Wolfsjagd zu Wengenholm - Die Erlebnisse des Ritter Lucrann I

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Wengenholm, 1023

Als sie am späten Mittag zum Lager zurückkehrten, fanden sie dort den jungen Globerich in heller Aufregung – und alleine.

„Ihr Herren, endlich seid Ihr wieder da! Etwas Furchtbares ist geschehen!“ „Ihr bringt schlechte Kunde? Was gibt’s, wo ist Auersbrück?“ fragte der Graf. „Verschwunden – oder was weiß ich. Alle Zwölfe, ich weiß nicht mehr, was ich glauben und wem ich trauen soll. Meinen Augen jedenfalls nicht“, erklärte der Junker mit bebender Stimme. Der Schweiß perlte über seine Stirne.

„Nun erzähl einmal langsam und der Reihe nach, was sich ereignet hat, Globerich!“ forderte ihn der Baron der Geistmark auf und hieß sie alle, sich zu setzen.

„Das war so“, begann der aufgeregte Ritter, „wir ritten gemächlich durch den Wald in jene Richtung, wo nach Pannlapps Angaben der Einödhof des Bauern Jorrek liegen sollte. Wohl ein Stundenmaß schon folgten wir einem Bach, als wir an eine Stelle kamen, wo das Wasser schäumend in Kaskaden den Hang hinabstürzt. Da blieb der treue Reto mit einem Male stehen, seine Nackenhaare sträubten sich, er knurrte. Selbst als ihn Lucrann mehrfach rief, wollte der Hund nicht von der Stelle weichen, sondern starrte immer noch auf das schäumende Wasser. Da wurden wir neugierig und stiegen ab. Lucrann deutete nach unten, dorthin, wo sich das Wasser in einem kleinen Teich sammelte, ehe es weiterfloß. Wir vereinbarten, daß ich bei den Pferden bleiben sollte, während er den Fels hinabkletterte. Ich blickte ihm nach und verfolgte, wie er zunächst das Ufer absuchte, sich dann dem Wasserfall näherte. Er zeigte mit der Hand darauf und rief mir etwas zu, doch Efferds Murmeln trug die Worte davon. In diesem Augenblick wieherten und schnaubten die Rösser, ich wandte mich ihnen zu, und als ich wieder nach Lucrann schaute – war er verschwunden! Ich sah ihn nirgends, weder am Fuße des Felsens noch im Wasser. Ich rief, suchte, stieg schließlich selbst hinab. Seine Spuren führten bis nahe an den Wasserfall und brachen dann am Wasser ab, ohne zurückzuführen.“

„Gab es andere Fährten?“ fragte der Vogt von Albumin. „Keine, zumindest keine von einem Tier, das größer als ein Vogel oder Eichhorn ist.“ „Und was war mit dem Wasserfall?“ fragte Baron Kordan seinen jungen Freund. „Darauf kam ich schließlich auch, doch dahinter war nichts als Fels und Erde und nochmals Fels. Ein Wasserfall eben, wie er im Gebirge nicht selten ist.“

„Habt Ihr den Hund nicht an die Stelle gebracht?“ fragte Wilbor Tannschlag. „Der hätte vielleicht Lucrann finden können – seinen eigenen Herrn wittert solch ein Tier am schnellsten.“ „Daran habe ich ja gar nicht gedacht! Aber der Hang war auch sehr steil, da hätte ich das unruhige Tier niemals herunter gebracht. Den halben gestrigen Tag verbrachte ich mit der Suche, und bei Nacht entzündete ich ein Feuer, damit mich Lucrann finden könne. Doch er war und blieb verschollen. So hielt ich’s heute morgen für das beste, zurückzureiten und Euch zu benachrichtigen.“

„Ein wackerer Ritter am hellichten Tage verschwunden – das ist mir eine seltsame und höchst schlimme Zeitung!“ schnaubte der Graf. „Mir wird die Gegend allmählich unheimlich. Ich wünschte fast, wir hätten einen Magicus dabei – oder lieber noch einen Praioten.“ „Nun, Herr, wenn’s göttlichen Beistands bedarf, wird auch ein Diener der Leuin nicht ganz unnütz sein“, bemerkte Lucardus von Hirschingen mit hochgezogenen Brauen.

„Ja sicher, verzeiht, Hochwürden – so war das freilich nicht gemeint. Doch ich mache mir große Sorgen um meinen Vasallen; wenn die Geschichte des Herren Globerich stimmt – und daran kann wohl kein Zweifel bestehen – ist ihm etwas höchst Seltsames und vielleicht Schlimmes widerfahren!“ „Darum sollten wir nicht zögern und zu diesem Wasserfall aufbrechen; etwas anderes wüßte ich im Augenblicke nicht zu tun“, schlug Vogt Gelphart vor.

Und so geschah es. In Windeseile bestiegen sie die Pferde und jagten durch den Tannenwald, daß die grünen Wedel der Bäume ihnen in den Haaren peitschten und die Erdschollen von den Hufen der Rösser flogen. Unter Globerichs Führung gelangten sie an die Stätte, und alles war ganz so, wie es der Junker beschrieben hatte. Reto, der während des Rittes allen voraushetzte, schlug lautes Gebell an und blieb schweifwedelnd und mit hängender Zunge oberhalb der Bachsturzes stehen.

„Da müssen wir hinab“, erklärte der Junker von Bockzwingel und deutete auf die steile, erdfelsige Wand. Sogleich machte er sich selber an den Abstieg, gefolgt von dem Geweihten Lucardus und Vogt Gelphart. Baron Kordan umritt derweilen den Hang in weitem Bogen, in der Hoffnung, auf andere Spuren zu stoßen, während Ritter Falk vom Rand der Klippe aus aufmunternde Worte und wohlgemeinte Ratschläge den Kletternden hinabrief.

Ein Sonnenstrahl fiel aus der Höhe herab auf die schäumenden Kaskaden, und über dem Wasser wölbte sich Tsas bunter Bogen durch die tropfensprühenden Lüfte. Da erschallten plötzlich überraschte Rufe herauf, kaum verständlich durch das Tosen der Fluten.

„Meiner Treu, da ist er!“ „Lucrann!“ „Aus dem Wasserfall?“ „Was soll das bedeuten?“ „Lucrann, wo wart Ihr nur?“

Der Graf trat so nahe als möglich an den Rand, um die Vorgänge dort unten verfolgen zu können. Er sah, wie Lucrann aus dem Wasserfall hervorgetrat wie die Schausteller auf Gareths Heldenbühne aus dem Vorhang, und die Wasserperlen standen ihm schimmernd in den kastanienroten Haaren. Der Ritter blieb stehen, scheinbar überrascht, die andern hier zu treffen. Kurze Zeit später standen sie alle wieder beisammen, den Herrn von Auersbrück in ihrer Mitte, von verwunderten Blicken und Fragen durchbohrt.

„So, und nun erzählt, was sich da zugetragen hat, Ritter. Wir waren in großer Sorge.“ „Ja, wo wart Ihr nur, Lucrann, ich habe gestern stundenlang nach Euch gesucht! Dann bin ich ins Lager zurück, um Hilfe zu holen!“ sagte Globerich voll von hastigem Überschwang. „Gestern? Stunden? Aber so lange war ich doch gar nicht...“, begann der Ritter, hielt dann aber inne und schaute zum Himmel empor. Praios war im Untergehen begriffen. „Es wird schon Abend? Aber...“ „Ihr wart verschwunden, mein Guter, und nicht nur ein paar Stunden, sondern seit gestern schon“, schmunzelte der Vogt.

„Wie? Aber ich war doch nur kurz dort und...“ „Wo seid Ihr denn gewesen? Hinter dem Wasserfall ist doch nichts, nur Stein und Fels“, warf Globerich ein. Lucrann schüttelte den Kopf: „Das dachte ich zunächst auch – aber dahinter befindet sich tatsächlich eine Höhle. Zumindest fand ich einen Eingang, als ich durch das Wasser trat“, fügte er nachdenklich hinzu.

„Wie kamt Ihr überhaupt auf den Gedanken, durch den Wasserfall zu gehen?“ fragte Baron Kordan stirnrunzelnd. „So heiß war der Tag doch nicht, daß man einer solchen Erfrischung bedurfte.“ „Ho, da wird man aber ordentlich sauber!“ bemerkte Ritter Falk, der immer noch interessiert das herabstürzende Efferdnaß in Augenschein nahm. „Mir war, als hätte ich etwas gesehen, einen großen Schatten im Wasser, der hinter den Kaskaden verschwand.“

„Das mag ein Fischotter gewesen sein, vielleicht ein Biber“, bemerkte der Rondrianer. „Es sah mir eher nach einem Menschen aus – ein Kind, vielleicht ein Mädchen...“ Die andern zogen die Brauen hoch, der Graf schmunzelte. „Auf jeden Fall näherte ich mich dem Wasserfall – in diesem Moment brach die Sonne hervor und blendete mich, und als ich die Augen wieder öffnete, gewahrte ich eine Öffnung im Felsen, hinter dem Wasser. Ohne lange nachzudenken, trat ich ein.“ „Und dahinter fandet Ihr...?“

„...fand ich eine Grotte, nicht groß, nicht von Menschen oder Zwergen geschaffen, sondern in Eintracht von Sumu, Efferd und Satinav. Es drang nur wenig Licht von außen herein, so daß ein bläulicher Dämmerschein herrschte. Auch das Rauschen, das draußen so ohrenbetäubend ist, klang ganz anders, eher wie ein Raunen. Und dann hörte ich so etwas wie ein Lachen...“ „War da etwa jemand in der Höhle?“ rief Globerich überrascht aus.

„Ja und nein. Ich schaute mich um, doch sah ich niemanden. Dann war mir, als erkenne ich im Rieseln des Wassers ein Gesicht, undeutlich und dunkel, wie wenn man einen Angbarsch in der Tiefe gründeln sieht. Und es sprach...“