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Version vom 19. November 2023, 22:00 Uhr
◅ | Ein glanzvolles Leben, ein schmählicher Tod |
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Kurzer Abriss der Geschichte der Grafen vom Angbarer See seit Bosparans Fall | ▻ |
Die Grafenfrage
Wer wird neuer Herr auf Schloss Grauensee?
Nach Burg Götterzahn ist nun auch Schloss Grauensee verwaist. In Koschtal laufen jedoch die ersten Vorbereitungen für den baldigen Grafeneid von Prinzessin Iralda, dem einzigen lebenden Kind des entschwundenen Grafen Helkor. Wie es heißt, hat Truchsess Garubald die Edlen der Grafschaft für den 12. Travia 1029 an den Grafenstein geladen, einem Felsen bei Koschtal, an dem sich die Schetzenecker Barone im Jahre 243 BF vom Ferdoker Grafen lossagten — und an dem seither jeder Graf seinen Treueeid schwört.
Während die Nachfolgefrage im Schetzeneck lange geklärt ist, wogen am Angbarer See die Wellen wildester Gerüchte. Wer wird Graf Orsino beerben, der doch ohne eheliche Kinder starb? Gar der düstere Magus Voltan oder dessen erst jüngst, gleichsam aus dem Nichts, aufgetauchter Sohn Bohemund? Vielleicht aber doch der jüngere Halbbruder Hernobert, des Fürsten treuer Herold? Oder einer der zahlreichen Bastarde des alten Grafen? Ist das Haus Falkenhag nach der jahrelangen Unterstützung Answins überhaupt noch würdig den Grafentitel zu tragen? Wenn nicht, welches Haus soll es dann beerben? Es ist an Fürst Blasius eine Entscheidung zu treffen, und wahrlich, er ist um diese Bürde nicht zu beneiden. Um dem Leser einen Überblick zu geben, seien hier die aussichtsreichsten Namen genannt:
Voltan von Falkenhag (geb. 977 BF) stünde als jüngerer Bruder des Grafen Orsino wohl fraglos an erster Stelle in der Erbfolge. Doch so manchem Seeländer wird bang bei dem Gedanken, dass ein Magus die Grafschaft übernehmen könnte. Auch die Tatsache, dass Magister Voltan dem Bergkönig Gilemon jüngst das Leben gerettet hat, macht ihn für viele kaum weniger unheimlich, zumal er seine Rettungstat in den Augen vieler missbrauchte, als er vom Bergkönig als Ehrenschuld einforderte, mit seinen Koschimer Kriegern für Answin in die Schlacht zu ziehen.
Bohemund von Falkenhag (geb. 994 BF) ist erst kürzlich, wie aus dem Nichts, aufgetaucht. Der junge Krieger wäre wohl erste Wahl, wenn sein Vater auf den Grafentitel verzichten würde. Voltan mag sich schon immer mit Geheimnissen umgeben haben, doch dass er seinen Sohn so lange verheimlichte, ihn gar dem ehrenwerten Registrargreven vorenthielt, erscheint vielen sehr merkwürdig. Zu wenig noch weiß man von Bohemund, der offenbar den Charme der Falkenhags geerbt hat. Mancher, der in Answin von Rabenmund jenen starken Herrscher sah, den das Reich in diesen Tagen gebraucht hätte, sieht mit Wohlwollen, dass mit Lefke von Rabenmund eine nahe Verwandte traviagefällig an der Seite Bohemunds steht. Die Gegner Answins hingegen mögen diese Tatsache eher fürchten. Gleichwohl hat sich Bohemund noch vor Answins Fall von diesem ab- und Rohaja zugewandt und ist nun mit Vater und Gattin in den Familiensitz am Angbarer See gezogen. Nicht wenige meinen, dass er all dies tat, weil er insgeheim schon mit dem Grafentitel rechne.
Hernobert von Falkenhag (geb. 989 BF), der dem Kosch schon seit vielen Götterläufen treu und zuverlässig als Herold dient, ist der jüngste Halbbruder Orsinos. Er schlug sich, wie sein Fürst, zu keiner Zeit auf Answins Seite. Nicht nur in den Landen am Angbarer See genießt er hohes Ansehen, und nicht wenige würden ihn sicherlich gerne als Grafen sehen. Er selbst jedoch soll erst kürzlich geäußert haben, dass er „einen neuen Grafen als koscher Herold sicher gerne unterstützen würde“ — Graf selbst wolle er jedoch nicht werden, weil das Heroldsamt seine ihn erfüllende Bestimmung sei.
Immer wieder im Gespräch sind auch die Früchte der reichlichen Liebschaften des schönen Grafen Orsino, deren Zahl wohl selbst er nicht vollends kannte. Allerdings sind sich die Gelehrten weitgehend einig, dass eine Erbfolge selbst nachträglich angenommener Bastarde wie Mechtessa (geb. 1012 BF), die derzeit als Hofdame bei einem garetischen Grafen dient, oder Padora (geb. 1019 BF), die zur Firungeweihten ausgebildet wird, keinem praiosgefälligem Recht entspräche. Nichtsdestotrotz erschien erst kürzlich ein kecker Rittersmann aus dem Garetischen am Hof des Fürsten, um die Grafenkrone zu fordern, weil er, der sich ungeniert Gelphart von Falkenhag nannte (geb. 993 BF), das älteste aller Kinder Orsinos sei. Aufgrund seines dreisten Auftretens wurde er der Burg Fürstenhort verwiesen, noch ehe er eine Ansammlung gefälschter Beweise vorlegen konnte, die ihn gar als Spross einer angeblich heimlich geschlossenen Ehe Graf Orsinos mit einer niederen Adeligen ausweisen sollten.
Im Umkreis des Fürstenhofes wird auch gemunkelt, dass Fürst Blasius über die jahrelange, heimliche Unterstützung Answin von Rabenmunds von Seiten des Hauses Falkenhag derart erzürnt und enttäuscht sein soll, dass er ernsthaft erwägt die Grafenwürde an ein anderes ehrbares Geschlecht zu übergeben. Bliebe die Frage, welche Familie dieser Ehre würdig wäre?
Da wäre zunächst das Haus vom See, welches bereits zwischen 689 und 934 BF, also just vor den Falkenhags, die Grafenwürde innehatte. Nicht abwegig, angesichts der unvergessenen Heldentat des Junkers Nottel vom See, der gemeinsam mit dem Schetzenecker Prinzen Throndwig während der Schlacht von Angbar einen grausamen Tod durch den Alagrimm fand, als er den Fürstenenkel Holduin-Hal zu retten trachtete. Dennoch, der Junker selbst ist tot, sein Vater Ermst ist — mit Verlaub — mittlerweile ein alter Mann und der älteste Spross, Wilbur, zählt gerade einmal jugendliche dreizehn Lenze.*
Zu Wort meldeten sich auch einige Nachfahren des erloschenen Grafenhauses von Zwischenwasser, die dem historisch gebildeten Leser wohl besser als „die Vinans“ bekannt sein mögen. Über Jahrhunderte lenkten sie nicht nur die Geschicke der Grafschaft, sondern als Seneschalke auch der gesamten Provinz. Im Jahre 486 nach dem Fall der Hundertürmigen bereits ist dieses ehrbare Geschlecht jedoch ausgestorben — und die angeblichen Erben führen sich auf meist eher unbedeutende Nebenlinien zurück. Dennoch gibt es einige illustre Namen, welche (angeblich) die Tradition des Hauses Zwischenwasser zum neuen Leben erwecken möchten. Die Liste reicht von dem Junker von Trist, Kien vom Pflögbaume, über den Fürstenhorter Vogt Roban von Treublatt (dem zumindest manch scharfe Zunge eine Gier nach dem Grafenthron nachsagt) bis hin zum Rohalssteger Vogt Angbart von Salzmarken-See, der den Registrargreven gar seit Wochen persönlich von seinem Erbanspruch überzeugen will.
Weiterhin ist zu erwähnen, dass auch Zwerge, insbesondere der Oberste Richter der Hügelzwerge, Nirwulf Sohn des Negromon, im Gespräch sind. Ohne Zweifel ist der Einfluss des klugen und umsichtigen Väterchen schon seit jeher groß in der Grafschaft. Außerdem spräche dafür, dass die Grafschaft schon zu Bosparans Zeiten, und später abermals nach Rohals Verschwinden und während der Magierkriege zeitweilig unter dem Schutz des Hügelzwergenkönigs stand. Dagegen spricht jedoch, dass Fürst Blasius an Nirwulf erst kürzlich die Bitte herantrug, als sein koscher Cantzler der Provinz zu dienen... ein Amt, das man nicht leichtfertig wieder abgibt.
Wie wird sich der Fürst nun entscheiden? Wer wird künftig die Geschicke der Grafschaft im Herzen des Kosch lenken? Die Frage bleibt spannend — vielleicht aber wissen wir in unserer nächsten Ausgabe bereits mehr zu berichten. Mit etwas Glück gar schon von der Ernennung eines neuen Grafen vom Angbarer See...
- Neben dem jungen Wilbur vom See gibt es noch einen entfernten Verwandten gleichen Namens, der bereits den Ritterschlag erhalten hat und jüngst beim Grafenturnier von Schetzeneck antrat; dieser entstammt jedoch einer recht unbedeutenden Seitenlinie des Hauses.