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Eisenhuett, 1034

Die Schmiede von Murgrim Kunstschmied, Sohn des Morgrosch, wie ihn jeder Bürger tituliert hatte, lag in einer der Seitenstraßen nahe der stets rauchenden Eisenhütte, in denen sich eine Schmiede an die andere reihte. In jedem zweiten Haus sah man die Schmiede ihrem Tagwerk nachgehen, Zwerge zumeist, die aber oft genug menschliche Gesellen bei ihrer Arbeit anleiteten.
Auch Murgrim schien zwei Großlinge im Dienst zu halten, zwei junge Burschen von muskulöser Statur, aber scheinbar schlichtem Gemüt.
Er blickte etwas unwillig von seiner Arbeit auf, als Rondrolf ihn grüßte und als Sohn des zukünftigen Barons vorstellte.
"Und Ihr wünscht, Sohn des zukünftigen Barons?" fragte Murgrim unwirsch.
"Euer Vetter schickt mich", erklärte Rondrolf ohne Umschweife.
"Der Schmied von Burg Adlerstein! Er meinte, Ihr wüsstet etwas über das Verschwinden der Witwe des Karras von Roterz."
"Borax war schon immer geschwätzig wie eine Elster", brummelte Murgrim. "Und ich weiß darüber nichts. Eure Gigrim-Angelegenheiten interessieren mich nicht, die regelt allein. Ich habe ihm nur erzählt, dass die Söldlinge, die neuerdings überall herumlaufen, auch in das Haus gegenüber eingezogen sind", er deutete mit dem Hammer quer über die Straße, "wo einst mein Freund Losan wohnte, ehe er nach Bragahn zog. Das waren noch Zeiten! Kein Abend, in dem ich nicht durch den Tunnel rüber ging und mit ihm noch einen Schwatz hielt. Losan war Zinngießer, ein guter sogar, für einen Großling. Er konnte ganz wunderbare..."
"Verzeiht, werter Herr Kunstschmied", unterbrach Rondrolf etwas ungeduldig. "Eure Reminiszenzen an alte Freunde mögen zu einem günstigeren Zeitpunkt hochinteressant sein, doch im Moment suche ich einzig die Dame Selissa."
Der Angroscho blickte ihn leicht ärgerlich an.
"Was gibt es da schon zu berichten?" schnappte er. "Wo die Dame steckt, weiß ich nicht. Ich weiß nur, dass dieses Soldvolk eines Nachts einen großen Sack ins Haus trugen, so vorsichtig, als sei er voll roher Eier! Seitdem sind immer ein paar von ihnen im Haus, rund um die Uhr, gehen nie raus, bekommen ihr Mahl von einem anderen Mietling gebracht. So, dass war alles!"
Mit grimmiger Miene machte der Zwerg sich wieder an die Arbeit.
Rondrolf lüpfte den Hut und verabschiedete sich. Ein ruhmreicher Einstand bei der arbeitenden Bevölkerung von Eisenhuett, dachte er und ärgerte sich über seine Ungeduld.
Keinen Tag hier, und schon unbeliebt gemacht.
Das besagte Haus stand allein in einer Reihe von anderen Häusern, die Fensterläden waren geschlossen, als sei niemand zu Hause. Kellerfenster gab es hier keine, aber möglicherweise auf der Rückseite, sofern sich dort nicht direkt ein anderes Haus anschloß.
Rondrolf kehrte bis zur nächsten Querstraße zurück und näherte sich dem Gebäude dann von der Rückseite. Phex schien ihm hold zu sein, denn die Häuser hatten kleine, ummauerte Hinterhöfe, in die schmale Pforten führten. Er zählte die Häuser ab, bis er vor dem Richtigen stand, und lugte kurz über die Mauer.
Keine Wache war zu sehen, auch hier waren die Fensterläden verrammelt, teilweise sogar vernagelt.
Aber es gab zwei schmale Fensteröffnungen gleich über dem Boden, die zum Keller führen mochten, vergittert zwar, aber ansonsten ungesichert. Rondrolf versuchte die Klinke der Pforte und verzog das Gesicht.
Natürlich verschlossen!
Also trat er zwei Schritte zur Seite und machte sich daran, die Mauerkrone zu übersteigen.
"He, was tut denn Ihr da?"
Rondrolf fuhr herum.
Vor ihm stand eine junge Frau, einen geflochtenen Korb am linken Arm, ein in Decken gewickeltes Kleinkind auf dem Rechten. Sie blickte überaus misstrauisch, was man ihr kaum verdenken konnte angesichts seines höchst verdächtigen Verhaltens.
Eilig zog Rondrolf den Hut, nannte seinen Namen und den Rang, den sein Vater bald schon bekleiden würde. Die Frau starrte ihn etwas ungläubig an, ehe sie sich an einem unbeholfenen Knicks versuchte.
"Ich bin Lorine Butterrüb", sagte sie rasch. "Ich wohne gleich nebenan. Mein Gatte arbeitet als Tagelöhner in der Eisenhütte."
"Gleich nebenan", wiederholte Rondrolf nachdenklich. "Gestattet, dass ich Euch nach Hause geleite, werte Frau Butterrüb. Ich hätte einige bescheidene Fragen!"

Eine gute Viertelstunde später verließ Rondrolf das bescheidene Heim der Butterrübs wieder. Vermutlich würde die Frau noch ihren Enkeln erzählen, dass einst der Sohn des Barons dieses Haus aufgesucht hatte, aber das mochte ihm gleich sein.
Viel bedeutsamer war das, was sie ihm über die ihre unliebsamen Nachbarn hatte berichten können. Auch sie und ihr Gatte hatten den nächtlichen Transport des Sackes beobachten können, und Frau Butterüb schwor Stein und Bein, dass sich etwas in dem Sack bewegt habe.
Noch interessanter war aber etwas, das ihr Mann wenige Tage darauf auf der Straße gefunden hatte: ein zusammen geknülltes Stück Papier, wie eine Seite, die jemand aus einem Buch gerissen hatte. Eine Seite war mit roten Buchstaben beschriftet, doch die Butterrübs konnten nicht lesen und hatten sich weder getraut, den merkwürdigen Zettel jemand anderem zu zeigen noch ihn zu verbrennen. Denn auch die einfachen Leute hatten erkennen können, dass die Buchstaben mit Blut geschrieben waren, und fürchteten sich vor möglichen Folgen dieses Fundes.
Rondrolf hatte Frau Butterrüb diesbezüglich beruhigen können. Weder würde ein finstermagischer Fluch ihre Familie treffen noch der Zorn der Obrigkeit. Der würde sich ohnehin gegen ganz andere Personen richten, denn im Gegensatz zu den Butterrübs hatte Rondrolf keine Schwierigkeiten mit dem geschrieben Wort.
"Werde in einem Keller gefangen gehalten. Schickt Hilfe! Selissa von Roterz", stand auf dem Papier geschrieben.
Nachdem er sich davon überzeugt hatte, dieses Mal nicht in seinem Vorhaben gestört zu werden, kletterte der Edelmann über die Mauer des Anwesens, in dessen Keller er die Witwe des verstorbenen Barons vermutete.
Ein Blick in die Kellerlöcher genügte. Auf der linken Seite konnte er eine Frau ausmachen, die zusammen gekauert an der Kellerwand hockte. Ob sie schlief oder bewusstlos war, konnte er nicht sagen, und sie anzusprechen erschien ihm zu riskant. Die Dame von Roterz – falls sie es denn war – würde sich noch einige Minuten gedulden müssen, ehe sie aus ihrem Verlies befreit wurde.
Rasch kletterte Rondrolf auf die Straße zurück, wartete abseits einige Minuten lang, ob sich im Haus etwas tat, doch nichts regte sich. Man schien ihn nicht bemerkt zu haben. Die Wartezeit nutzte er, um nachzudenken.
Wie konnte er die Edeldame befreien? Was würde sein Bruder Roban in einem solchen Fall tun?
Ein kurzer Seufzer entrang sich seinem Mund.
Die Waffen zücken, die Kriegsgöttin anrufen, anschließend die Tür eintreten, alles niedermachen, was nicht die Waffen streckte, alle anderen beschimpfen, fesseln und noch mal beschimpfen, den Keller stürmen und die Dame auf der Schulter heraustragen wie einen Sack Beutegut, im Laufschritt zurück zur Burg und sie dem Vater überbringen!
Derlei Vorgehen kam im Moment nicht in Frage.
Erstens war Rondrolf kein Kämpfer, der es wagen durfte, mit gleich mehreren Mietlingen gleichzeitig die Klingen zu kreuzen, zweitens würde er sich vermutlich den Fuß verstauchen, wenn er die Tür eintreten wollte, und drittens hatten die Götter ihm einen wachen Verstand gegeben anstatt Muskeln.
Also bemühte er diesen, bis Hesinde ein Einsehen hatte.