Ankunft in Moorbrück - Die Würfel sind gefallen

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1032 BF, Moorbrück

Die ersten Strahlen des Praiosrundes stiegen wie ein sichelförmiges Feuer über der weiten sumpfigen Ebene östlich des sechsten Standortes empor. Tausendfach spiegelten sie sich in den Tümpeln und ließen das sonst so abweisende Moor in rotgoldenem Funkeln erglimmen. Die lautlos über den Boden ziehenden Nebelschwaden leuchteten wie seidene Vorhänge im Morgenlicht.
Vor dieser Kulisse schritt Morwald Gerling, der Vogt von Moorbrück, auf den Zahlenkreis zu. Er hatte ein Rüschenhemd angekleidet und seinen Gehrock mit den vergoldeten Knöpfen fein säuberlich ausgebürstet, in seiner Hand trug er seinen Gehstock, sein schmaler Schnauzbart war gerade wie ein Strich.
Ihm gegenüber standen alle sechs Ritter, die sich mittlerweile alle aus ihren Lagern erhoben hatten. Sie verfolgten in der gleichen gespannten Stille, wie Rumpel, Bolzer, Perainfried und Madalein, wie der rundliche Schatten des Vogts sich in riesenhafter Länge über den Boden zog und schließlich über die sechs Ziffern und zwölf Steine fiel.
„Nun, im Namen des Fürsten fällt mir die Aufgabe zu, die sechs auserwählten Standorte unter den Rittern von Moorbrück zu verteilen. Ich will es mir nicht leicht machen - denn es geht darum, die Entscheidung nicht nur zum Wohl unser aller Zukunft zu fällen, sondern auch zum Wohl der künftigen Siedlungen von Neu-Farnhain.“
Der Vogt genoss die Stille und betrachtete nun lange und eindringlich die Steine im Kreis. Man sah ihm an, dass er jedes Wappen genau betrachtete, über die Möglichkeiten grübelte und abwog.
Schließlich atmete er tief durch und erhob erneut seine helle Stimme:
„Ich würde vorschlagen, wir beginnen mit den eindeutigen Entscheidungen...“, sein Blick fiel auf Edelbrecht. Wenn er innerlich Enttäuschung darüber verspürte, dass kein zweiter dem, ihm so wenig gewogenen, Ritter den gewünschten Platz streitig machte, dann ließ es sich der Vogt zumindest nicht anmerken. Mit breitem Grinsen trat er auf den Nadoreter zu und streckte ihm die Hand entgegen.
„Es sieht so aus, als hätte niemand Euch Euren Wunsch streitig gemacht, Ritter Edelbrecht von Borking. Ihr habt die Ehre, unsere illustre Runde ab sofort aus den Augen des Gastgebers betrachten zur dürfen. Ich gratuliere!“
Edelbrecht schluckte und konnte seine Überraschung, dass der Vogt ausgerechnet ihn als erstes belehnte, der sich als Querkopf und Widersacher Gerlings erwiesen hatte, nicht völlig verbergen. Hatte Edelbrecht etwas übersehen? Warum hatte es keine Konkurrenten um diesen Platz gegeben? Lag es an seiner ungeheuren Penetranz, mit der er schon frühzeitig seine Präferenz kundgetan hatte und sie während der gesamten Reise stetig wiederholt hatte, oder hatten die anderen frühzeitig erkannt, dass dieser Platz zu abseits gelegen war? Gab es irgendeinen anderen Haken, hatte er einen Fehler gemacht?
Die Augen seiner Gefährten richteten sich neugierig auf ihn, als er zögerte, die kleine fleischige Hand des Vogtes zu ergreifen, einige blickten zunehmend finster drein - verärgert über jede nur noch so kleine Verzögerung, die die Lehnsvergabe erfuhr, während er bei Boromil ein ermunterndes Kopfnicken bemerkt zu haben glaubte. Nun denn, es gab kein zurück mehr - Edelbrecht machte einen Schritt nach vorn, drückte die Hand Gerlings, so fest er nur konnte, und antwortete mit leicht krächzender Stimme, die er erst nach einigen Wörtern wieder im Griff hatte.
„Habt Dank, Hochgeboren, für diese rasche und für mich mehr als erfreuliche Ernennung.“
Boromil dachte derweil blitzschnell nach. Die Entscheidung des Vogtes war keineswegs so selbstverständlich, wie sie schien. Selbst wenn es um die Nummer VI keine Konkurrenz gab, hätte Gerling irgendeinen Grund vorschieben können, etwa die Wichtigkeit guter Nachbarn, um Edelbrecht mit einem anderen Siedlungsplatz zu bedenken. Umso angenehmer, dass die Zwistigkeiten nicht dazu geführt hatten. Dass Edelbrecht zudem als erster belehnt wurde, der Vogt ihn also nicht zappeln ließ, war ebenfalls erstaunlich. Boromil wertete dies als ehrlichen Versuch Morwalds, nicht von Anfang an seinerseits Streit zu schüren. Hoffentlich wusste der junge von Borking das zu schätzen!
Gleichzeitig bedeutete das auch, dass es für ihn, Boromil, nur ein "alles oder nichts" gab. Entweder er würde den bevorzugten Siedlungsplatz und Edelbrecht als Nachbarn bekommen oder gar nichts von beidem. Die Freude über Edelbrechts Glück und die erste, bereits gelungene Entscheidung des Vogtes mischte sich mit Anspannung.
Noch einmal stutzte Edelbrecht, was würde sein Vater zu der Namenswahl sagen, was die anderen, was der Vogt? Würden sie es für anmaßend halten, was er jetzt bereit war zu enthüllen? Warum sollten sie? Zwar kannte Edelbrecht die Familienbande nicht, die seine Gefährten mit dem untergegangenen Baronshaus von Farnhain verband, es mochte da engere Bande geben als er sie vorweisen konnte, aber sicherlich war die weiland stattgefundene Hochzeit seines Vorfahren Lechdan Bork von Borking mit der Baronsschwester Jolande von Farnhain eine ebenso gute Begründung für seine Entscheidung - vielleicht dachte einer seiner Kameraden gerade ebenso in Bezug auf die eigene Familiengeschichte und wäre ihm bei einer frühzeitigen Belehnung zuvorgekommen.
Im tiefsten Innern seines Verstands warnte Edelbrecht zwar eine Stimme, dass es sehr wohl anmaßend klingen und gar als offene Kampfansage an den Vogt, ja sogar als eine Kandidatur auf den vakanten Sitz des Barons missverstanden werden konnte, aber er wollte nicht darauf hören.
So räusperte er sich und fuhr fort: „Ich danke Euch umso mehr, da ich diesen Ort mit seinen Entfaltungsmöglichkeiten für den besten halte, den Namen zu tragen, für welchen ich mich entschieden habe und den ihr bereits unbewusst die Weisheit besessen habt zu erwähnen. Soll der Sumpf weichen und soll hier die einst blühende Vergangenheit wiederauferstehen, so wird diese Baronie wieder einen anderen ruhmvolleren Namen erhalten. Und so soll auch dieser Ort an die Vergangenheit anknüpfen, ohne sie dabei zu verleugnen. Daher freue ich mich Euch an dieser Stelle auf den Fundamenten Neufarnhains begrüßen zu dürfen, welches ich künftig mit Zwergenhilfe errichten und unter Ingerimms Schutz stellen möchte. Hier wird für Euch, Hochgeboren, aber auch für jeden von Euch“, Edelbrecht blickte auf seine Gefährten, „stets ein Nachtlager, eine warme Mahlzeit und ein kühles klares Bier vorrätig sein! Mögen die Zwölfe mir an dieser meiner Wirkstätte gewogen sein und mich eine glückliche Hand führen lassen.“
Kurz hielt er inne - einige Blicke seiner Gefährten sprachen Bände. Der Ritter vom Kargen Land blickte zunächst überrascht und lächelte schließlich. Das deutete darauf hin, dass Edelbrecht ihm nicht in der Namenswahl zuvorgekommen war.
„Das wünsche ich Euch ebenso!“, gab der Vogt lächelnd zu verstehen, eine Freundlichkeit, die den Borkinger ermutigte.
„Ein Nachtlager hatte ich schon“, murmelte Roban Grobhand halblaut, „eine warme Mahlzeit auch! Wenn ihr jetzt noch ein Bier hervorzaubert, Herr von Borking“, die Mundwinkel des Koschtalers waren immer weiter nach oben gewandert bei seinen Worten, und das kurze Gelächter, mit dem seine Worte, aus denen die Koscher Seele sprach, beantwortet wurde, wirkte befreiend nach der Anspannung der ersten Lehensvergabe.
„Ich bin untröstlich“, Edelbrecht hob in einer gespielt bedauernden Geste die Hände, „Eurem nur zu verständlichen Wunsch nicht entsprechen zu können, Herr Grobhand von Koschtal. Ich hoffe, Ihr tragt es mir nicht nach, wenn wir das Bier auf einen Zeitpunkt verschieben, an dem ich besser auf meine Pflichten als Gastgeber vorbereitet bin!“
Edelbrecht von Borking wartete, bis das Gelächter erneut verklungen war, und wandte sich wieder an Vogt Gerling.
„Um eines möchte ich bitten, Hochgeboren - ohne Eure Wahl in irgendeiner Weise beeinflussen zu wollen, will ich doch keineswegs den Anschein erwecken als würde ich euch den nötigen Respekt verwehren, auch wenn dieser Eindruck fälschlicherweise mitunter einmal entstanden sein mag - sofern mir eine Bitte gewährt ist: stellt mir Ritter Boromil vom Kargen Land zur Seite am Siedlungsort V, denn ihn halte ich für den kundigsten Mitstreiter, der mir im Umgang mit dem Geodenkreis zu unseren Füßen am ehesten helfen kann, ohne damit den Verstand und die Vorzüge der anderen werten Herren anzweifeln oder gar schmälern zu wollen. Auch denke ich, dass ich ihm seine Hilfe mitunter mit meinen bescheidenen Kräften werde entgelten können.“
Edelbrecht hielt inne und blickte dem Vogt fest in die Augen. Ganz ohne Zweifel war dies eine der längsten Reden gewesen, die der Borkinger je in seinem Leben gehalten hatte, doch sprach aus ihr die tiefe Sorge, dass er einen Freund aus den Augen verlieren würde, noch ehe die Freundschaft richtig mit Bier, Speisen und gemeinsamen Abenteuern besiegelt worden war.
Boromil verkniff leicht den Mund und versuchte sich dann wieder zu beherrschen. Nur nicht zu gierig sein! Das hatte seiner Familie einst den Stammsitz und viele Leben gekostet, als sie unbedingt an der Baronswürde festhalten wollte.
Das eben noch lächelnde Gesicht von Vogt Morwald wurde ob der Worte Edelbrechts zu einer Maske. Er hatte gehofft den Ritter mit der Erfüllung seines Herzenswunsches mit Genugtuung zu erfüllen - doch schon folgte die nächste Forderung.
Gerling räusperte sich kurz, bevor er vielsagend darauf anwortete: „Nun, wir wissen Euren Einsatz für einen Eurer Mitstreiter zu schätzen. Doch, wenn ich mich nicht irre, zählen Demut und Geduld zu den ritterlichen Tugenden des legendären Fürsten Baduar.“
Dann wandte sich der Vogt wieder dem Kreis zu und atmete kurz durch.
„Der nächste eindeutige Siedlungsplatz ist die Nummero Vier. Offenbar lag er einem der Ritter so sehr am Herzen, dass er alles auf eine Karte setzte. So freue ich mich, diesen Wunsch erfüllen zu können. Ritter Rainfried von Grimsau, darf ich Euch zu mir bitten und Euch Glück und der Zwölfe Segen wünschen.“, erneut streckte Gerling die Hand aus und zwinkerte dem sich nähernden Rainfried zu.
„Freilich hoffe ich, dass wir in ein paar Jahren einen guten Tropfen aus Eurem Gut genießen dürfen.“
Rainfried blickte auf, erstaunt über die Tatsache, dass niemand anderes diesen Siedlungsplatz beansprucht hatte. Schien es doch der am ehesten geeignete Platz für, zumindest rudimentär erfolgreichen, Ackerbau zu sein. Er ging auf den Vogt zu, nahm dessen Hand und neigte kurz den Kopf.
"Das hoffe ich ebenso, Hochgeboren, und mit dem Segen aller Zwölfe sollte dies auch gelingen."
Der Grimsauer wandte sich allen Anwesenden zu.
"Und um die Zeit bis zur ersten erfolgreichen Lese zu verkürzen möchte ich alle Anwesenden auf einen guten Becher Ragatzo einladen, und so gewünscht auf einen Schluck Oloroso, sobald wir zurück auf Burg Birkendamm sind. Auf dem dort abgestellten Wagen befinden sich nicht nur die Rebstöcke, die auf den Hügeln eine neue Heimat bekommen, sondern auch ein paar edle Tropfen, die ich aus Almada mitgenommen habe. Was die Wahl des Namens für die zukünftige Siedlung angeht, so habe auch ich bereits eine Entscheidung getroffen. Der Name soll mich daran erinnern, was ich hier hoffe errichten zu können, und so soll die neue Siedlung Grimsaus Ehr heißen."
Rainfried zögerte. Seine Worte wurden etwas leiser.
"Auch das zukünftige Weingut soll mich stets an etwas erinnern. An das Wichtigste, dass ich aus meiner ehemaligen Heimat mitgenommen habe. Auch wenn es für Koscher Verhältnisse unpassend erscheinen mag, so soll es Madaleinque benannt werden."
Ein kurzer, erstaunter Laut aus Richtung der Rahjageweihten zog die Blicke der Umstehenden auf sie.
"Perdón."
Sogleich senkte Madalein den Kopf, wandte sich ab, ging zu ihrem Schlafplatz zurück und begann bereits, sich für die Abreise fertig zu machen.
"Demut und Geduld mögen Tugenden Fürst Baduars gewesen sein, werter Vogt, die Grimsauer hatten in der Vergangenheit jedoch so ihre Schwierigkeiten damit. Deswegen würde ich ebenfalls eine Bitte äußern, was den fünften Siedlungsplatz betrifft, mit dem Versprechen mich danach in eben diesen Tugenden zu üben. So sehr ich auch die Nachbarschaft Boromils zu schätzen wüsste," sein Blick ging entschuldigend zu Boromil, "ist meine Meinung, dass es besser wäre, den Platz an Reto zu vergeben."
Reto verneigte sich leicht und tiefe Dankbarkeit lag in Retos Blick, ob der Worte des Grimsauers. Kurz schien es, als wolle es direkt aus Reto heraussprudeln, doch er hielt sich zurück, straffte sich und wandte sich dann dem Vogt zu.
„Ich werde demutsvoll die Entscheidung des Vogts erwarten. Ihr sollt nur wissen Vogt, dass die beiden Steine meines Hauses auf Standort fünf, nicht beide von mir platziert wurden. Somit repräsentieren die Steine nicht nur mein eigenen, nie verhehlten Wunsch dort siedeln zu dürfen, sondern auch den eines zukünftigen Nachbarn.“
Reto blickte noch einmal anerkennend, hoffungsvoll und dankbar in Richtung des Grimsauers.
„Auch wenn es mich nichts angeht, ich pflichte dem bei!“ fügte Roban Grobhand von Koschtal hinzu.
„Und falls der Herr vom Kargen Land die Ruinen von Klippbrühl als erste Wahl ansieht, würde ich meinen Stein von diesem Standort zurückziehen, damit Reto von Tarnelfurt konkurrenzlos den fünften Platz erhält!“
Falls Roban eine Reaktion von Boromil erwartet hatte, so wurde er enttäuscht. Der Ritter vom Kargen Land stand ruhig da und ließ sich nicht anmerken, was er gerade dachte. Was er befürchtet hatte, war eingetreten: Ein aus seiner Sicht eher peinliches Geschachere um den einzigen Siedlungsort mit zwei Hauptinteressenten hatte begonnen. Dabei war doch dafür die Nacht zuvor dagewesen und man konnte nicht behaupten, dass die bisherigen Redner sie nicht genutzt hätten!
Boromil war bewusst, dass er klar die schlechteren Karten hatte. Reto war der bessere Ritter; er hatte die Hälfte der Siedler auf seine Seite gezogen. Hier war Zurückhaltung offensichtlich fehl am Platze gewesen. Eigentlich war es bereits falsch gewesen, alleine zu kommen, anstatt gleich Unterstützung mitzubringen, mit der der Boden untersucht wurde.
Andererseits dachte er an die Mahnung des Vogtes, die ritterliche Tugend der Geduld hochzuhalten. Das war auch der Grund seiner Zurückhaltung. Falls der Vogt bereits entschieden hatte, war sowieso nichts mehr zu ändern. Falls er jedoch noch überlegte und sich deswegen die schwierigste Vergaben bis zum Schluss aufsparte, dann wollte sich Boromil lieber an die Vergaberegeln halten und den Worten Gerlings Gewicht beimessen, insbesondere den mehrfach gegebenen Appell, sich an die ritterliche Erziehung zu erinnern. Dass ihm sein Schweigen letzten Endes Sympathien kosten würde, war nicht zu ändern. Tugenden waren dazu da, auch dann gelebt zu werden, wenn sie einem zum Nachteil gereichten.
Und ein Nachgeben um des lieben Friedens Willen? Nein! Dann hätte er gleich der ganzen Besichtigung fernbleiben können, von Höflichkeitsgründen abgesehen. Der Vogt hatte ausdrücklich darum gebeten, dass jeder seine Präferenzen zeigte und es wäre unehrlich und letzten Endes eines Ritters unwürdig, einfach so einzuknicken.
Interessant war allerdings die Beobachtung, dass Reto durch sein Vorgehen Boromil fast automatisch zum Verlierer gemacht hatte. Entweder bekam der Ritter von Tarnelfurt seinen Platz und hatte sich nebenbei bei den anderen beliebt gemacht, oder es könnte Boromil anhängen, dass er dem "eigentlich besseren" den Ort "weggeschnappt" hätte. Dieses sich auf ein Ziel festlegen und es mit allen Mitteln verfolgen war es, was ihm einfach nicht lag, zumal wenn es darum ging, Vor- und Nachteil abzuwägen. Wo hatte er das schon erlebt? Ach ja, bei den Frauen! So unterschiedlich war das Vorgehen der Herren bei den Siedlungsplätzen auch nicht... währenddessen reagierten die anderen auf Robans Vorschlag, auch wenn Boromil stumm blieb.
Retos Miene hellte sich noch weiter auf, während sich die Miene des Vogtes zunehmend verfinstert hatte. Offenbar schätzte er die Entwicklung nicht, die diese Vergabezeremonie nahm. Der Vogt ging eilig einige Schritte auf und ab und wurde laut.
„Gemach, gemach, hohe Herren! Wir werden eine kluge Lösung finden mit der alle zufrieden sind.“
Er sah allen Rittern der Reihe nach in die Augen.
„Doch bedenkt, so wichtig die direkten Nachbarn auch sein mögen ... wir sind alle dazu verpflichtet und verdammt an einem Strang zu ziehen. Wir hoffen sehr, dass jeder, wo immer sein Standort am Ende sein mag, den anderen beistehen wird. Ob er nun in zwei Meilen nebenan siedeln mag oder zehn.“
Dann, nach einem tiefen Atemzug, stampfte er mit funkelndem Blick auf Roban zu.
„Nun zu Euch, Ritter Grobhand von Koschtal. Ihr kennt die Regeln. Die Steine liegen und werden nicht mehr bewegt.“
Auge in Auge stand der Vogt vor dem verblüfften Roban, der den scharfen Tonfall nicht erwartet hatte. Noch weniger jedoch hatte er erwartet, dass das versteinerte Antlitz des Moorbrücker Vogts auf einmal breit lächeln und seine Augen listig zwinkern würden.
„Dennoch mag es euch beruhigen, dass ich Euch ohnehin eben den Standort Drei übergeben wollte!“
Die eben noch angesichts der grollenden Rede des Vogts erstarrte Menge begann nun zu lachen und der Vogt stimmte ein. Er schüttelte Roban die Hand und klopfte ihm mit der Linken auf die Schulter.
„Eine mutige Wahl, Ritter Roban ... so wünsche ich Euch, dass der Mut euch nicht verlassen möge und die Götter diese Courage belohnen.“
„Um meinen Mut macht Euch mal keine Sorgen, Vogt“, versicherte der soeben Belehnte mit einem zuversichtlichen Grinsen.
„Der ist mir treu, und Rondra wird mir diesen lohnen, sei es in diesem Leben oder erst danach. Und mein Rückzug vom ersten Standort ist damit ja tatsächlich hinfällig!“
Sein Blick ging zu Boromil hinüber, der diese offensichtliche Erklärung mit äußerlichem Gleichmut aufnahm.
„Zu gern würde ich mich den salbungsvollen Worten der Herren von Borking und von Grimsau anschließen, aber ein großer Redner war ich noch nie. Den Worten des Vogtes pflichte ich aber bei, wir sind wohl alle verpflichtet, an einem Strang zu ziehen“, sein Blick glitt über die anderen Ritter und blieb für einen Moment auf Grimm Goldmund von Koschtal hängen, „oder verdammt... sei es drum, ich will mich auf jeden Fall bemühen, einem jeden von Euch ein guter und vor allen Dingen verlässlicher Nachbar zu sein. Falls jemand von Euch eines Tages Waffenhilfe oder sonstigen Beistand benötigt, dann zögert nicht, sie bei mir einzufordern. Ich selbst werde wohl kaum umhin kommen, den ein oder anderen guten Rat bei Euch einzuholen.“
Er nickte kurz in Richtung von Reto und von Perainfried, deren Kenntnisse im Ackerbau er wohl noch dringend nötig haben würde.
„Und falls ich mal wieder mit Wort oder Tat den ein oder anderen Eber schieße“, Roban seufzte kurz eingedenk der letzten Tage, „dann zögert genauso wenig, mir die Praioten zu lesen, damit dem Willen meiner Mutter entsprochen wird und ihr Jüngster doch noch ein anständiger Kerl wird!“
Erneut hallte Lachen über den Platz, der seit wenigen Minuten Neufarnhain hieß.
„Und welchen Namen gedenkt Ihr Eurer Siedlung zu geben?“ fragte der Vogt schließlich, nachdem es wieder still geworden war. Roban kratzte sich kurz im Bart, als müsse er selbst noch darüber nachdenken.
„Naja, mein Vogt, man sagt, die erste Idee sei oftmals die Beste, aber ‘Misthügel‘ schien mir wenig klangvoll. Da ich aber davon ausgehe, dass meine Siedlung recht trutzig wird sein müssen, um den Schrecken des Sumpfes zu widerstehen, werde ich sie Hohentrutz nennen, und ich hoffe, dass sie ihren Bewohnern wie Gästen stets ausreichenden Schutz wird bieten können, und, so es die Götter wollen, dieser Ort wie die anderen Fünf von uns einstmals auch Heimat genannt werden können.“
Ein kurzes, zustimmendes Nicken ging durch die Ritterschaft. Diese Hoffnung verband sie wohl alle, auch wenn es noch ein weiter Weg sein würde, ehe man sich in dieser Umgebung wirklich heimisch würde fühlen können.
„Ach ja“, Roban schnippte kurz mit den Fingern, „da ja meine beiden Vorredner jeweils einen Umtrunk versprochen haben, sei es in näherer oder fernerer Zukunft, will ich nicht zurück stehen. In meiner Satteltasche habe ich noch eine Flasche Birnenbrannt, der auf unserem heimischen Gut hergestellt wird. Bolzer und Alma haben ja bereits Bekanntschaft mit unserem ‚Birnentroll‘ gemacht!“
Bolzer, der die Zeremonie in gebührendem Abstand verfolgte, grinste bei der Erinnerung an den „Aufmunterungsschluck“, den sie kurz vor Rumpels Kate erhalten hatte, während Roban zur Seite trat. Er hatte seinen Siedlungsplatz bekommen, jetzt galt es, sich für das Unvermeidliche zu wappnen:
Rainfried von Grimsau würde sein Nachbar im Norden sein, und wer die Nachbarschaft im Westen bilden würde, war aus den Steinen am Boden deutlich sichtbar. Aber er hatte versprochen, sich um gute Nachbarschaft zu bemühen, und er würde zu seinem Wort stehen - sofern es der Goldmund ebenfalls tat!
Der Vogt indes, wandte sich an Boromil, blickte jedoch einen Moment auch den dicht neben ihm stehenden Edelbrecht von Borking an.
„Das macht Euch zum unumstrittenen neuen Herren von Standort Eins, Ritter Boromil vom Kargen Land. Es ist der Steine und offenbar der Zwölfe Willen. Ich wünsche Euch alles Glück und Eurer künftigen Siedlung gutes Gedeihen!“
Es waren die Worte Gerlings, die Boromil schlagartig einige Erkenntnisse brachten. Erstens: Der Vogt selbst wusste gar nichts von seiner Präferenz, sondern konnte nur zwei gleichberechtigt abgelegte Steine sehen.
Zweitens: Auch die anderen Ritter wussten nichts davon; er hatte ja sogar gegenüber seinem neuen Duzfreund Edelbrecht keine genaue Aussage getroffen. Die anderen Siedler - bis auf Roban, der vor Boromil seine Steine gelegt hatte - wussten nur, dass Boromil sehr schnell einen Stein auf die V gelegt hatte. Edelbrecht wiederum konnte selbst mit dem Wissen, dass sich Boromil früh für einen bestimmten Standort interessiert hatte, höchstens erahnen, dass es die V gewesen war. Tatsächlich hätte der Ritter vom Kargen Land jedoch bereits den ersten Stein mit der bloßen Absicht ablegen können, Edelbrechts direkter Nachbar zu werden, so wie sie es gegenseitig vorher gewünscht hatten. Außerdem hatte Boromil nie gesagt, dass seine erste Präferenz den Eindrücken der Besichtigung standgehalten habe, geschweige denn die einzig richtige sei.
In diesem Sinne hatte der Vogt eine sehr vernünftige Entscheidung getroffen und es fiel Boromil nicht schwer, bei den Glückwünschen ehrlich zu lächeln und die dargebotene Hand zu schütteln.
"Vielen Dank, Herr Gerling. Ich hoffe, mich dieser Herausforderung als würdig erweisen zu können."
Edelbrecht stand nun in seinem Rücken und er konnte dessen Reaktion nicht sehen. Der Ritter vom Kargen Land machte daher einen Schritt zur Seite und drehte sich um, so dass er neben dem Vogt stand.
"Allerdings gibt es durchaus Möglichkeiten, den Erfolg dieser Unternehmung zu beeinflussen. Ich meine dabei Eure Worte, dass wir uns allen gute Nachbarn sein sollen, egal, wie weit voneinander entfernt wir siedeln."
Nun wandte er sich an seinen Freund.
"Edelbrecht, wir wohnen zwar ein Stück auseinander, aber es gibt doch eine Sache, die uns verbindet: Wir wollen beide zwergische Hilfe in Anspruch nehmen, auch wenn sie bei mir vielleicht etwas anders ausfallen mag. Du würdest mir sehr helfen, wenn Du deinen Kontakt zu den Ambosszwergen dafür benutzen könntest, auch für meinen Standort fachkundige Angroschim zu werben.“
Edelbrecht nickte ergriffen, während Boromil fortfuhr: „Es gibt zwar in meinem Haus ausgewiesene Zwergenfreunde - mein Onkel Foldan hat enge Bindungen zu den Hügelzwergen in Skretin - aber ich kann mir gar nicht genügend Seiten vorstellen, von denen wir Hilfe bekommen können."
Morwald Gerling überlegte kurz. Foldan? Ach so, Boromil meinte seinen Onkel Boronwyn. Die drei Männer vom Kargen Land mit borongefälligen Vornamen sprachen sich alle mit ihrem Zweitnamen an, wie ihm das Familienoberhaupt verraten hatte.
Der Vogt fragte: "Habt Ihr Euch ebenfalls schon einen Namen für Eure Siedlung überlegt?"
"Bei mir liegt der Fall etwas anders. Ich tanze aus der Reihe, weil ich noch keinen Namen habe. Auch weiß ich noch nicht, welchen Alkohol ich anbieten soll. Vielleicht wird es doch lieber Kuchen..."
Bei diesen Worten grinsten die umstehenden Ritter.
"Ich habe den einzigen Standort, an dem es bereits eine Siedlung gab. Es läge sicherlich nahe, Klippbrühl einfach wieder aufzubauen..."
Boromils Blick huschte zu Rumpel, der jedoch unbewegt stand. Nein, er würde seine Vermutung jetzt nicht äußern; Rumpel wollte selbst eine Erklärung geben.
"...jedoch ist die Geschichte meines Vorgängers sehr traurig. Aus diesem Grund möchte ich eher einen anderen Namen wählen. Ehrlich gesagt weiß ich noch nicht einmal, ob die Grundmauern der früheren Häuser so stehenbleiben sollen oder ob ich nur das Baumaterial wiederverwenden lasse. Das wollte ich mit Hilfe von zwergischen Baumeistern entscheiden. Auch muss der Keller unter dem Turm trockengelegt und vollständig erkundet werden. Erinnert Euch, werte Neusiedler, wir haben dank einiger Verschüttungen längst nicht alles gesehen! Ich selbst hatte ja sogar die Falltür übersehen. Für diese Zwecke beabsichtige ich zusätzlich zu den Zwergen vorübergehend die Wächter Rohals einzuspannen. Wenn sich noch etwas Magisches dort unten befindet - und sei es nur etwas verdächtig danach Aussehendes! - dann wird es die Bewohner von Eisenkobers Wacht sicherlich interessieren. Das bereits abgelieferte Kästchen sollte ein hinreichender Anreiz sein, um jemanden für einige Tage vor Ort zur Verfügung zu stellen. Ich vermute zwar eher, dass wir nichts finden werden, aber mit diesem Aufgebot möchte ich vor allem der Legendenbildung entgegenwirken. Wenn ich diesen Aufwand jetzt nicht treibe, wird es immer heißen, ich hätte leichfertig bei Zulipans Turm gesiedelt und unter den Häusern verberge sich noch manch düsteres Geheimnis..."
Bolzer wirkte bei den letzten Worten etwas unruhig, so als wollte er Boromil zurufen, genau das nicht zu tun, also dort keine Siedlung zu errichten und die Ruinen lieber Ruinen sein lassen. Ein kurzer Seitenblick des Vogtes ließ ihn jedoch erstarren.
Morwald wandte sich nun wieder dem Ritter vom Kargen Land zu.
"Nun, ich sehe, Ihr habt Euch bereits einige Gedanken gemacht. Recht so! Der Name wird sich noch finden. Euer Vorgehen erscheint mir klug – ich bin sicher...“, Gerling wandte sich nun an Edelbrecht von Borking, „... die Rohalswächter können Euch auch helfen, falls der Geodenring Euch Kummer bereiten sollte. Zunächst erscheint der Magierturm naheliegender."
„Wenn Ihr meint, Euer Hochgeboren!“ erwiderte Edelbrecht.
"Und falls noch eine Riesenamöbe dort sein sollte, haue ich die gern persönlich in Stücke – falls sonst niemand Lust verspürt, sich ebenfalls ein zweites Mal in diese stinkende Brühe hinab zu begeben!" setzte Roban hinzu, was alle kurz zum Lachen brachte. Die Stimmung hatte sich sichtlich gelöst, schließlich war der mögliche Konflikt um Standort V gelöst und es waren, den Steinen nach zu urteilen, keine großen Überraschungen mehr zu erwarten. Einige der Ritter fingen an zu feixen, so dass der Vogt einige Zeit brauchte, um mit der Vergabe fortzufahren.
„Jetzt haben wir schon Bier, Wein, Schnaps und Kuchen“, fasste Roban die bisherigen Versprechungen zusammen.
„Wie sieht es aus, Reto, können wir bei dir auf einen Braten hoffen?“
Der Tarnelfurter grinste breit und wiegte den Kopf hin und her, als müsse er diesen Vorschlag gründlich überdenken.
„Wenn Firun uns respektive Erborn ein weiteres Mal hold ist, warum nicht? Dann hätten wir ein rechtes Festbankett beisammen!“
Währenddessen ging Boromil wieder zu Edelbrecht hinüber, klopfte ihm auf die Schulter und sagte nickend "Wird schon." Dann hing er wieder seinen Gedanken nach. Seine Zurückhaltung hatte ihn davor bewahrt, einen offenen Konflikt heraufzubeschwören und dabei eine Niederlage zu erleiden. Vielleicht war er doch kein so schlechter Vertreter seiner Familie...
Jedenfalls hatte er die Worte Gerlings in Erinnerung behalten, dass der erste Eindruck manchmal täuscht, und nicht gleich nach Ansehen der Karte unbedingt Standort V haben wollen. Auch hatte er sich zurückhalten können, bis alle Siedlungsplätze besichtigt gewesen waren. Narehals Wald war jedenfalls eine Enttäuschung gewesen und bei den merkwürdigen Pilzen musste man sich ehrlich fragen, ob die zukünftigen Siedler nicht im wahrsten Sinne des Wortes einen Kampf gegen die dortige Natur führen mussten.
Bisher hatte er gedacht, dass Borons Zeichen an Standort V ihn motivieren sollte, sich diesen Siedlungsplatz zu holen, allein schon wegen der borongefälligen Zahl. Doch könnte alles eine ganz andere Bedeutung haben: Das Zeichen als Mahnung zur Ruhe und des In-sich-Kehrens, um nicht in eitles Geplapper zu verfallen oder oberflächliche Anzeichen zu missdeuten. Vielleicht war sein Gebet erhört worden, jedoch auf andere Weise, als er gedacht hatte. Denn hätte ihm Boron nicht diesen seltsamen Traum geschickt, wäre Boromil nicht rechtzeitig aufgewacht, um die beiden Steine abzulegen und die beiden anderen wieder an ihren richtigen Platz zu legen. Er glaubte nicht, dass die beiden durch Grimms Wahl weggeschnippten Steine der Götter Wille waren... vielleicht war sein eigenes "intuitives" Ablegen es jedoch auch nicht gewesen.
Außerdem: Wer war er schon, dass er "mal eben" mit Gewissheit den Willen der Götter erkannte? Bei manchen war dieser doch sehr verschlungen oder offenbarte sich nur im Ganzen. Es mochte sich sogar als besonders segensreich erweisen, dass ausgerechnet er, der einen angeblichen Fluch nicht fürchtete, Standort I übernahm: Wo ein starker Kämpfer von Räubern besiegt worden war, mochte jemandem mit seinem Wissensdurst und seiner Magieaffinität vielleicht mehr Erfolg beschieden sein. Zudem war Eisenkobers Wacht von diesem Standort kaum weiter als vom fünften Siedlungsplatz... vielleicht sogar einfacher zu erreichen, weil der möglicherweise tückische Wald Narehals nicht durchquert werden musste.
Mittlerweile war wieder etwas Ruhe eingekehrt und der Vogt zögerte nicht damit zügig fortzufahren um die Zeremonie zu beenden.
„Zunächst zu Ritter Grimm Goldmund von Koschtal, unserem Nachzügler, der offenbar seinem Glück vertraute. So soll es Euch beim zweiten Siedlungsplatz auch weiterhin nicht verlassen!“
Grimm Goldmund nickte freundlich und richtete die Worte an alle Anwesenden: „So sei es. Was mit den Göttern getan ist, das ist wohl getan. Da ich den Standort meiner zukünftigen Siedlung selbst noch nicht in Augenschein nehmen konnte, bin ich in höchstem Maße gespannt, was mich dort erwartet. In jedem Fall habe ich Großes vor.“
Noch ehe einer der anderen Ritter Grimm Goldmund von Koschtal beglückwünschen konnte, machte Roban einen Schritt nach vorn. Mit einer etwas hölzern wirkenden Bewegung streckte er die Rechte vor.
„Also dann – auf gute Nachbarschaft!“ sagte er mit steinerner Miene. Auch Ritter Grimm zögerte einen Moment. Diese Hand war mehr als ein einfacher Glückwunsch, mehr als das Versprechen, einander gute Nachbarn zu sein – es war der Versuch, eine Kluft zu überbrücken, die ihre Familien seit mehreren Generationen trennte, ein Waffenstillstand in einem Zwist, mit dem sie beide aufgewachsen waren, stets in dem Bewusstsein, in der jeweils anderen Familie den Feind vor sich zu haben.
Grimm Goldmund von Koschtal konnte ermessen, wie viel Überwindung dieses Angebot kostete – er selbst hätte kaum weniger aufbringen müssen, und er sah in Robans Gesicht eine Mischung aus Trotz und Zweifel, Trotz gegen das Schicksal, dass sie zu Feinden machte, Zweifel daran, im Moment das Richtige zu tun.
Mit einem Ruck drängte Grimm alle Zweifel in den Hintergrund und ergriff die Hand. In diesem Sumpf war der einzelne Mann verloren, dass hatte er am eigenen Leib erfahren müssen.
„Auf gute Nachbarschaft!“ erwiderte er und bemühte sich um eine feste Stimme bei diesen Worten, deren Schwere die anderen allenfalls vermuten konnten.
Nun gab es auch bei Boromil kein Halten. Solche Gesten konnten gar nicht hoch genug bewertet werden! Das hatte man ihn schon früh gelehrt. Er schritt auf beide von Koschtals zu und klopfte ihnen anerkennend auf die Schultern.
An Roban wandte er sich zuerst: "Eine gute Geste für einen Neuanfang!"
Der Ritter, mit dem er noch vor wenigen Tagen aneinandergeraten war, verbarg ganz offensichtlich hinter der rauhen Schale einen guten Kern. Roban lächelte zurück, sein Blick verriet, dass er verstanden hatte.
Nun drehte Boromil sich zu Grimm. Dieser war erst später dazugestoßen und wäre sicherlich erfreut über Informationen und Unterstützung.
"Seid versichert, dass Ihr einen guten Siedlungsplatz bekommen habt! Die Nähe zum Fluss, der Lehm zum Brennen von Ziegeln und die relative Sicherheit am Rande des Moors sind nur einige Vorteile. Außerdem hat Bruder Perainfried bestätigt, dass der Boden gut zur Aufzucht von Feldfrüchten geeignet ist. Einzig um die Verteidigung müsst Ihr Euch vielleicht etwas mehr Sorgen machen als wir anderen Siedler. Doch solltet Ihr etwa aus dem nahegelegenen Bragahn oder dem etwas weiter entfernten Hammerschlag Zwerge anwerben wollen, wird sich auch dafür eine Lösung finden! Da wir nun direkte Nachbarn sind, seid Ihr vielleicht daran interessiert, Eure Pläne mit mir zu besprechen. Vielleicht können wir uns gegenseitig unterstützen. Insbesondere eine gemeinsam nutzbare Anlegestelle an der Warna oder eine Straße zwischen unseren Siedlungen wären zu unser beiden Nutzen."
Grimm Goldmund von Koschtal war so überrascht von der Rede Boromils, dass er zunächst nur freundlich nickte und nichts erwiderte.
Vogt Gerling sah die Geste Robans mit Erleichterung. Er hatte von der alten Rivalität des einst vereinten Hauses von Koschtal vernommen und fürchtete, dass sie unter direkten Nachbarn neu entflammen könnte. Umso erfreulicher, dass sich hier zwei vernünftige Vertreter ihrer Familienzweige gefunden hatten ... ob auch die anderen Familienangehörigen ihre versöhnliche Ansicht teilen würden, war aber noch nicht abzusehen.
„Ich nehme an, einen Namen werdet auch Ihr Euch erst überlegen, wenn der erste Stein gesetzt ist“, stellte Morwald fest. Ritter Grimm nickte.
„Nun denn, dann fällt die letzte Wahl nicht mehr sehr schwer. Zwei Steine beweisen, dass der fünfte Standort Ritter Reto von Tarnelfurt sehr am Herzen lag ... beziehungsweise auch seinen Unterstützern. So wünsche ich Euch herzlich alles Glück und Phexens Beistand!“
Reto war anzusehen wie zufrieden und stolz er war. Was seinem Vater zu Lebzeiten nicht vergönnt war, hatte Reto nun geschafft. Ein eigenes Stück Land das unter Peraines Schutz wachsen und gedeihen sollte. Erst jetzt merkte Reto, dass man natürlich erwartete dass er etwas sagte.
„Habt Dank, Vogt Gerling. Ich bin zuversichtlich, dass ich das Vertrauen, welches der Fürst und Ihr als sein Vertreter in mich setzt, nicht enttäuschen werde.“
Er drehte sich mit einer einladenden Geste zu allen anwesenden Rittern.
„Jeder von euch soll in Therbunja willkommen sein. Ich werde der Göttin Peraine ein Haus errichten und, so die Zwölfe es wollen, in nicht zu ferner Zukunft auch ein Kloster. Auf dass von Therbunja dem götterverlassenen Moor der Kampf angesagt sei und einst hier wieder blühende Felder, klare Seen und Wälder voller Wild zu finden sind, wie zu Zeiten Farnhains. Mögen die Zwölfe mit uns und jeder der Anwesenden für den anderen da sein, wenn er gebraucht wird!“
Reto ließ seine Worte einen kurzen Augenblick wirken und ging dann auf Edelbrecht zu und reichte ihm die Hand.
„Auf gute Nachbarschaft, Ritter von Borking!“
“Mein’s auch so“, knurrte Edelbrecht und man merkte, dass er seine Enttäuschung über den Umstand, dass nicht sein Freund Boromil neben ihm siedeln würde, noch nicht gänzlich runtergeschluckt hatte.
Reto schaute ein wenig verdutzt drein, fand dann aber wieder zu Worten.
“Eine etwas seltsame Art, mir das Du anzubieten, aber du kannst dir sicher sein, das ich alles, was ich ausspreche, auch so meine. Edelbrecht, du darfst mich jederzeit beim Wort nehmen.“
Reto packte Edelbrechts Hand fester und ließ sie erst wenige Augenblicke später wieder los, um sich Rainfried zuzuwenden und ihm die Hand entgegen zu strecken.
Boromil betrachtete den Gruß der beiden, der von Edelbrecht sicherlich hätte herzlicher ausfallen können, und nickte unwissentlich. Der Ritter von Tarnelfurt war ein fest entschlossener Mann. Er hatte geweihten Beistand mit sich geführt, der jeden Siedlungsplatz untersuchen konnte und unabhängig vom Standort eine große Hilfe bei Viehzucht und Ackerbau sein würde. Dennoch hatte sich Reto auf einen bestimmten Siedlungsplatz festgelegt. Nun hatte er verkündet, an seinen Plänen festzuhalten: Auch wenn der Fürst nur einen Schrein stiften würde, wollte er einen ganzen Tempel bauen und so bald wie möglich ein Kloster - unabhängig davon, dass der Vogt zu Bedenken gegeben hatte, dass der gesamte Landstrich dann dieses ernähren müsste und für weltliche Herrschaft kaum etwas übrig bleiben würde. Frömmigkeit und ein klares Ziel vor Augen - das war sicherlich nicht verkehrt.
Für ihn selbst galt es jedoch, aufzupassen, dass er dabei nicht unter die Räder geriet. Reto hatte bereits darum geworben, dass die anderen Siedler einen Schrein zu Ehren von Travia oder Tsa errichteten und sich an seinem Vorhaben beteiligten. Auch wenn das eine gute Absicht sein mochte - für ihn, Boromil, war das alles zu sehr festgelegt. Er wollte erst selbst überlegen, was er aus dem Flecken Land machen wollte. Außerdem lief er Gefahr, immer nur den Plänen Retos hinterherzulaufen und in dessen Schatten zu stehen. Reto hatte vorher abgelehnt, bei einem gemeinsamen Vorschlag mitzumachen - da würde er es sicherlich nicht übelnehmen, wenn ihm Boromil später eine Absage erteilen würde, oder?
Anschließend wandte sich Reto Rainfried zu und streckte auch ihm die Hand entgegen.
„Auf gute Nachbarschaft, Rainfried. Möge dein Wein gedeihen und es genug davon geben, damit wir auch in Therbunja etwas davon haben.“
Dabei legte er seine linke Hand auf Rainfrieds Schulter und blickte ihm tief in die Augen. Rainfried nahm die Hand und drückte sie fest.
"Sollte der Wein auch nur für wenige Krüge langen, so soll einer davon auf jeden Fall für dich bleiben. Dafür werde ich mir bei Ocasión die Hilfe Bruder Perainfrieds nehmen, wenn ihr beide einverstanden seid."
Er wandte sich der versammelten Menge zu.
"Und ihr alle hier sollt in Zukunft meine Gäste sein, an jedem 1. Rahja, wenn der junge Wein verkostet wird. Und wenn der Wein auch sauer wie eine Liebliche Cella sein sollte, dann seid so gut, und verzieht das Gesicht bei Trinken nicht gar so arg. Mit Madaleins und Bruder Perainfrieds Hilfe hoffe ich, dass sich das jedes Jahr bessern wird."
Das Grinsen des Grimsauers bei diesen Worten ließ alle Anwesenden das Schlimmste vermuten, was den Säuregehalt des Weines angehen würde.
Der Vogt von Moorbrück ließ derweil seinen Blick über die sechs Ritter schweifen. Er war ähnlich erleichtert und aufgewühlt wie sie, angesichts der Tatsache, dass nun endlich alle Lehen verteilt waren und Klarheit herrschte. Zeit das zweite Kapitel aufzuschlagen.
„Werte Ritter von Moorbrück, ich schlage vor, dass wir uns nun etwas stärken und den einen oder anderen Schluck zur Feier der Stunde gönnen“, allgemeiner, zustimmender Jubel brach aus, „Doch nicht zuviel, denn wir sollten zeitig aufbrechen um nach Birkendamm zurückzukehren. Dort können wir dann das weitere Vorgehen besprechen. Mit etwas Glück sind bereits die ersten Ladungen Werkzeug und manche Baustoffe angekommen – ich habe dafür gesorgt, dass uns das Haus Neisbeck etwas liefert. Vor allem gilt es die ersten Siedler anzuwerben und zu verteilen. Unser durchlauchtigster Fürst hat zugesagt aus allen Winkeln des Kosch Neumoorbrücker aufzutreiben – ich bin gespannt in wieweit das gelungen ist.“