Wengenholmer Geister - Zwei große Häuser

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Tarnelfurt, Herbst 1041

Alvide von Herbonia atmete befreit aus, als sie in den kleinen Garten ihres Hauses trat. Soeben hatte sie den letzten Baustein ihres sorgsam gepflegten Planes gelegt. Zum ersten Mal seit langem fühlte sie sich, als könnte sie endlich wieder frei atmen. Es hatte viele Monate sorgsamer Verhandlungen gebraucht, um endlich diesen Tag zu erreichen.
Mit gleich drei wichtigen Adelshäusern hatte sie Verhandlungen führen müssen. Lanzelind vom Hochfeld und ihr Gatte Pergrim von Sindelsaum waren seit Erlwarts Verhaftung ihre Hauptschuldner gewesen. Mit ihnen war es fast noch am einfachsten gewesen. Die beiden jungen Leute hatten, ganz anders als Lanzelinds Vater, kein Interesse daran gehabt sie ewig in ihrer Hand zu behalten, stattdessen hatten sie sich schließlich einig werden können. Alvide würde ihnen einen Großteil ihrer Schulden zurückzahlen und im Gegenzug gegen die übrigen würde sie den Hochfelder Besitzungen ein Dutzend ihrer Bauernhöfe überlassen. Aber woher das Geld nehmen und nicht stehlen? Durch den Verkauf des Schlosses Herboniana vor einigen Jahren hatte sie ihre Schulden bereits etwas reduzieren können, aber es war noch immer ein ganz gewaltiger Batzen. Mit den Einnahmen ihrer Baronie konnte sie kaum die Zinsen abgelten. Doch hier hatte ihr der Zufall in die Hände gespielt. Der alte Junker von Püscheln war ohne einen Erbe zu hinterlassen verstorben. So hatte sie sich mit Frylinde von Salmingen zusammengesetzt. Die machtbewusste Alt-Baronin von Dunkelforst führte in Abwesenheit ihres Sohnes die Amtsgeschäfte und hatte schon länger ein Auge auf Herbonia geworfen. So hatten sich die beiden Frauen schnell geeinigt. Alvides Bruder Halmbart würde Frylindes Tochter Durinya heiraten und Halmdahl würde nach Alvides Tod ihr Erbe antreten. Alvide hatte sich verpflichten müssen, keine Kinder in die Welt zu setzen, aber das war bei ihr im Alter von 48 Jahren ohnehin kaum mehr denkbar. Bis Halmdahl Baron werden würde, hatte Alvide ihn mit dem Dorf Püscheln und den umliegenden Wäldern und Auen belehnt. Die Salminger gewannen so Einfluss und einen wichtigen Verbündeten und Alvide brauchte sich über einen großen Batzen ihrer Schulden keine Sorgen mehr zu machen, aber noch immer waren ihre Schulden nicht völlig abgegolten.
Der nächste Schritt ihres Planes erforderte einiges an Verschwiegenheit. Sie hatte sich entschlossen, einen Teil ihrer Baronie schlicht als Junkergut zu verkaufen. Und es gab nur ein Adelshaus in der Grafschaft, das reich genug war, um sich ein Lehen einfach zu kaufen, und zwar das Haus Nadoret. Nun waren sich die Salminger und Nadoreter natürlich spinnefeind, aber wenn es ihr gelang, auch den zweiten Handel einzufädeln, ohne dass die Salminger es mitbekamen, dann würde sie die Wellen schon irgendwie glätten können.
Die Verhandlungen mit den Nadoretern empfand Alvide als nervenaufreibend. Doch schließlich waren sie sich einig geworden. Im Gegenzug für die Schaffung des Junkergutes Nordheide und der Belehnung der jungen Josmene von Nadoret hatten die Nadorets die letzten Reste von Alvides Finanzsorgen beendet.
Heute hatte sie endlich den letzten Wechsel begleichen können. Seitdem schien ihr die Luft etwas wärmer zu sein, wenngleich es auf die kalte Jahreszeit zuging. Sie musste kurz an den alten Junker von Püscheln denken, ohne dessen Tod diese Vereinbarungen nie zustande gekommen wären. Sie entschloss sich, für ihn eine Kerze im Tsa-Tempel zu entzünden.