Dohlenfelder Thronfolgestreit - Ein Ritter

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Texte der Hauptreihe:
K28. Sieg
K95. Kajax
F25. Epilog
Autor: Reichskammerrichter, weitere

Nordmarken, 1032

Nach weniger als einer halben Stunde erscholl laut das Marschsignal der Stadtwehr, und die Spießer und Schützen rafften sich auf, die Reiter bestiegen ihre Rösser, Throndwig Gliependiek setzte sich in seiner prunkvollen Rüstung auf seinem mächtigen Streitross an die Spitze, leichter Nieselregen setzte ein.
Ihre Hochgeboren Praiodara von Wolfsstein-Föhrenstieg, die Baronin zu Wolfsstein, und Jungfer Thalia von Eichhain, schlossen umgehend zu dem Patrizier auf, ebenso der Ritter zu Maringen und seine Tochter. Die Hagen loyalen Landwehrkämpfer aus dem Junkergut Erzweiler drängelten sich zwischen die Berittenen und die Stadtwehr, eine Erzweilerer Gardistin war von Rondrian zu Maringen ausgesandt worden, um Baron Hagen vom glücklichen Fortgang der Operation zu unterrichten.
Ein weiteres Signal erscholl, und der Heerzug – immerhin 150 Kämpfer – setzte sich in Bewegung. Burg Schwarzfels, die alte Baronsburg der Baronie, war nur noch sechs Meilen entfernt! Die Via Ferra folgte in einigem Abstand dem Darlin, zur rechten wie zur linken lagen Stoppelfelder, etwas weiter im Osten konnte man guten Hopfen hoch aufragen sehen. Vor den Verbündeten Hagens ragte der Eisenwald, in dichten Boronnebel gehüllt, hoch auf. Auch diese Gipfel – die höchsten ragten knapp 2900 Schritt hoch auf – gehörten noch zur Baronie, der Kampf um die Baronskrone würde jedoch unzweifelhaft hier unten im Tiefland entschieden werden. Die wenigen Bäuerlein stellten sich brav an den Straßenrand, als die Kämpfer unter dem Banner Erzweilers und Twergenhausens vorbeimarschierten.
Die Berittenen an der Spitze des Heerzuges sahen, wie ihnen zwei andere Reiter entgegenkamen. Auf gut zweihundert Schritt Entfernung stieg einer der beiden – offensichtlich mit einer Armbrust bewaffnet – von seinem Pferd ab und ging hinter einem Felsen in Deckung. Der andere ritt ganz langsam weiter.
Auch der Heerzug setzte seinen Marsch fort, bis man sich fünfzig Schritt vor dem Felsen mit dem Schützen gegenüberstand. Für die Ortsfremden war der berittene Endvierziger zumindest als Adliger zu erkennen, trug er doch einen teuren Nerzmantel über einem Kettenhemd. Die Ortskundigen sahen sich Ritter Markward von und zu Darlinstein gegenüber, Freiherrlicher Land- und Marktrichter sowie Patriarch des ältesten noch bestehenden Dohlenfelder Rittergeschlechts, das seit fast 1200 Jahren aktenkundig ist.
Markward sprach, an Rondrian von und zu Maringen gerichtet – die Güter der beiden waren benachbart und nur durch den Darlin getrennt:
„Die Zwölfe zum Gruße, Rondrian! Es stimmt also! Ich befürchtete bereits, Euch, meinen geschätzten Erzweilerer Nachbarn, auf der Seite Hagens wiederzusehen. Und ich wundere mich auch nicht, dass der junge Hagen einen ansehnlichen Heerzug auf die Beine stellt, um seine vermeintlichen Rechte mit Waffengewalt durchzusetzen. Sehr erstaunt bin ich jedoch darüber, welche Verbündeten Hagen zu den seinen erkor.“
Abfällig blickte der Ritter zu Throndwig Gliependiek und fuhr dann fort: „Rondrian, Ihr habt nun ein Problem. Ich werde, anbetracht der großen Überlegenheit Eures Heeres, Euch und alle Adligen und auch die Landwehrleute passieren lassen – jedoch weder den jungen Gliependiek noch auch nur einen aus seinem Pack. Wollt Ihr Euren Heerzug fortsetzen, müsst Ihr mich schon aus dem Sattel prügeln oder schießen.“
Bei diesen Worten zog Markward sein Langschwert. Der Sohn des Bürgermeisters schäumte vor Wut, als der Ritter fortfuhr:
„Bei Praios, wie tief muss man gesunken sein, um sich mit den Pfeffersäcken und dem Twergenhäuser Pöbel zu verbünden! Habt Ihr gar noch solche herumstreunenden Abenteurer angeworben, um Eure Reihen aufzufüllen? Solltet Ihr den Sieg erringen, so nur auf schändliche Weise! Seid Euch im Übrigen gewiss, dass Ritter Ardor auf Burg Schwarzfels gewarnt ist. Ihr solltet besser die Geschütze aus Twergenhausen heranschaffen lassen, denn Vorräte lagern in der Burg genügend, um mindestens ein Jahr auszuharren.“
Des Ritters Ross tänzelte, während der Blick Markwards einen der ihm Gegenüberstehenden nach dem anderen streifte.
Die Dunkelforster Jungfer Thalia von Eichhain atmete tief durch: Sie konnte die Gedanken des Dohlenfelder Ritters gut nachvollziehen – und sie war sich nicht sicher, ob sie Hagen hätte folgen können, wenn dieser tatsächlich standesvergessene und heimatlose Abenteurer angeworben hätte…
Rondrian ritt seinerseits einige Schritt näher an Ritter Markward heran und hob beide Hände mit offenen Handflächen nach vorne an.
„Ich bin nicht hier um euch auf so schändliche Art und Weise nieder zu strecken wie ihr es mir zutraut. Solche Mittel liegen mir nicht und haben es noch nie getan. Auch habe ich es nie mit dem Pack, wie ihr es zu nennen pflegt, gehalten. Wohl weiß ich aber, dass es oft nötig wird, die eigene Überzeugung zurück zu stellen, um einem großen Ganzen dienlich zu sein. Solltet ihr tatsächlich mit eurem Schützen, der dort hinter dem Felsen lauert, vorhaben, zur Befriedigung eures eigenen Hochmuts oder zur Reinwaschung von irgendeinem Makel einen Kampf herbei zu führen, dann seit euch gewiss, dass darin in meinen Augen nur liegt, dass ihr euch herabsetzt. Wenn der junge Herr Gliependiek jedoch bereit ist, es hier und jetzt im Duell mit euch auszutragen, so bin ich gerne euer Sekundant, während der Zug weiter zieht. Ich folge ihm dann, wie der Ausgang auch sei. Wie sagt euch das zu?“
Es funkelte in den Augen Throndwig Gliependieks – der Patrizier konnte den Vorschlag des Ritters zu Maringen kaum glauben: Wie gerne würde er ein Duell gegen den Darlinsteiner fechten, wie gerne diesem arroganten Landadligen, der froh war, sich und die seinen von seinem erbärmlichen Gut ernähren zu können, eine Lektion erteilen. Throndwig war sich sicher, diesen Kampf triumphal zu gewinnen, war doch Markward weniger für seine kämpferischen als für seine juristischen und heraldischen Fähigkeiten bekannt – auf Turnieren war er weit öfter als Herold oder gar nur Zuschauer denn als Kämpfer zu sehen.
Gerade wollte Throndwig zu einem Kommentar anheben, als Ritter Markward von und zu Darlinstein sprach:
„Rondrian, zuerst einmal: Mein getreuer Waffenknecht lauert mitnichten hinter dem Felsen, um Euch ein Übel zu tun. Vielmehr habe ich ihm befohlen, dort in Deckung zu gehen, bis klar ist, welche üble Absicht das Heer hat. Und sollte mir ein Leid geschehen, ist seine Order, nach Darlinstein zu eilen, um meine Familie zu unterrichten und notfalls nach eine Heiler oder Borongeweihten zu schicken.“
Dann wandte der Ritter sich dem Sohn des Bürgermeisters zu – in der großen Hoffnung, einen Keil zwischen die Adligen und Städter, die auf Seiten Hagens vereint kämpften, treiben zu können:
„Ich bin von Stande, seit mehr als dreißig Generationen ist kein Nichtadliger unter meinen Vorfahren. Ihr hingegen, junger Gliependiek, Ihr seid ein Niemand! Möget Ihr Euch auch gewanden, als wäret Ihr von Stande, den Makel Eurer nichtadligen Vorfahren werdet Ihr niemals hinwegwischen können. Daher muss ich den Vorschlag des Hohen Herrn zu Maringen leider ablehnen: Ihr seid zu meinem tiefsten Bedauern nicht satisfaktionsfähig. Ein Duell mit Euch könnte meinen Ruhm nicht vergrößern, sondern nur mindern. Ihr möget mich angreifen, und ich werde mich verteidigen. Aber ein Duell, der Ritterehre wegen, nein, das werde ich Euch verwehren. Denn Ritterehre habt Ihr, Gliependiek, nicht! Ihr seid nichts als ein feister Pfeffersack, der gerne Ritter spielt! Ihr seid…“
Throndwig Perval Aurentian Gliependiek, Sohn des Bürgermeisters zu Twergenhausen und Erbe des größten Vermögens der Herzogenstadt, schäumte vor Wut und war nicht Willens, den Ritter seine verbalen Angriffe fortsetzen zu lassen.
Er gab seinem prächtigen Streitross die Sporen. Der Patrizier in seiner blinkenden, exzellent gearbeiteten Vollrüstung hatte sein Langschwert schon während der Ansprache des Maringers gezogen. Nun holte er, mit pulsierender Stirnader, so weit aus, dass er einen neben ihm reitenden Stadtwehroffizier, den besten Bäckermeister der Stadt, fast enthauptete. Seine Klinge aus bestem Zwergenstahl ließ er mit einem lauten Schrei und voller Wucht auf Ritter Markward niedersausen.
Doch dieser reagierte geistesgegenwärtig und parierte den ungeheuren Streich, der ihn vermutlich vom Kopf bis zum Sattelknauf halbiert hätte. Es krachte fürchterlich und Funken stieben, als das Schwert des Patriziers eine mächtige Scharte in das des Ritters hieb. Ein Schmerzensschrei Markwards war zu hören, als dieser – wie betäubt vom Schmerz seiner gebrochenen rechten Hand – aus dem Sattel glitt und zu Boden stürzte, der Aufschlag auf die regennassen Steinplatten der Via Ferra klang dumpf und hart.
Throndwig Gliependiek schnaubte und spuckte neben den Ritter auf den Boden, der sich mit angstgeweiteten Augen mit der Linken sein rechtes Handgelenk hielt. Dann donnerte der Patrizier, der sein Pferd steigen ließ, den Ritter mit seinem tiefsten Bass an:
„Hütet Euch, Darlinstein, hütet Euch, oder…“
Throndwig biss die Zähne zusammen und verkniff sich jedes weiteren Kommentars. Sein größter Jähzorn war verflogen, und dem Patrizier war nun nur zu bewusst, das jedes weitere Wort die Adligen, die an seiner Seite für Hagen kämpften, nur gegen ihn und seinen Stand aufbringen könnte. Aber dies konnte er nicht wollen, ging es hier doch nicht um sein Mütchen, sondern um die politischen Interessen des Magistrats der Herzogenstadt Twergenhausen.
Rondrian hatte diese gemeine Tat nicht kommen sehen, nachdem der Umstand nun aber schon geschehen war, ließ er sich aus dem Sattel gleiten und winkte seiner Knappin zu. Die junge Frau gab ihrem Pferd einen Schenkeldruck und kam heran getrabt, schwang sich ihrerseits aus dem Sattel und kam zu ihrem Herren.
„Gib mir das Leinenpaket aus meiner Satteltasche und hol die tönerne Flasche mit dem Wachssiegel auch gleich mit.“
Er trat neben dem Darlinsteiner und blickte zu Gliependiek auf.
„Ihr habt, was ihr wolltet, jetzt schert euch zurück in die Kolonne und kommt mir in der nächsten Zeit nicht mehr unter die Augen!“
Er untermauerte seinen Befehl noch mit einem Griff an das Schwertheft an seinem Gürtel. Gliependiek schien noch immer voll von Zorn und man konnte seine unterdrückten Gefühle anhand seiner knirschenden Zähne deutlich erkennen. Er schob jedoch die Waffe wieder in die Schwertscheide zurück und lenkte sein Pferd zur Kolonne zurück, nicht ohne noch ein weiteres Mal neben den Darlinsteiner in den Straßenstaub zu spucken.
Rondrian kniete sich nun neben den am Boden liegenden nieder und griff sachte nach der übel zugerichteten Hand.
„Was habt ihr euch eigentlich dabei gedacht, Markward? Habt ihr das alles wirklich so gewollt? Ihr habt doch mehr als deutlich gewußt, das ihr nur verlieren könnt, wenn ihr ihn dermaßen reizt. Jetzt muss ich das Ergebnis eurer Dummheit zusammenflicken und euch festsetzen, das ist euch doch hoffentlich klar.“
Rondrians Knappin erschien, und der alte Maringer machte sich daran, die Knochen zu richten und danach die Hand gekonnt zu schienen. Darauf hoben er und seine Knappin den stöhnenden Gefangenen auf sein Pferd und führten ihn zur Spitze der Streitmacht zurück. Rondrian nahm ihn zwischen sich und seine Tochter und winkte dann zum Weitermarsch. Währenddessen war der Bedienstete des Ritters Markward schon auf sein Pferd gesprungen und davongaloppiert.
Throndwig Gliependiek hatte einen kurzen Moment überlegt, ob er wirklich dem „Befehl“ dieses Erzweilerer Ritters Folge leisten sollte – Rondrian von und zu Maringen hatte schließlich keinerlei Befehlsgewalt über ihn und seine Stadtwehr, sondern einzig über die Erzweilerer Truppen. Nunja, er mochte darüber hinwegsehen. Dieses eine Mal. Er hatte seinen Triumph über den Ritter zu Darlinstein gehabt – welche Symbolik, welcher Pathos: Der Alleinerbe des mächtigsten Twergenhäuser Patrizierhauses stieß den Patriarchen des ältesten Adelsgeschlechts der Baronie Dohlenfelde in den Dreck! Über diesen Moment würden die Historiker noch schreiben!
Eine Reiterin der Stadtwehr Twergenhausen, die dem Armbruster Markwards hinterhereilen wollte, wurde von Throndwig Gliependiek zurückgepfiffen. Burg Schwarzfels war nun das Ziel, es ging jetzt ums Ganze.
Als Markward mit Hilfe der Knappin endlich auf dem Pferd saß, sprach er zu Ritter Rondrian von und zu Maringen, immer wieder von Schmerzenslauten unterbrochen:
„Ich bin Euer Gefangener, jawohl. Verfügt über mich, ich liefere mich Eurer ritterlichen Gnade aus. Ich werde keinen Fluchtversuch unternehmen, so schwöre ich bei Rondra. Schließlich sind wir Edelleute – ganz im Gegensatz zum Gliependiek!“
Den letzten Satz schrie Markward fast heraus. Throndwig Gliependiek tat, als hätte er ihn nicht gehört.
„Es ist genug!“, zischte Ritterin Aliena, die Tochter Rondrians, den Gefangenen an:
„Ihr habt verloren. Und der Thronräuber Angrondauch.“