Ablomon

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Vom Vogelkaiser Ablomon und seinem Sohn Iyi

Ein Märchen aus Wengenholm

Wie die Adler die König aller Vögel sind, so gibt es doch einen, der unter ihnen ist wie der Kaiser bei den Menschen. Ablomon ist sein Name, der einzige, der schneller zu fliegen vermag als der schnellste Wind, und das einzige Wesen auf Dere, das selbst Golgari, der Todesrabe, nicht einzuholen vermag. Denn Ablomon war der erste und älteste der Adler und aller Vögel, unsterblich wie alle Geschöpfe, die aus Los Tränen entstanden. Sein Aussehen ist das eines gigantischen Bergadlers, (...) der stolzeste und prächtigste seines Volkes, wenn auch nicht der größte.

Der nämlich ist Aargiltunir, sein Bruder, der tapferste Streiter der Lüfte. Sterblich zwar ist er, doch so alt wie die Welt, da niemand mehr auf Deren die Kraft besitzt, ihn zu überwinden, seit Geron der Einhändige aus den Gefilden der Menschen entrückt wurde. Dieser, der einzige, der je stark genug gewesen wäre, war zudem Freund und Kampfgefährte des Adlers, und noch heute harrt Aargiltunir der Rückkehr des Göttersohnes.

So ist Aargiltunir der Wehrmarschall seines Volkes, ungestüm und voll Wagemut zu jeder Zeit; Ablomon aber ist der Kaiser der Lüfte, und es gibt keinen, der ihm an Weisheit und Verständigkeit gleich käme. Viele mächtige Städte und Reiche hat er in seiner Zeit aufblühen und wieder vergehen sehen, unzählige Dinge hat er mit seinen scharfen Augen erspäht, von denen heut’ niemand mehr zu berichten weiß. Auch spricht er die Zungen der Zwerge und aller Menschenvölker, selbst jener, die längst vergessen sind. (...)

Sein Horst, größer noch als eine Burg, liegt hoch oben, auf der steilsten und sturmumtostesten Bergspitze der Koschberge hinter einem Ring von Wolken, doch hält Ablomon dort nur alle sieben Jahre Hof. Sonst nämlich fliegt er umher in den höchsten Höhen, und besucht die Horste seiner Untertanen allüberall in Aventurien und anderswo auf Dere, und sein Bruder, der Wehrmarschall, fliegt mit ihm.

Alle sieben mal sieben Jahre aber macht sich der Kaiser der Vögel auf zu den Fürsten der Menschen. Nur selten gibt er sich dabei zu erkennen, und der letzte, dem der Herr der Adler seine Besuch angedeihen ließ, war Reto von Gareth, grad’ in der Nacht nachdem er die Krönung empfangen hatte. (...)


Unzählige Söhne zeugte der Erste aller Vögel seit jenen Götterläufen, in denen die Welt noch jung war und vom Drachengezücht beherrscht, und selbst die Angroschim tief unten in Sumus Leib gerade erst erwacht waren. Einer aus der großen Schar der Nachkommen, Iyisavel der Schwarze, war alsbald als der geschickteste Jäger der dritten Sphäre bekannt. Seine ganze Liebe galt dem findigen Ausspähen, dem lautlosen Kreisen und dem blitzschnellen Herabstoßen, der Suche nach Beute und dem Erlegen seines Opfers. Einzig Firun, der göttliche Meister allen Waidwerks, konnte es mit dem Adler aufnehmen, wenn es galt, fliehendem Wild im Walde nachzustellen und es pfeilgleich zu erlegen.

Doch fehlte es Iyisavel im Gegensatz zu den übrigen seines Volkes an Weisheit; er tötete den Hirsch und den Bock auch, wenn es ihn nicht hungerte, aus bloßer Lust heraus, und frevelte so wider die göttlichen Gebote.


Da begab sich der grimme Herr des Eises selbst auf die Pirsch, denn er wollte den Übermütigen strafen. Drei mal drei volle Götterläufe verfolgte er ihn bei Tag und bei Nacht, doch so geschickt der Schwarzgefiederte als Jäger war, so gut wußte er auch als Beute zu entwischen.

Schließlich aber stellte der Gott Iyisavel, der sich entkräftet auf einer hohen Steineiche niedergelassen hatte, und spannte den Bogen Cerwylis mit all seiner herrlichen Kraft. Ablomon aber hatte durch einen Riesenlöffler, den er zu verspeisen dachte, von dem Frevel erfahren, und war eiligst mit seinem Bruder Aargilturnir herbeigeflogen. Jener nun wollte sich voller Kampfesgeist selbst wider den Gotte wenden, weil dieser seinem Neffen nach dem Leben trachtete, wiewohl ihm Ablomon gebot einzuhalten. Da bat der stolze Fürst der Adler den Alveraner, ihm den Sohn zu lassen, der gewißlich nicht fromm, aber ihm über alles lieb sei.

Firun sah wohl, wie sehr die Verwandten Iyisavel liebten, wenn der hohe Vater so flehentlich bat und der Oheim ob seines Neffen gar gegen einen Gott selbst angehen wollte. Auch es dauerte ihn, einen solch vollendeten Jäger um des Gleichgewichts töten zu müssen. Gleichwohl — gestraft werden sollte der Frevel.

Ablomon aber hatte noch nicht geendet: „Noch ist er jung, und weiß sich nicht züchtig zu benehmen, doch mag dies alles kommen, wenn er einmal älter wird. So sollte er vielleicht den Sinn für das rechte Maß erlangen, wenn Ihr ihn selbst unter Euren Fittichen in die Lehre nehmt.“

Der Weiße Jäger war milde gestimmt an diesem Tage, und erhörte die Bitte, denn er erkannte die Weisheit in den Worten des Adlersfürsten. Iyisavel ward aufgenommen in die Schar der himmlischen Gefolgsleute des Gottes, und konnte nimmer fliegen und jagen ohne ein Wort des göttlichen Meisters. Noch heute ist’s Iyi – wie wir ihn kurz nennen – der schwarze Himmelsadler, dessen Schwingen Sturm bringen und Schnee verteilen über die Lande, wenn Firuns Wilde Jagd in den Wintermonden herabbraust von Norden und die kalte Herrschaft ihres Gottes Einzug hält, bis der Frühling im Zeichen der jungen Göttin einen neuem Anfang begründet.