Unter Schurken - Kalter Morgen

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Hinterkosch, 1021

Wolfhardt entrang sich ungern seines wohligen Schlafes, als eine sanfte Stimme und eine entschiedene Hand ihn weckten. Wenig genug unterschied jenes sich von der schönen Geschichte, in welcher seine Gedanken unter Borons leisem Hauch geweilt. Noch immer halb im Traum befangen, trat er in die bittre Kälte vor die Hütte, in der die Atemzüge seiner ruhenden Gefährten erklangen und die warm und stickig war von dem erloschnen Herdfeuer und der Wärme solch vieler Menschen. Ritter Falk schnarchte wahrhaft wie ein alter Hollerbär im Winterschlaf. Der Hund neben dem Schuppen war, des Klagens müde, verstummt.
Tiefer wickelte er sich in seinen guten Mantel, die blanke Klinge über den Knien, und fuhr fort, von einer sanften Stimme und einem Paar strahlender Augen zu träumen. Tanzend und verspielt begann abermals das Sinken der Flocken aus dem grauen Himmel. Wie ein Bauschmantel lag er über dem Lande, das in tiefes, schweres Schweigen gehüllt war in dieser Nacht. Alle Geräusche, bis auf das letzte, waren verstummt. Selbst der Wind hatte sein flüsterndes Klagelied beendigt.
Sachte biß Frost in des Edlen Wange und Nase. Einlullend tanzten die Flocken. Kein Stern wies an, wie lange noch der Frouwe Morgen güldener Streitwagen auf sich warten lassen würde, am Bug geschmückt mit des Herrn Praios strahlendem Stern. Kein Mond zeigte sich in dieser dunklen Nacht.
Verbissen rieb der Ritter seine schmerzenden Augen. Nicht würde er sich abermals einlullen lassen von dieser erstickenden Stille. Nur zu laut brannten ihm noch die Worte seiner Gefährten in den Ohren, als er in der vergangnen Nacht das Feuer erblickt hatte.
Mit großer Anstrengung erhob er sich. Einige Schritte würden die jähe Müdigkeit gewißlich vertreiben. Entlang, hin und her an des Hauses Front, führten sie ihn. Um die eine Ecke. Und zurück. Ein Zögern. Auch um den zweiten Grat. Eine Bewegung im Dunkel, unter dem Dachtrauf.
“Heda! Wer da!“
Fester ergriff der Ritter sein Schwert. Ein Schlag vor die Brust, unbeholfen und voller Wucht, ließ ihn taumeln. Ein Schatten streifte an ihm vorbei. Seine Füße stolperten über ein plötzliches Hindernis. Ein dumpfer Schlag traf seinen Kopf und ließ Sterne tanzen vor seinen Augen.
Als ein besorgter Ritter Falk den Gestrauchelten erreichte, weit vor den anderen Gefährten, traf dieser auf keinen Gegner mehr, würdig seines Zorns oder seiner Waffen. Allein lag Ritter Wolfhardt in dem weißen Schnee, rot dort, wo das Blut aus einer Platzwunde an seinem Haupte Ifirns Gruß netzte. Und so rot wie perlende Rubine an jener Stelle, an welcher das heiße Lebensblut des Wolfshundes, dessen zerrissener Kehle entronnen, das Taubenweiß der unschuldigen Flocken erreicht und gebranntmarkt hatte mit dem Mal der Leuin und des Raben. Des [Zwerg]]en Leichnam aber entdeckte sich nicht den suchenden Blicken des Siebentalers, als dieser, nachdem er seine Kameraden gewarnt hatte, sich nach Spuren der Angreifer umsah.
“Wolfhardt, seid Ihr wohlauf?“ klang eine besorgte Stimme durch den Schleier von Taubheit und Kälte. Der Wiesner suchte sich zu rühren, erzeugte damit aber nur einen stechenden Schmerz, der durch alle seine Glieder zu fahren schien. In seinen Lungen brannte die kalte Nachtluft wie Feuer, auf der Zunge lag ihm der süßlich-herbe Geschmack von Blut. Er fühlte sich behutsam an den Schultern gepackt und vorsichtig herumgedreht. Eine Blutsperle rann warm und langsam über seine Wange.
“Es...es geht mir gut“, krächzte er, seine Kehle kam ihm vor wie der schwarze Stollen eines wengenholmer Kohlenbergwerkes.
“Man sieht’s“, brummte Rena. Mit der Linken stützte sie den Kopf des Verwundeten, mit der Rechten führte sie behutsam einen schneegetränkten Lappen über die Wunde.
“Als Dichter seid ihr besser denn als Nachtwächter“, scherzte sie. Wolfhardts versuchtes Lachen fiel mit einem Husten zusammen, daß er glaubte, scharfe Dolche würden sich in seine Lungen bohren.
“Wir bringen Euch erst einmal in die Hütte. Darinnen ist’s warm“, meinte der Baron mit gütigem Unterton, halb mitleidig, halb ärgerlich darüber, daß sich der Edle so plump hatte überrumpeln lassen und sie alle einer Gefahr aussetzte. Doch waren die Strapazen in den vergangenen Tagen wahrlich nicht gering gewesen, und es war nicht die Art des Vinansamters, hinterher zu diskutieren, was man vorher hätte tun sollen. Während er und Rena Wolfhardt mehr in die Hütte trugen als ihn nur beim Laufen stützten, machte er sich seine Gedanken. Ohne jedoch zu einem zufriedenstellenden Ergebnis zu kommen.