wenn wir uns miteinander messen könnten. Vielleicht ergibt sich ja die Gelegenheit." "Ungolf, trage unseren werten Gast doch bitte in die Teilnehmerliste ein.", wies Boromil den Schreiber an. "Sofort, Euer Wohlgeboren!" "Wir waren soeben dabei, mit Ungolf den Ablaufplan durchzugehen.", erklärte Holdwin. "Doch jetzt scheint es, als müssten wir noch einige Änderungen vornehmen. In welchen Disziplinen beabsichtigt Ihr anzutreten?" "Beim Gestampfe und der Tjoste." Als er das hörte, legte Ungolf nachdenklich eine Hand ans Kinn und sah dann vorsichtig zu den beiden edlen Herren. Holdwin schaute fragend zurück. "Was gibt es denn?" "Nun, Euer Wohlgeboren, mit einem Teilnehmer mehr müssen wir den gesamten Modus der Tjoste umstellen. Die Aufteilung, wie wir sie eben besprochen hatten, geht ja nun nicht mehr auf." "Ach ja, richtig." Nun blickte Holdwin die Ritterin an. Seine Worte hätten leicht tadelnd geklungen, wären da nicht seine Heiterkeit und sein Lächeln gewesen. "Bei Rondra, Ihr hättet aber auch etwas früher kommen können." "Verzeiht die späte Ankunft, doch ich habe einen langen Weg hinter mir." Auch wenn es nicht ernst gemeint war, spürte Rondralieb, wie sie errötete. Sie war neu hier und kannte die Gepflogenheiten noch nicht. Nach allem, was sie gehört hatte, war dieser neuerliche Wettstreit bei den Koschern außerhalb der Grafenmark noch nicht besonders angekommen. Daher hatte sie ihre Chance gewittert, sich als junge Ritterin am Ende der Turniersaison noch einmal hervortun zu können. Holdwin nickte ihr anerkennend zu. "Tatsächlich, da habt Ihr es weiter gehabt als so mancher Garetier, der sich hier eingefunden hat." Boromil verbeugte sich: "Damit wir uns hier nicht allzu lange den Kopf zerbrechen müssen über die Tjoste, bin ich gerne bereit, meinen Platz an Euch abzutreten. Ich bin sicher, eine erstmalige Teilnehmerin wird für mehr Interesse sorgen als ein weiterer Ritter aus der nächsten Verwandtschaft des Ausrichters." Rondraliebs Herz schlug höher, während Holdwin seinen Bruder erstaunt anguckte. Diese winkte ab. "Machen wir uns nichts vor: Besonders berühmt bin ich im Lanzenstechen nicht und diesmal vor allem gemeldet, um das Teilnehmerfeld aufzustocken. Aber das ist ja nun nicht mehr notwendig Dank der edlen Dame hier. Ich bin ja noch beim Wettschießen gemeldet, das reicht mir vollkommen aus." Mit einem schiefen Lächeln fuhr er fort: "Schlechter als Vater letzten Monat bei den Falkenhags kann ich es ja kaum anstellen." Dies musste eine besonders witzige Anspielung gewesen sein, denn die beiden Männer fingen aus vollem Herzen an zu lachen. Leider kannte die Ritterin den Anlass für die Erheiterung nicht und schaute etwas irritiert zu Ungolf hinüber, der angestrengt auf den Boden starrte und mit sich rang, um nicht selbst mitzulachen. Als sich die Brüder wieder gefangen hatten, besann sich Holdwin wieder auf ihre Aufgabe. "Gut, dann hätten wir das ja jetzt geklärt."
Nun warf Boromil jedoch etwas ganz anderes in die Runde. "Hohe Dame, Ihr habt doch wahrscheinlich noch keine Unterkunft? Es könnte schwer werden, in den hiesigen Gasthäusern etwas zu finden." "Stimmt", pflichtete ihm Holdwin bei, "selbst bei den Badilakanern im Brückentempel ist angeblich alles belegt! Normalerweise würden die sicherlich helfen, aber diesmal ist alles voll." "Mir kommt da eine Idee...", überlegte Boromil laut, "Es gibt doch genügend traviafromme Leute hier. Da wird sich doch sicher jemand erbarmen lassen, einen Gast für ein paar Tage unterzubringen... zur Not mit klingender Münze, und sei es in Form einer Spende für die Göttin." "Ich wüsste da sogar eine genaue Adresse!", sprudelte es nun aus Ungolf heraus. "Die Familie Nielung, das sind brave Koscher, der älteste Sohn ist vor einigen Jahren Soldat geworden... ist gar nicht weit von hier!" "Na also!", freute sich Boromil. "Hervorragend, Ungolf, dann wirst Du die Dame direkt dorthin begleiten. Du kennst die Leute hier und außerdem haben wir dafür gesorgt, dass Du weniger Arbeit mit dem Ablauf des Turniers hast." "Ja, natürlich, Euer Wohlgeboren!" An Rondralieb gewandt, machte er eine eilige Geste. "Kommt!" Die Ritterin verabschiedete sich höflich.
Als sie gerade aus dem Junkerhaus hinaustraten, sah Rondralieb einen weiteren Mann im Wappenrock des Hauses vom Kargen Land, der ihr entgegenkam. Er hatte dunkles Haar und Bart und einen irgendwie melancholischen Ausdruck im Gesicht, auch wenn er nicht wirklich traurig zu sein schien. Ihre Blicke trafen sich für einen Moment. Er schaute sie neugierig an. Doch bevor sie etwas sagen konnte, drängte Ungolf zur Eile. Wahrscheinlich hatte er recht und es war nun das wichtigste, eine Übernachtungsmöglichkeit zu sichern. Dennoch drehte sich Rondralieb noch einmal um, um einen weiteren Blick auf diesen interessanten Unbekannten zu werfen. Er schaute sie noch immer an. Seine schönen Augen schienen zu strahlen. Wer er wohl war? Na, das ließe sich schon noch herausfinden! Rondralieb war fest entschlossen, dieser Frage später nachzugehen. Zusammen mit Ungolf und Wina verschwandt sie in den Straßen Rakulbrucks.
Boronar vom Kargen Land schaute der jungen Rittern nach, der er soeben über den Weg gelaufen war. "Heiliger Argelion", sagte er zu sich selbst mit einem Lächeln, "das könnte ein interessantes Turnier werden..."
