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Version vom 20. Januar 2020, 18:45 Uhr
◅ | Der gefesselte Greif |
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Keine Stellungnahme der Lichtboten | ▻ |
Ausgabe Nummer 8 - Efferd 1016 BF
ANGBAR.Die Ereignisse nahmen ihren Lauf wenige Tage nachdem man vom Nahen der Nordmärker aus dem Schetzeneck vernommen hatte, der gütige Fürst Blasius aber, auf die trefflichen und göttergefälligen Entscheidungen Ihrer Gnaden Wilbur von Zweizwiebeln-Sighelms Halm vertrauend, mit all seinen Mannen in die Orkenschlacht gezogen war. Der greise Hochgeweihte nun hieß Geweihte wie einfache Gläubige eifrig beten und fleißig die Gurvanischen Choräle üben, so daß jedem klar wurde, welche Bedeutung dem bevorstehenden Ereignis beigemessen wurde. Allein, selbst die engsten Untergeben des Hochgeweihten blieben ohne Erkenntnis darüber, welcher der beiden, die sich Lichtboten heißen, ihm als vor Praios wohlgefällig erschien.
Als nun Boten meldeten, der „Zug des Lichts“ sei nurmehr wenige Meilen vor den Mauern stehend, ward für die Mittagsstunde eine große Messe zu Ehren des Greifengottes einberufen.
Auch jene kleinlichen Geister und Krämerseelen, die sonst oft dem Götterfürst den schuldigen Respekt verwehren, sahen diesem Ereignis voll Spannung entgegen, erwartete man doch allerorten die Verkündung, wem Treue und Tempelzehnt, wenn nicht gar des ganzen Fürstentums, so doch zumindest der Angbarer, in Zukunft anheim fallen würden.
Mitten im Sermon aber begann die Stimme des Hochgeweihten leiser zu werden, zu schwanken gar — in heiliger Erregung, wie die Menschen zunächst meinten. Mit einem Mal jedoch brach die Predigt vollendends ab, der greise Geweihte griff sich mit beiden Händen an die Brust (das Sonnenszepter entglitt seinem festen Griff), und begann zu taumeln. Es sprangen herbei zwei niedere Geweihte, ihren Meister zu stützen. Der aber fiel nach hinten, Röcheln drang aus seiner Kehle. „Mein Herz!“ Ein Schrei des Entsetzens erhob sich! Die Menge drängt von Sorge aufgebracht vorne. „Still!“ herrschte sie da die machtvolle Stimme des Bannstrahlers Berman Silberling an. Und siehe, die Gläubigen hielten inne! „Nieder!“, gebot ihnen auch der Freydwart Stannizer, des Hochgeweihte Stellvertreter. „Lasset uns flehen und beten gen Alveran für das Wohl , daß Herr Praios und die Elfe heilig in dieser Stunde wachen mögen über ihn.“ Nun knieten alle, einzig die Stimme der jungen Geweihten Francala von See-Salmingen war zu hören: Ein Medicus, schnell, so holt einen Heiler!“ „Ein Heiler!“, so setzte sich der Ruf fort, und Dutzende eilten, einen solchen zu holen. Die übrigen aber beteten und hofften, daß rasch Hilfe kommen möge, denn der Hochgeweihte lag schon fast wie tot. Seine Novizen standen ihm bei und hielten seine Hände, und obschon nicht mehr als ein Flüstern, konnten alle auf dem Platze die letzten Worte des alten Priesters vernehmen: „Huldigt… nur…dem…“ — da aber schlossen sich die Augen des weisen Mannes.
Vor Trauer und Verzweiflung weinten da die Umstehenden und flehten inständig: „Wem, Hochwürden? Sagt uns, wem, bei Praios!“ Und tatsächlich: noch einmal blickte der Hochweihte voll Ernst und Zuversicht ins Rund. Gottesnähe sprach aus seiner Stimme, als er sich auf dem Rücken Golagris noch eimal umwandte und über die Weiten des Nirgendmeers den Angbarern zurief: „Nur einem… — dem Wahren Boten nur!
Wer aber dies sei vor den Menschen und Göttern, Praios zuvor, — daß zu sagen reichte die letzte Kraft nicht mehr. Nun machte sich Trauer über der Stadt breit ob des Todes eines
solchen guten und heiligen Mannes. Voll Kummer machte sich eine große Schar daran, den Verstorbenen im Tempel aufzubahren. Zugleich jedoch war dies der letzte Augenblick, in man die Gläubigen zusammen und in Eintracht sah. Denn uneins war man sich fortan auch in Angbar, wer denn, in Praios Namen, „der Wahre“ sei. Der Elenviner Bote, tat der Gottesmann Freydwart kund. Nein, jener zu Gareth, widersprach ihm Herr Berman vom Bannstrahl-Orden. Lauter und lauter gestalte sich der Tumult, als sich mehr und in mehr in den Dispute einmischte, und bald für diesen, bald für jenen Partei ergriffen. Hitze kam über die Streitenden, und schon schien es, als ob sie’s gar ausfechten wollten mit Faust und Klinge. Als ob kümmerlich’ Menschlein in einer Frage von Göttern im Kampfe die Wahrheit bestimmen könnten! Erst als der Ruf umging, der edle Derian Palagion von Solfurt mit den Seinen stünde vor den Toren der Stadt, da eilten die Hilberianer (welche nicht die wenigsten waren) vorweg, ihn zu empfangen; die Streiter vom Bannstrahl, die Garde zu rufen, nämliches zu verhindern. Niemand indes bemerkte, wie des Tempels großes Portal sich schloß und verriegelt wurde. Nun also steht Angbar für all das, was derzeit die Heilige und Reichs-Kirche des Praios so unheilig teilt. Hochwürden Derian Palagion von Solfurt, der Gesandte des Hilberian, hat mit seinen Gefolge (wozu sich auch der Kaplan Stannizer und andere gesellt haben) das Lager vor der Stadt aufgeschlagen, während die Bannstrahler innert der Mauern darüber wachen, daß dem Herrn Jariel die Treue gehalten wird. Einzig des Greifen Haus blieb bislang beiden Parteien verschlossen, so sehr sie noch drängten. Hier nämlich hat sich die Geweihte Francala nebst einigen Novizen regelrecht verschanzt, auf ein Zeichen ihres Gottes wartend, das den wahren Boten enthüllt. Zum Glücke hält’s die Angbarer Bevölkerung und auch des Fürsten Cantzler mit diesen, sonst wär’s wohl schon zu schlimmen Tätlichkeiten gekommen.
Mit Besorgnis diese Zeilen niederlegend, der Chronist,
Burgholdin Arcuas, genannt der Jüngere.Diener der Herrin Hesinde.