Unter Schurken - Abdrücke im Schnee

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Hinterkosch, 1021

Bald prasselte ein kleines Feuer in der Kaminstelle. Wolfhardt kauerte auf der Bettstatt, den Mantel und ein Fell eng um sich geschlungen. Rena stand am Fenster, das allerdings mit zwei Bohlen verschlossen war, und starrte durch eine kleine Spalte hinaus in den Himmel. Borons Schatten wich allmählich in die westliche Ferne, mit milchigem Flimmern kündete sich im Osten, über der Koscher Heimat, das Nahen des Herren Praios an, ein tröstlicher Anblick.
“Es tagt“, sagte sie leise, Aufforderung, aus der erschütterten Untätigkeit dieser Nacht aufzubrechen, Frage, was zu tun sei, Sorge, was dieses neue Licht bringen möge. Der Vinansamter stand auf. Seine Stimme klang kühl, kleine Wölkchen quollen von seinen bläulichen Lippen, die auch Ingerimms Flammen nicht hatten erwärmen mögen. Wem das Herz kalt wird, den wärmt auch nicht die Glut, sagen die Angroschim. Und des Barones Herz war kalt geworden, kalt wie das eines Jägers, der im Sternenglanz, verborgen im Tannicht, dem Eber auflauert, kalt wie das eines Falken, der aus Himmelshöhe hinabstößt in silbernem Flug und die flatternde Taube schlägt oder den Hasen, fliehend übers weißverschneite Feld.
“Wir brechen auf, lassen nichts zurück.“
Die andern nickten schweigend, rafften ihre Siebensachen zusammen. Wolfhardt saß da, die Augen für ein paar Herzschläge geschlossen und sog dreimal leisen Atem ein, als wolle er in diesen wenigen Momenten die Kraft sammeln, die er für die noch ihrer harrenden Strapazen benötigte. Dann nickte er, stand auf und ging langsamen Schrittes zur Tür. Sein Kopf dröhnte noch immer, gerade so wie nach einer der fröhlich durchzechten Nächte auf dem Rabenstein oder in der lustigen Runde des Prinzen Edelbrecht, wenn sie auf dampfenden Rossen durch die engen Gassen Angbars gejagt waren, ein gewaltig geschwungenes Trinkhorn einander von Sattel zu Sattel reichend und es im jagenden Ritte leerend.
Ritter Falk war schon ins Freie getreten, um sich zu erleichtern. Hierzu suchte er sich wie immer ine alte Eiche, eine Gewohnheit, die weder er noch ein anderer hätte erklären können. Einfach war dies nicht, im Winter hatten diese Bäume all ihre Blätter abgeworfen und erschwerten ihm so das Erkennen. Mißmutig stapfte er also am Rand des kleines Platzes entlang, als plötzlich sein überraschter Ruf erklang.
“Hollaho! Was seh‘ ich denn da?“
Im Nu waren die andern bei ihm, in der grimmen Hoffnung, es sei etwas Bedeutenderes als nur ein vorüberhuschender Hanghase. Der Siebentaler aber wies triumphierend zwischen die Wurzeln einer gewaltigen Buche, wo sich, unberührt von neu gefallenen Flocken, im Schnee deutlich die ovalen Abdrücke schwerer Stiefel zeigten. Tiefe Abdrücke, wie von einem schweren Menschen.
“Oder einem, der eine schwere Last trägt“, sprach Rena ihre Gedanken aus. Wolfhardt bückte sich mit einem leisen Stöhnen, der Kopf schmerzte ihn noch immer ein wenig, der Schlag war hart gewesen.
“Wenn mich nicht alles trügt, sind das Zwergenstiefel. Man sieht deutlich, wie die Sohlen genagelt sind. Ebensolche hat Dragosch auch.“
Dragosch! Wenn der waffenmutige Gefährte nur hier wäre! Er würde sie sicher in diese felsigen Höhen geführt haben, das Gestein war sein Element wie das Wasser des Fisches.
Sie folgten der Fährte, vorsichtig, nicht die Abdrücke zu zerstören, aufmerksam, nicht von einem neuerlichen Anschlag überrascht zu werden. Natürlich war jener einige Stunden vor ihnen gegangen, er hatte einen deutlichen Vorsprung. Aber er trug auch eine Last, eine schwere Last, den Leichnam des Norge. Anders konnten sie sich nicht das Fehlen des kälte- und todesstarren Körpers erklären und den tiefprägenden, schleppenden Schritt des Vorangehenden.
Was aber wollte dieser mit Norge? Der alte Zwerg hatte nichts Besonderes bei sich getragen, sie hatten – mit dem nötigen Respekt – diese Möglichkeit überprüft, denn vielleicht hatte er ihnen etwas überbringen wollen, war deswegen in die Lawine geraten. Hoch empor ragten die Tannen, schwarzgrün Stamm und Nadeln, silberweiß Schnee und Reif. In den Eiszapfen spielte der Wind seine Lieder, Ifirns Glockenspiel nannten das die Bergler hoch droben in den heckenumfriedeten Weilern. Dann wieder wurde die Luft stille und schien so klar, daß die fernen Gipfel, die durch die Lücken im Geäst schimmernden, zum Greifen vor ihnen lagen. Schritt um Schritt preßten sie die Sohlen in den knirschenden Schnee, das einzige Geräusch des Lebens in diesen Wäldern außer ihrem stoßweise gehenden Atem. Kalter Schweiß rann ihnen vom Nacken den Rücken hinunter, badete sie in salzige Feuchtigkeit, welche die Kleider durchtränkte und im schneidenden Frost nahezu gefror.
Immer weiter bergan ging es, diesmal geschützt von den borkenen Wällen des Forstes, von seinen schwankenden Zweigen. Es gab keinen Pfad, sie folgten nur der Spur. Der Voranschreitende aber hatte mit großer Mühe den jeweils besten Weg zwischen Gestrüpp, Unterholz und Baumgruppen gewählt, war manches Mal einen großen Bogen um eine verdächtig aussehende Senke gegangen, hatte ein anderes Mal wieder die Spuren zurückgelenkt, als ihm eine dornige Barriere den Pfad hemmte. Und so mochten sie wohl einiges von seinem Vorsprung genommen haben, als sie am frühen Mittag den Rand des Waldes erreichten und hinaufblickten auf einen freien Hang, übersät von gewaltigen Findlingen, nur an manchen Stellen begrünt von geduckten Krüppelkiefern, Inseln gleich im Eismeer. Das Sonnenrad hatte sich schier auf die Höhe seiner Bahn geschwungen, sein Licht war mehr weiß als golden und ließ den Harsch wie Perlmutter glänzen. Unter anderen Umständen wäre dieser Anblick schön gewesen und hätte vielleicht den Dichter veranlaßt, eines seiner Lieder, ‚Wintermond‘ sicherlich, zu singen. So aber sahen sie grimmig, wie Praios ihre Gerechtigkeit dankte, indem er sie bar jeder Deckung ihren weiteren Weg bestreiten ließ.
“Doch schaut!“ rief der Baron aus, er hob die Hand, zeigte in schräge Höhe, wo sich die Felsen einander zuneigten und ein kleines Plateau zu bilden schienen. Deutlich sahen es nun auch die anderen: eine dünne Rauchsäule stieg dort empor, wie wenn der bärtige Schmied das noch rotglühende Eisen ins löschende Wasser taucht.
“Die Schurken!“ knurrte Falk, patschte mit der Faust in die offene Handfläche. “Sitzen lustig da oben und braten einen Hanghasen.“
“Ich glaube, das Feuer hat einen andern Grund“, meinte Wolfhardt.
“Ein Signal?“ fragte Rena. Sie dachte auch eher an ein gewöhnliches Lagerfeuer.
“Wir werden sehen“, sagte der Wiesener und stapfte voran, auf die Schneefläche zu.
“Danke für die Mitteilung“, brummelte die Arbasierin. “Holla, dem hat der Schlag doch den Verstand verwirrt!“ setzte sie sogleich hernach. “Wolfhardt“, zischte sie dem Davonstapfenden hinterdrein, “wollt Ihr etwa den gleichen Fehler ein zweites Mal machen?“
Der Ritter hielt inne, blickte unschlüssig auf die weite Schneedecke. Ein blitzender Dukat kann mitten auf dem Marktplatz von Ferdok nicht offenkundiger liegen als ein Wandrer auf dieser Ebene.