Der Bund von Dachs und Einhorn - Ein neues Bündnis

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Ingen, 1034

Auf Burg Ingen angekommen, wurden Erlan von Sindelsaum und Baltram von Eichental sogleich vom Haushofmeister begrüßt und zum neuen Herren der Burg geleitet. "Seine Hochgeboren Erlan von Sindelsaum, fürstlicher Säckelmeister und Baron von Sindelsaum.", kündigte der Bedienstete formell an. "Nicht zu vergessen: der Knappenvater meines Sohnes Boromil", fügte Gero hinzu und lächelte breit. Der Haushofmeister fuhr ungerührt fort. "Ritter Baltram von Eichental." "Ah, Euer Neffe!", ergänzte Gero an Erlan gewandt. Er begrüßte beide Männer herzlich. "Seid willkommen auf Burg Ingen! Ihr habt die Ehre, die ersten Gäste seit meiner Amtseinsetzung und der Übergabe der Burg zu sein!" Der neue Vogt der Mark Ferdok ordnete an, die Besucher entsprechend ihres Ranges und seiner Möglichkeiten zu bewirten. Bei einem guten Ferdoker fiel es leicht, den Staub der Reise zu vergessen.

"Auf den neuen Markvogt von Ferdok", erhob Erlan seinen Krug wissend lächelnd. "Auf Euer Haus und alle, die mit ihm verbunden sind", ergänzte Gero. "Verzeiht die Bemerkung, aber ist Eure Gattin nicht anwesend?" fragte Baltram etwas schüchtern. Der Ritter vom Kargen Land winkte großzügig ab. "Nur Mut, junger Mann! Das habt Ihr wohl bemerkt. Tatsächlich pendeln wir noch weit häufiger als uns lieb ist zwischen Valpos Horn und hier. Es ist noch soviel zu organisieren... und dazu kommt unsere entfernte Verwandtschaft aus Almada. Niam hat sie willkommen geheißen, während Holdwin in Wengenholm und ich im Trolleck war."
"Richtig, eine ganz neue Familie im Kosch...", bemerkte Erlan und lächelte. "Ich hätte erwartet, dass sich in erster Linie Holdwin für sie einsetzt, da er doch jetzt für Valpos Horn verantwortlich ist."
"Er verwaltet zwar unser Gut in der Grafschaft Hügellande, aber diese Familienangelenheit ist doch eine Sache des Oberhauptes. Selbst wenn ich Arbeit genug habe, so möchte ich mich nicht aus der Verantwortung stehlen. Wenn meine gute Niam nicht wäre, wüsste ich bald gar nicht mehr, wo mir der Kopf stünde!", lachte Gero. "Dabei kann ich diesen Wink Phexens noch kaum fassen. Wer hätte gedacht, dass Graf Growin ausgerechnet mich zum Vogt ernennen würde? Ich vermute ja, dass es mit dem Besuch des Fürsten bei den neuen Siedlungen in Moorbrück zusammenhängt. Boromil hatte mir gegenüber bereits kurz danach in einem Brief angedeutet, dass da etwas im Gange sei, wollte aber nicht genauer werden. Nun, am meisten dürfte ihn beschäftigen, dass dabei der ehemalige Magierturm auf seinem Gut Neuvaloor versunken ist. Ich überlege ja schon, wie ich ihn beim Wiederaufbau unterstützen kann..." "Wie war denn die Übergabe durch die bisherige Vögtin Dariana von Albersrode?", erkundigte sich Baltram. "Die verlief erstaunlich glatt! Die Stadtvögtin ist bisher sehr freundlich gewesen - und das ist nur gut so, denn wir sind ja Kollegen und müssen Hand in Hand arbeiten! Ob hinter meiner Ernennung doch ein Kniff des Grafen steckt, den ich nur noch nicht durchschaut habe?"
"Und wenn schon", winkte Erlan ab, "wenn als Ergebnis ein solcher Aufstieg erfolgt, soll es Euch nur recht sein!" Gemeinsam prosteten sie sich erneut zu und genossen das Bier, bis das Mahl gedeckt war.

Beim Abendessen plauderte man noch über allgemeine Themen, etwa was von den Artikeln des Gelehrten Knurrbold Grobbs zu halten war, die neuerdings im Kosch-Kurier erschienen. Baltram zeigte sich gut informiert über die derzeit aktuellen Gesprächsthemen, ohne allzu viel auf Klatsch zu geben. Nach dem Dessert bat Gero Erlan zu einer Unterredung ins Studierzimmer, um ihn "in einer delikaten Angelegenheit" um Rat zu bitten. Erlan verstand den Wink und ließ Baltram mit einer guten Pfeife vor dem Kamin sitzen.

"So, hier können wir ungestört reden.", grinste Gero ein wenig verschwörerisch. "Hier gibt es keine Möglichkeit zu lauschen. Alles massive Wände und Magie ist hier auch nicht am Werk! Ich habe extra alles von meinem Sohn Halmar untersuchen lassen."
"Eine wertvolle Erkenntnis", nickte Erlan zustimmend, ohne mehr preiszugeben.
"Doch kommen wir nun gleich zur Sache", eröffnete Gero. "Was ist der wahre Grund für Euren Besuch? Ihr seid doch sicherlich nicht einfach als Säckelmeister zufällig des Weges vorübergezogen."
Erlan nickte anerkennend. Sein Gegenüber hatte ihn durchschaut. "Ihr habt recht, Gero. Zwar befand ich mich in meinem Amt als Säckelmeister auf Reisen, aber der Abstecher zu Euch war dennoch ein beachtlicher Umweg. Offiziell bin ich natürlich hier, um Euch zu ermahnen, auch fürderhin den fürstlichen Anteil an Zöllen und Zehnten pünktlich zu begleichen, aber das ist natürlich nur zweitrangig, wenngleich mir ersteres natürlich auch am Herzen liegt.“ Erlan blickte Gero ernst an. Man verstand sich und was für Gero eine Selbstverständlichkeit sein mochte, war bei so manchem Hochadligen im Kosch ein harter Kampf. Ein Kampf freilich, der mit dem Rechenbrett und der unermüdlichen Arbeit Brins von Garnelhaun geführt wurde. Erlans rechte Hand als Säckelmeister hatte sich als unschätzbar nützlich erwiesen.
Erlan nahm den Gesprächsfaden wieder auf. „Mein eigentliches Interesse gilt jedoch vielmehr der Frage, ob Eure Belehnung in der Grafschaft Ferdok euer Augenmerk vom Angbarer See weg verlagern wird.
"Ich glaube, ich verstehe, worauf Ihr hinauswollt... was wird aus Graf Wilbur vom See? Das ist die Frage, die nach wie vor im Raum steht."
Erlan nickte zufrieden, der Wink war beim Ritter vom Kargen Land angekommen war. "Es ist jetzt ja eigentlich Sache Eures ältesten Sohnes und nicht mehr die Eure."
"Doch, das ist es nach wie vor! Ich habe Dorinde von Cellastein gegenüber einen Eid geleistet, den Grafen bei meinem Leben zu beschützen. Es war ihr letzter Wunsch, bevor sie am Trolleck ihr Leben für Wilbur ließ."
"Ein Eid ist eine schwerwiegende Verpflichtung, aber wie wollt Ihr diesen Eid erfüllen? Ihr seid jetzt hier gebunden, auch dem Graf Growin habt ihr einen Eid geschworen!"

"Eben das ist es, was mir Sorgen bereitet. Holdwin ist ein guter Junge und wird Vogt wie Grafem treu zur Seite stehen. Aber er denkt zu geradlinig, um die Verschwörer zu erkennen und gegen sie im Hintergrund zu agieren."
"Glaubt Ihr denn, dass nach wie vor jemand den Grafen stürzen will?" fragte Erlan scheinbar arglos.
"Das will ich meinen! Die Anschläge auf Wilbur selbst und auf Stordan haben es doch bewiesen. Dazu kommt noch Gelphart von Falkenhags angebliche Rückkehr... schwer zu sagen, wer bei all dem der Drahtzieher ist."
"Was vermutet Ihr denn?"
"Ach, Vermutungen bringen uns doch nicht weiter! Bleiben wir lieber bei dem, was wir wissen. Es ist doch offensichtlich, dass es einen Konflikt gibt zwischen dem Grafen und den Schetzeneckern, die ihrer ehemaligen Grafschaft hinterhertrauern. Viele misstrauen außerdem Voltan von Falkenhag, weil er Magier ist und großen Einfluss auf Wilbur ausübt. Dabei übersehen sie jedoch, was sonnenklar ist." Gero testete nun seinerseits, ob Erlan verstand. Er sollte sich nicht irren.
"Voltan hält die Grafschaft zusammen. Ohne den Truchsess könnte sich Wilbur derzeit nicht lange halten.", konstantierte Erlan nüchtern.
"Schön, dann sehen wir das beide gleich. Wilburs Unglück besteht darin, zu früh zum Grafen geworden zu sein. Ein paar Jahre älter, und er hätte bereits durch eigene Taten glänzen und Unterstützer um sich sammeln können. So aber droht er zum Spielball anderer zu werden."
Der Baron von Sindelsaum sponn den Faden weiter. "Voltan von Falkenhag wird alles in seiner Macht stehende tun, um Umsturzpläne zu vereiteln. Doch darf man nicht so naiv sein und annehmen, dass er dabei keine eigenen Ziele verfolgt. Als Magier könnte er nicht selbst den Grafentitel führen... wohl aber sein Sohn Bohemund. Solange Wilbur nicht verheiratet ist und Kinder hat, lebt er höchst gefährlich. Derjenige, der ihm im Moment beschützt, ist gleichzeitig derjenige, der ihm auf lange Sicht besonders gefährlich werden könnte."
"Leider sind wenige so weitsichtig. Angbart von Salzmarken-See steht treu zu seinem Grafen, den er als einen Verwandten ansieht, begreift aber nicht, dass man an Voltan nicht vorbeikommt; Stordan Steener von Steenback ist zu misstrauisch gegenüber Voltan. Wer Wilbur unterstützen will, der muss zunächst mit Voltan kämpfen und gleichzeitig dessen langfristigen Pläne vereiteln."
"Ein schwieriger Balanceakt... welches Haus ist mächtig genug, um das zu schaffen?" Die Frage stellte Erlan mit einem leichten Zucken im Mundwinkel. Beide Männer wussten die Antwort, aber die Frage musste doch gestellt werden.
"Kein einziges!", stellte Gero trocken fest.
"Was schlagt ihr also vor?", erkundigte sich Erlan vorsichtig.
"Ich sagte, dass kein einziges Haus Wilbur beschützen kann. Eines alleine hat keine Chance gegen das mächtige Haus Falkenhag... vielleicht aber mehrere, die sich verbünden."
Nun horchte Erlan auf. Das war es, was er gehofft hatte zu hören. "Ihr meint... ein Bündnis zwischen unseren Häusern?", hakte er nach.
"Wenn wir beide uns einig sind, dass wir den Grafen schützen wollen, dann halte ich das für den besten Weg."
"Wir haben ein gemeinsames Ziel. Denn wer würde Wilbur nachfolgen? Bohemund von Falkenhag vielleicht... oder einer der Schetzenecker, zumindest in einem Teil der Grafschaft. Vielleicht gäbe es auch ein zähes Ringen um die Grafenwürde, das manche Fehde hervorruft oder wieder aufleben läßt. All das kann nicht im Interesse des Kosch sein. Daher stimme ich Eurem Vorschlag zu: Lasst uns unsere Kräfte bündeln und gemeinsam für Wilbur arbeiten."
"Ausgezeichnet! Ihr stammt aus einem neueren Haus, ich aus einem alten. Ein ungewöhnliches Bündnis auf den ersten Blick; doch die alten Häuser sind oft zu sehr gegenseitig verfeindet, und hier ist nicht der rechte Moment, um auf die Länge der Ahnenreihe zu schauen. Gemeinsam ist uns, dass wir lieber den Kopf als das Schwert einsetzen. Wir werden Voltan stützen, solange es sinnvoll erscheint. Doch wie servieren wir in der Zwischenzeit Bohemund ab, ohne dass es auffällt?"
"Das sollte kein Problem sein.“ Erlan gab ein gewinnendes Lächeln zum besten. „Es mangelt derzeit an einem Zollgreven am Roterzpass und wer würde sich da besser anbieten als der gute Bohemund? Die Erhebung für dieses Amt liegt natürlich in meinem Aufgabenbereich. An der Grenze zu Almada ist es nach wie vor nicht ruhig genug und es hat dort Schmuggler. Wer kann schon offen protestieren, wenn ich Bohemund von Falkenhag mit dieser verantwortungsvollen Aufgabe betreue?"
"Ha!", klatschte Gero begeistert in die Hände, "Das wird ein Streich! Ihr tragt das richtige Tier im Wappen; denn der Dachs trickst so manchen Hund aus."
"Wo wir von Wappen reden", tastete Erlan von Sindelsaum sich vorsichtig vor. "Der Kopf eines Einhorns ziert das Eures Hauses. Doch ein ganzes Einhorn schmückt das Wappen der Baronie Rohalssteg. Beabsichtigt Ihr, aus Eurer Initiative für Graf Wilbur dergestalt zu profitieren, dass Ihr Kargen als Lehen in der dortigen Baronie zurückgewinnt?" Dermaßen durchschaut, brauchte Gero einige Momente, um sich wieder zu sammeln. "Also... das ist doch... aber nun gut, Ihr habt ja Recht. Ich sollte mich glücklich schätzen, einen Verbündeten zu haben, der die Leute richtig einschätzt. Ja, ich beabsichtige, den früheren Stammsitz meiner Familie zurückzubekommen. Die alte Schuld, die zu dessen Verlust führte, ist längst getilgt. Der Baronstitel von Rohalssteg, der damals zur Fehde mit dem Haus Salzmarken führte, ist unwichtig geworden, da mein Haus nun woanders zu einem gleichrangigen Titel gekommen ist. Eben das ist auch der Grund, Kargen zurückzuwollen. Wie wirkt es denn, wenn ich bei der Nennung meines Namens erklären muss, dass wir nicht mehr mit Kargen belehnt sind?"
"Es ist zumindest umständlich, vor allem jetzt, da Ihr in einer anderen Grafschaft ein Amt ausübt und Euch noch wenige kennen. Ein guter Grund, um ein Lehen zurück zu fordern", räumte Erlan mit einem schiefen Lächeln ein.
"Das will ich meinen! Es ist doch so: Das Haus vom Kargen Land hat viele Jahre bescheiden gelebt und sich mit der Zeit bewährt. Jetzt ist es nur legitim, das alte Lehen zurückzuerlangen. Mit meiner Ernennung zum Markvogt ist doch bewiesen, dass man uns für vertrauenswürdig hält! Und was das Verhältnis zum derzeitigen Baron von Rohalssteg betrifft: Mein Verwandter Born war seinerzeit immer für Baron Conrad und seine Gattin - ganz im Gegensatz etwa zu Angbart von Salzmarken-See. Doch wo wir von Zielen reden, die wir mit der Unterstützung Wilburs erreichen wollen... was ist denn Eurer Ziel? Ein weiteres Amt?"
„Meine Ambitionen sind weniger konkret als eure. Zuallererst bin ich ein Diener des Fürsten. Dem Haus Eberstamm gilt meine Treue. Im übrigen bin ich natürlich vor allem daran interessiert, die Position meines Hauses zu festigen und es auf starke Füße zu stellen. Den Rest wird die Zeit zeigen!“ "Eine wichtige und zugleich nicht ganz einfache Aufgabe. Die wichtigere Frage im Moment lautet aber: Wie gehen wir weiter vor?"
"Wir sollten uns wohlgesonnene Personen in Amt und Würden bringen, damit wir genügend Leute hinter uns wissen, wenn es hart auf hart kommt. Als Baron und Vogt sind wir dazu in der Lage. Ich schlage vor, dass wir gegenseitig Verwandte belehnen, so dass der andere jeweils einen Grund hat, sich in die Interessen der Baronie einzumischen."
"Keine schlechte Idee... wie wäre es von meiner Seite aus mit meinem Neffen Boronar? Er hat sich am Trolleck wacker geschlagen und ist ebenfalls grafentreu."
"In Ordnung, ein Lehen wird sich in Sindelsaum bestimmt für ihn finden lassen, Mistelstein etwa. Im Gegenzug werde ich eine fähige Person aus meiner Sippe benennen, die Rakulbruck verwaltet." Gero musste kurz die Augenbrauen hochziehen vor Erstaunen. Rakulbruck, immerhin einer der größten Orte der Mark Ferdok und Grenzort zu Garetien... nicht gerade das kleinste Lehen, das man vergeben konnte. Aber für das neu geschmiedete Bündnis war es wichtig, einander Vertrauen zu schenken, und Erlan war immerhin Knappenvater und Freund seines Sohnes Boromil. "Abgemacht. So wollen wir es halten!"

Nachdem sich Erlan von Sindelsaum und Gero vom Kargen Land so besprochen hatten, kehrten sie ins Kaminzimmer zurück, in dem Baltram von Eichental nach wie vor auf sie wartete. In die Neuigkeiten der Belehnungen weihten sie ihn ein; nicht aber in die genauen Hintergründe. Denn wer konnte schon sagen, ob nicht ein Bediensteter auf Burg Ingen heimlich die Ohren aufhielt für einen anderen Herren?