Der Ruf des Friedwanger Raben 1032 BF: Teil 18

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Texte der Hauptreihe:
K1. Prolog
K2. Teil 1
K3. Teil 2
K4. Teil 3
K5. Teil 4
K6. Teil 5
K7. Teil 6
K8. Teil 7
K9. Teil 8
K10. Teil 9
K11. Teil 10
K12. Teil 11
K13. Teil 12
K14. Teil 13
K15. Teil 14
K16. Teil 15
K17. Teil 16
K18. Teil 17
K19. Teil 18
K20. Teil 19
K21. Teil 20
K22. Teil 21
K23. Teil 22
K24. Teil 23
K25. Teil 24
Autor: ?

Briefspielgeschichte der Golgariten

Die Wildermark, Anfang Praios 1032 BF

Gerettet. Und doch, er war noch lange nicht in Sicherheit. Bishdarielon huschte weiter, tiefer ins Dunkle, roch Tannenharz, spürte, wie er über Nadeln lief. Vor ihm ragte ein einzelner großer Felsen auf. Im letzten Licht sah er überall große Wedel herumliegen – offenbar waren hier überreichlich Tannenzweige für den Korbmann geschnitten worden. Erst jetzt merkte der Krieger, wie müde und erschöpft er war. Sollte er noch weiter in die Schwärze hineinlaufen? Wie weit würde er noch kommen, und wozu? Tannenzweige waren gut, man konnte sich darauf legen, damit zudecken, sie waren weich und frei von Ungeziefer – und würden ihn mit Phexens Hilfe auch vor neugierigen Blicken verbergen. Er zog sein Hemd aus, ebenso Schuhe und Hose, die ihm triefend und irgendwie viel zu groß vom schlotternden Leib hingen, wrang sie aus, legte sie auf den Felsen zum Trocknen. Nun war der Federstein um seinen Hals die einzige „Bekleidung“, die ihm geblieben war.

Dann häufte er sich sein Bett an, legte sich darauf, hüllte sich mit den grünen Wedeln bis auf den Kopf ein. Die kleinen, harzig duftenden Nadeln stachen ihn hier und dort, aber seine Ruhestätte war ansonsten keinesfalls unangenehm.

Beinahe sofort fiel er in einen unruhigen Schlaf, träumte wirr, von Hekata, mit der er das Lager teilte (oder war es eine andere Frau?). Vom lichterloh brennenden Praiosmann, dem Schattenspiel des Feuers auf der Eule. Von irgendeiner lärmenden Schlacht der Vergangenheit (waren Novadis seine Gegner oder die Paladine Rohajas?), und Burg Friedstein in früheren Tagen. Von Vater und Mutter, seinen Geschwistern, dem blassen Luitprand und der zierlichen Gunelde, aus irgendeinem Grund vom Eimer, der an einem nassen, muffig riechenden Seil tief unten im Brunnenschacht der Burg verschwand, hinab in endlose Schwärze, die sich in das magische Glitzern des Regenbogenteichs verwandelte, angefüllt mit Kröten. In der Mitte schwamm rücklings eine junge nackte, rothaarige Hexe mit Würgemalen am Hals, die ihn anlächelte, ja, beglückt lächelte...

Warme Sonnenstrahlen, ein Heer von Ameisen, summende Waldbienen und das Zwitschern der Vögel weckten ihn sanft. Er ruckte hoch, wusste einen Moment lang nicht, wo er war. Irritiert sah Bishdarielon auf sein Bett: das bisschen Tannenzweige um ihn herum, dieses armselige Lager sollte ihm einen derart borongefälligen Schlaf verschafft haben? Der Ordenskrieger bedankte sich in einem knappen Gebet beim Schweigsamen, denn er fühlte sich tatsächlich so frisch und erholt, als hätte er vergangene Nacht in dessen Paradies genächtigt. Der Golgarit sah zum Felsvorsprung, wo seine Gewänder hingen – sie waren trotz des Sommerwetters noch immer unangenehm feucht, klamm und kalt, also verzichtete er erst einmal darauf, sie anzuziehen. Sei´s drum, es liefen genug Nackte herum in diesem Tal... Riesige Tannen rauschten über seinem Kopf, er fühlte sich mit einem Mal ganz schwach und klein. Irgendwo schnarrte ein Specht, gefolgt vom Krächzen einiger Krähen.

Sein Gesicht war noch immer maskengleich mit ausgehärtetem Lehm verschmiert, außerdem verspürte er brennenden Durst (auch wenn er eigentlich nicht mehr an „brennen“ denken wollte). Also schlich er vorsichtig in die Richtung, wo er den See vermutete. Die Schmerzen in seinem Knie waren vollständig verschwunden, er fühlte sich unglaublich wendig und geschickt, als hätte das nächtliche Bad im Teich seine Gelenke geölt. Genau genommen platzte er geradezu vor Taten- und Erkundungsdrang.

Dort vorne glitzerte es auch schon. Allerdings war auch die Lichtung nicht fern. Bishdarielon spähte zum Lager. Das Tanzfeuer war herunter gebrannt, hier und dort lag eng umschlungen ein Pärchen oder ein einsamer Zecher auf der Wiese, sonst regte sich nichts: ein levthansgefälliges Schlachtfeld. Aus dem einen oder anderen Zelt drang ein leises Schnarchen. Auch der große Scheiterhaufen vor der Eule war nur noch ein gemächlich dampfender Aschehügel, mit verkohlten Holzstücken, die hier und dort gleich Gerippen herausragten, und nur vereinzelt noch glimmten. Ein feierlicher Frieden lag über dem dunstigen Tal, das nun weitaus größer und erhabener auf ihn wirkte als noch am weinseligen, unseligen Vortag. Jedenfalls kein grausamer Kerker mehr zu sein schien, trotz der Felsen, die überall im Hintergrund aufragten.

Der erste Tag eines neuen Lebens, dachte er beschwingt und ging dann in der Sichtdeckung einiger Büsche und Bäume zum Wasser. Bishdarielon schritt vorsichtig in den Schilfgürtel hinein, bückte sich nieder, um mit der Hand etwas von dem kühlen Nass zu schöpfen und zu trinken. Ah, herrlich...Er schlürfte einige Schluck, klatschte es sich dann ins Gesicht, um den Dreck darin loszuwerden. Hier spürte er noch etwas von der Schmiere und dort... Er wartete, bis sich das hochschwappende Wasser etwas beruhigt hatte, um sich darin zu spiegeln. Gut, er war fast wieder sauber, nun noch einmal mit den Fingern durch die verklebten, verstrubbelten Haare...Moment. Was war denn das, bei allen Zwölfen?

Verdutzt sah er in das Gesicht, dass sich ihm dort erst wabbelig, dann immer klarer offenbarte. Ein bleiches, rundes Jungengesicht, eingerahmt von wild wuchernden schwarzen Locken. Ein richtiger kleiner Dreckspatz mit Schlieren auf den Pausbacken und einer platten Steinbocksnase, außerdem einer recht hohen Stirn und aristokratisch hochmütigem Blick. Ansonsten leuchtete aber die reine Unschuld in den Kulleraugen.

Ein Kindergesicht. Ein Knäblein, vielleicht sieben, höchstens acht Götterläufe alt. Er fiel verblüfft nach hinten, mit dem Hintern ins Wasser, tastete an seinen Armen und Beinen. Sie waren – viel zu kurz und schmächtig für einen Ordenskrieger von fast vierzig Götterläufen. Sämtliche Glieder. Warum um alles in der Welt hatte er das nicht früher gemerkt?

Er lachte verblüfft, es klang kindlich quietschend, überdreht und albern. Ein zartes Echo antwortete ihm aus dem Wald. Erschrocken drehte er sich, aber niemand hatte es gehört. Wer sollte ihm, einem kleinen Jungen, schon etwas antun – der nächste Dorfgeweihte war meilenweit entfernt, haha. Erneut musste er prusten, heftiger, als er beabsichtigt hatte. War das ein Hexenzauber, gewirkt von seiner mädchenhaften Lebensretterin , um ihn zu schützen?

Freudig patschte und sprang der Junge im Wasser herum. Wann war diese Verwandlung geschehen – schon im See oder erst im Schlaf? Wie lange würde sie andauern? Egal, sie fühlte sich einfach wunderbar an. Nur mit Mühe zwang der Mann im Kind seinen kleinen, zappeligen, mit überschüssigen Kräften angefüllten Körper zur Ruhe. Langsam dämmerte ihn nämlich ein anderes, ein ziemlich großes Problem.

Die Golgariten, die gerade von Burg Mersingen nach Suunkdal unterwegs waren, erwarteten als Hüter des Boronangers mit Sicherheit einen mannhaften Ordensritter, keinen Dreikäsehoch. Wer, in der Götter Namen, würde einem Knirps wie ihm Geschichten von einem wilden Hexenfest, von Plänen zu einem finsteren Ritual der Dunklen Herrin glauben? Wer würde auch nur ernsthaft in Erwägung ziehen, dass es sich bei ihm wirklich um Bishdarielon von Suunkdal, Ritter im Orden des Heiligen Golgari, handelte? Wer würde ihn jetzt überhaupt noch für voll nehmen?

Der Gedanke, kaum mehr als ein herum streunendes, heimatloses Kind zu sein, traf Bishdarielon mit voller Wucht. Er schluchzte - es fehlte nicht viel, und er hätte bitterlich geweint.


Dann wurde ihm auch noch kalt. Er blickte zur bereits im Steigen begriffenen Sonne des noch jungen Tages, vor die eine einzelne Wolke gezogen war. Wind kam auf. Bishdarielon bibberte, verschränkte die Arme, um seinen kleinen, zitternden Körper zu wärmen. Ein Eishauch verließ stoßartig seine fröstelnde Lippen, begleitet von einem düsteren, irgendwie drohenden Hachen. Der grauweißliche Dunst verwaberte nur langsam. Verstört drehte der Knabe sich um, wankte aus dem Wasser – und erstarrte, noch bevor er wieder festen Ufergrund unter den Füßen spürte.

Eine hagere Gestalt stand vor ihm am Ufer, halb vom Schatten der Bäume verborgen. Tannenwipfel rauschten. Der Fremde, ein junger, blasser Mann mit hohler Wange, musterte ihn ebenso schweigend wie durchdringend. Derbe Beinkleider, eine bäuerliche Tunika in zartem Lindgrün, eine zurückgezogene Gugel, darüber die übliche, biedere Topffrisur des Landvolks – mehr vermochte der Adelige auf die Schnelle von seinem Gegenüber nicht auszumachen. Irrte Bishdarielon sich oder ging die niederhöllische Eiseskälte von dem Burschen aus? Die Art, wie der ihn musterte, gefiel ihm nicht. Seine kindlichen Gliedmaßen schlotterten. Wer auch immer dort stand, hatte ihn einen gehörigen Schrecken eingejagt. Zumindest das…

Fahl. Das Wort kam ihm in den Sinn. Der Mann wirkte fahl…

„Du brauchst keine Angst zu haben. Es geht schnell“ sagte der fahle Mann leise, ohne Bishdarielon wirklich anzublicken, mehr zu sich selbst. Der Wind säuselte. „Was geht schnell?“ fragte Bishdarielon, mit schriller Kinderstimme. Sein Gegenüber drehte sein Gesicht aus dem Schatten. Die linke Hälfte war völlig verbrannt, wie ein Praiostagsbraten, der zu lange im Ofen geblieben war, tatsächlich von der rostrot-schwarzgrauen Farbe und Beschaffenheit eines Spanferkels und qualmte sogar noch ein wenig (zumindest kam es Bisch so vor). Der Mund war aufgebrannt und entblößte das hässliche Pferdeschädelgrinsen einer Brandleiche. Das linke Auge – nein, er konnte, wollte nicht genau hinsehen. Die Haupthaare darüber waren einfach weggesengt. Der ganze linke Körper war verkohlt, die Kleidung, oder waren es Hautstücke, hingen in kleinen Fetzen herunter. Erst jetzt sah Bishdarielon, dass auch die rechte Gesichtshälfte gerötet und mit Brandblasen übersäht war. Das hier war eindeutig kein Anblick für ein Kind mit sieben, acht Götterläufen. Sondern einfach nur makaber.

Der Mann drehte sein Gesicht wieder in Richtung Schatten, verbarg den grauenhaften Teil seines Antlitzes: „Am Ende fühlt es sich sogar – kalt an“, sagte er. „Der Rauch ist gnädiger als die Flammen. Beim Schreien atmet man ihn ein…mitsamt der heißen Luft…und erstickt….Der Schreck…die Hitze und das alles….Es geht eigentlich schnell….“ Bishdarielon schluckte. Es ist ja schön, als Golgarit von den Boronsnähe-Erlebnissen anderer Leute zu erfahren – aber was geht mich das hier und jetzt an? Auch dieses Wörtchen eigentlich gefiel ihm nicht. Der Geist (natürlich war die Gestalt ein Spuk ?!) schien seine Gedanken erraten zu haben. „Ich bin an deiner Stelle gestorben“. Er deutete matt auf den noch immer kokelnden Aschehaufen am See. „Vielen Dank auch schön.“ Nun grinste auch die rechte Gesichtshälfte, voller unterkühltem Galgenhumor. Damit schien die Konversation schon wieder beendet zu sein. Das Gespenst wirkte eher verlegen, hilflos. Hilflos wie alle Toten. Zumal, wenn ihre Seele keinen Einzug in Borons Reich gefunden hatte. Wenn der göttliche Funke in den Ketzern hier im Tal überhaupt noch die Möglichkeit besaß, hinauf, gen Alveran aufzusteigen. Falls seine eigene Seele überhaupt noch von hier in den Weg in Borons Paradies finden würde….Zuvieles war geschehen…Dinge, die man nicht mehr rückgängig machen konnte… Für mich gestorben, fragte sich das Kind. Woher will er das wissen…Ich sehe dreißig Götterläufe jünger aus als gestern Nacht. „Ich habe zu danken“, knurrte Bishdarielon, und klang schon wieder ziemlich erwachsen. Dann hatte er sich den schrillen Todesschrei im Brennenden Praiosmann also doch nicht eingebildet. Wie auch immer der Fremde in die Korbpuppe hineingeraten war. „Mein Name ist Garvin“ seufzte das Gespenst, es schien sich wehmütig an etwas zu erinnern. „Hast du etwas Blut für mich? Du strotzt geradezu vor Lebenskraft…“ Dem Schweigsamen sei Dank zeigte das…das Wesen keinerlei Anstalten, ihn anzugreifen. Stand einfach da wie eine todtraurige Friedhofstatue an einem düsteren, verregneten Boronsmorgen. Wirkte dabei irgendwie…durchsichtig wie dünnes Papier.

Eine Frau trat hinter „Garvin“, deren rotes Haar ebenso wie die grünen Augen im merkwürdigen Kontrast zu dem ebenfalls totenbleichen Gesicht stand. Eine der Hexen…Sie hielt einen Besen geschultert, während sich ein struppiger, schwarzer Kater an ihrer Seite drängte. Sie war wirklich blass, sah buchstäblich „verkatert“ aus. Ihr stechender Blick ging in sein Innerstes. Bishdarielon begriff. Es war…Hekata. „Seine“ Hekata. Die Wasserleiche. Ihm graute erneut, denn er begriff. Ich sehe… tote Menschen.