Unter Schurken - Ohne Schuhe

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Hinterkosch, 1021

Mühsam öffnete Merwerd die schlafverklebten Augen. Bis ins Mark fühlte er die Müdigkeit, und bleischwer hing der Schlaf ihm in den Knochen. Die Schwertwunde vom Vortage pochte in seinem Waffenarm wie der Schmiedehammer eines Angroscho, und sein Kopf brummte, als habe er nicht nur ein Maß Ferdoker zu viel getrunken.
Finster war’s, und durch die verhängten Fenster drang kaum einmal ein schmaler Streifen winterlichen Zwielichts. Nur langsam gewöhnten sich seine Augen an die Dunkelheit und ließen ihn schemenhafte Umrisse des Kutscheninneren erkennen. Ritter Falk war an die Kutschwand gesunken und brummte und rumpelte wie ein wilder Hollerbär im Winter. Zweifaches leises Schnarchen kündete vom Verbleib Renas und Wolfhardts. Sie waren auf ihrer Bank zusammengesunken; der Kopf des Edlen lehnte auf der Schulter der Ritterin, die mit wirrem Haar und entspanntem Gesicht ihrerseits an den Wiesener gesunken war. Warm war es geworden. Ein feiner Schweißfilm lag auf des Reichscammerrichters Nacken.
Was in der Zwölfe Namen aber hatte ihn aufgeweckt? Angestrengt lauschte er in die Dunkelheit. Nichts. Nicht einmal entferntes Wolfsgeheul.
Sein Herzschlag pochte in seinen Schläfen. Die Luft in der engen Kutsche war stickig und schwer. Er schluckte mit staubtrockenem Mund. Eine Gänsehaut kitzelte auf seinen Armen. Hinter der Kutsche, bei den Pferden, ein leises Rascheln. Und ein Schrei, als brächen die Niederhöllen über ihn herein. Hoch und schrill gellte er in seinen Ohren und wie von einer Maraske gestochen fuhren auch die anderen Dreie auf. Die Kutsche ruckte und schaukelte, als sie einen mörderischen Stoß von außen empfing. Der Vinansamter keuchte, als er von einem erneuten Bocksprung der Kutsche auf seinen verletzten Arm geschleudert wurde.
Der gnädigen Travia sei Dank, daß die Bremsen hielten!
Das Kreischen erreichte einen neuen Höhepunkt. Eisig fuhr es den Vieren bei diesem Schrei aus Todesangt über den Rücken.
Dann, urplötzlich, war Stille. Kein Geräusch mehr außer dem leisen Rieseln von Schnee, der vom Firunswind übers Land getragen wird. Nicht mehr als einige Augenblicke lang hatte der Spuk gedauert, und doch sagten die verstörten Blicke aller Viere einander, daß dies alles, jedoch kein Traum gewesen sein mochte. Vorsichtig ergriffen sie ihre Waffen. Noch immer war alles ruhig.
Keine daimonischen Gegner erwarteten den Baron, als er vorsichtig durch die Fensterabdeckung seiner eigenen Kutsche spähte, die Tür einen Spalt öffnete und schließlich nach außen huschte. Auf der gegenüberliegenden Seite tat die Ritterin ein Gleiches.
“Um Borons Willen!“
Mit einem entsetzten Keuchen betrachtete Merwerd den Ort, an dem vor kurzem noch die vier Zugpferde angebunden gestanden waren. Zerrissene Seile und zerwühlter Schnee kündeten von einem kurzen und um so heftigeren Kampf – und eine blutige Schleifspur nebst einigen Fellfetzen vom Schicksal zumindest eines Rosses. Zum nahegelegenen Wald hin zog sich die überdeutliche Fährte – die Hufspuren der anderen drei Tiere indes wild auseinander.
Doch an der Böschung, neben den grausigen Spuren im Schnee, fanden sich – banal genug – die Abdrücke von menschlichen Füßen. Indes, von kleinen, schmal-zierlichen und nackten Füßchen.
Ohne Schuhe.